Gatter hier. Wie bitte? Glosse endlich abgeben? Schon wieder zu spät dran? Tut mir Leid, liebe Redaktion - mir ist der Abreißkalender stehengeblieben. Genau. Wann? Muss ewig her sein. Seit Tagen, was rede ich, Wo-chenn zeigt er das ewiggestrige Datum. Zur Strafe lasse ich ihn verwelken. Irgendwann kommt Herbst, dann erledigt sich das Problem von selbst. Paar Jahre noch und die Wochentage stimmen wieder mit den Nummern überein. Hat auch noch andere Vorteile. Der allmorgendliche Wechsel macht einen unruhigen Eindruck. Rot gedruckte Sonn- und Feiertage stören die farbharmonische Feng-Shui-Balance. Außerdem spare ich Papier bzw. rette den Wald. Und morgen ist auch noch ein Tag ...
Mein Abreißkalender heißt „Tagesblock“, hat einen „Zungenabstand“ von 20 mm, seine Auf- und Untergangzeiten für Mond und Sonne „sind errechnet für den zentral gelegenen Ort Kassel“. Und erst die Rückseiten! Die schreibt ein Universalgenie, dessen Name mit ehernem Griffel in Marmor gemeißelt zu werden verdient: Renate Genter. Sie weiß alles. Grundsätze der Elementarphysik sind ihr so vertraut wie der Umfang der Milchstraße, welthistorische Anekdoten von Regierungschefs, die Alchimie der Fleckentferner und Ostfriesenwitze aus der Frührenaissance. Sie pflügt in entlegensten Gefilden der Literaturgeschichte und erntet Lesefrüchte von Frida Schanz, Wendelin Ettmayer und John Whitey („Das Leben besteht aus den Tagen, an die man sich erinnert“). Nicht zu vergessen ihre praktischen Haushaltstipps: „Überreife Bananen sind zu schade zum Wegwerfen. Mit frischer Milch gemixt, ergeben sie noch ein köstliches Getränk. Sie können die Früchte auch pürieren und portionsweise einfrieren. Leicht aufgetaut, kann man daraus zu einem späteren Zeitpunkt einen leckeren Bananenshake mixen.“ Wohl bekomm’s!
Unübertroffen ist ihre Etymologie der Redensarten. Zwischen Buchdeckeln vereint, würden sie sofort zum Bestseller. „Wo kommt der Ausdruck ‚Er hat einen Nagel im Kopf‘ her?“ Mal davon abgesehen, dass ich den Spruch nie gehört habe, lautet das Bulletin vom 28. März: „So heißt es, wenn jemand ziemlich eingebildet oder anmaßend ist. Man stellt sich dabei vor, ein Nagel sei so in seinen Kopf geschlagen, dass dieser Mensch ‚halsstarrig‘ geworden ist.“ An so einen Nagel kann man auch etwas hängen (11. April): „Also etwas aufgeben, kommt vom Schneider, der ein nur halbfertiges Kleidungsstück an den Nagel hängt, um ein neues zu beginnen.“
Oft werden Metaphern wie „das ist ein teures Pflaster“ wörtlich genommen (9. Mai): „Heute versteht man darunter eine Wohngegend oder einen Ort mit hohem Lebensstandard, teuren Preisen und exklusiven Verhältnissen. Ursprünglich jedoch bezog sich das ‚teure Pflaster‘ nicht auf die Straße, sondern auf den Arzt, der es seinem Patienten verschrieb.“ Der Ausdruck „im Hals steckenbleiben“ verweist auf ein Gottesurteil, für das man Verdächtige mit Brot vollstopfte; nur die Unschuldigen kriegten es trocken herunter. Auch „durchfallen“ stammt aus dem finsteren Mittelalter (30. Mai): „Hat den gleichen Ursprung wie ‚jemandem einen Korb geben‘. Der Minnesänger wurde zum Burgfräulein in einem Korb hochgezogen, der nur zu oft nicht Stand hielt, der Liebhaber fiel also durch, er war unten durch.“
Hallo? Was soll das heißen, Relaunch, Glosse nicht mehr nötig? Neue, unverbrauchte Mitarbeiter gesucht? Ob ich die Nummer dieser Kalenderblattautorin - ? Um ehrlich zu sein, je weiter ich blättere, desto mehr wachsen meine Zweifel. So viel kann kein einzelner Mensch wissen. Wer immer sich hinter dem Pseudonym „Renate Genter“ verbirgt, es muss ein Team sein. Nächtelang sitzen sie am Küchentisch, leeren die Humpen und lachen sich kaputt. Zwischendurch stellen sie Fragen wie am 23. Mai: „Wo kommt der Ausdruck ‚jemandem die kalte Schulter zeigen‘ her?“ Und prustend gellt es zurück: „Dieser Spruch kommt aus Großbritannien, wo er ‚to show a person the cold shoulder‘ heißt. Dort ist es eine Tradition, liebenswerte Freunde zum Lammbraten am brennenden Kamin einzuladen. Wenn jedoch jemand zu spät erscheint, rächt sich die verärgerte Hausfrau, indem sie ihm kalte Lammschulter serviert (die kalt natürlich scheußlich schmeckt).“ Aber wartet nur. Noch ist nicht aller Tage Abend. Im Herbst nehm’ ich mir eure Rezeptideen vor ...
Nikolaus Gatter
www.lesefrucht.de
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