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Noten ohne Quoten

Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Nikolaus Gatter

Dieser vielversprechende junge Mann mit Elefantengedächtnis legte vor Jahren die Novelle Der Bergsee vor und jetzt verbreitet MARTIN BETZ Westalgie - Lieder und Gedichte (www.martinbetz.de, 18 Tracks, 64:43, mit Texten). Was immer damals von seinen ALDI-Fußnoten zu halten war: seine IKEA-Hymne, das Loblied an DB-Mieträder und die öde Ode an die Schraube hören sich allerliebst an. Mit altstählinistischer Schmachtrhetorik und bauklötzchenturmförmiger Reimarchitektur wird allerlei Tief-, Ur-, Wahn-, Eigen- und Hintersinn vorgetragen (live sogar zum Cembalo). - Noch so ein Stimmschmeichler ist JAN KOCH, Ewiger Mai (www.jankoch.org, 12 Tracks, 55:31, mit Texten), zum Auftakt nur, um gleich desto bedrohlicher („Du bist die Leiche, ich dein Sarg“) loszuschrammeln. Aber keine Sorge: Er will nur spielen bzw. sein Rehkitz lässt sich gern den Wolf machen. Der wiederum kontert mit erlesenstem Liedermacherleid: Beiheft in deprimierendem Friedhofsschwarz, Schnee begräbt das tote Land usw., Wandervogelsongs im Prophetenton (sehr schön: „Versager“ und „Manchmal im Mai“). - Die diesmal reichlich faden Balladen von GERHARD SCHÖNE, Der Engel, der die Träume macht ... (Buschfunk 00112, 15 Tracks, 50:02, mit Texten) haben mich leider eher im Unglauben gefestigt. Schönes neue Engelswelt ist blankpoliert und stotterfrei wie seine säuberlichen Arrangements; alle Unbill kommt von außen, von den Stoppuhren und Steißtrommlern und Rasenmähern: Hauptsache, solides Feindbild. Bei „Unter deinen Flügeln“ sei an das Berliner Wäschereischild von 1847 erinnert (als man allerdings unter Preußens Adler „ruhig bügeln“ zu können behauptete). - Ein „Schwarzer Engel“ kriegt übrigens an Bord der MARTIN RÜHMANN BAND Landgang (Womsie records, 12 Tracks, 42:12, mit Texten) und sieht ohne Kompass auf der Startbahn natürlich erst recht keine Haie. Die noch immer leicht tranigen Songs beschwören surreale Szenerien, fleischgewordene Allegorien („Komm Sehnsucht“) und ein reichlich verkorkstes Liebesleben herauf. Hübsch ist die respektvolle Wolfgang-Borchert-Vertonung „Versuche es“. - Mit Lagerfeuer und Stockbrot, Nick Drake und Johnny Cash wirbt der Waschzettel für MOTOVUN (www.motovun.de, popappeal/Broken Silence 003, 12 Tracks 48:12); ihre Lieder sind melancholische Roadmovies, die Musik unverdrutzter, traditionsbeflissener Pop. Marc Krischker spielt Gitarren und Banjo, Jochen Engelking ist Multiinstrumentalist, Produzent und Mischer von allerlei schmerzhaften Geräu-Schmätzchen. Singen tun sie abwechselnd oder recht gut im Duett (z. B. „Das Schlimmste“). - Verstörend freestyle, d. h. anders als das Volksliedkitschrevival erfordert, verfremdet BOBO: Lieder von Liebe und Tod (www.lieder-von-liebe-und-tod.de, Traumton/Indigo CD 862462, 14 Tracks, 44:15, mit Texten) unter Gustav Mahlers Motto: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers ...“ Sebastian Herzfeld sorgt für klanglich-raffinierte Schockeffekte, und das Beiheft zeigt Bobo im dunklen Märchenwald, umgaukelt von Irrlichtern, oder vor der düsteren Zwingburg der Ernst-Busch-Hochschule für darstellende Künste. Man fragt sich einmal mehr, wieso der Deutsche immer nur Tod und Not und Unglück in den Volksmund nimmt. - Sie gehen’s eher ruhig an, THREE TIMES A LADY vertrauen auf den Zeitgeist (www.threetimesalady.de, 13 Tracks, 46:31). Naturgemäß gewinnen Akkordeon und Klarinette an Fahrt, und bei der „Grinen Kusine“ wirkt sich schon Klezmer-Drive aus. Man weiß aber nicht recht, wie solch glockenrockschwingender Folk-Frohsinn der kühl-metallischen Sachlichkeit der hier die meisten Lyrics liefernden Mascha Kaléko gerecht werden soll. - „Deine Stimme ist lasziv“, mein lieber ANDREAS MAX MARTIN, Moral Royal (www.andreas-max-martin.de, Fork-Records, 14 Tracks, 57:41), und das heißt eigentlich „schlüpfrig“ d. h. mit Echolette-Effekten aufgemotzt, die mir zu Tinitus und Meunière gleichzeitig verhelfen. Andreas Max erzählt von amourösen Leichtsinnigkeiten u. a. mit einer Carmen ohne Erbarmen, Monique in der Boutique und einer „Intrige Schmidt“, wie sich überhaupt manches nur des Reimes wegen abspielt. Das Ganze hat, mit einem noch nicht „in Alcatraz“ inhaftierten Kontrabass und einer beatleslaune-versprühenden Background-Vocaliese, der Keyboarder David Gross produziert. - Auch der volk- und weltmusikalische Gemischtwarenladen von MONACO BAGAGE, Ach wie Föhn (www.monacobagage.de, MB-07, 16 Tracks, 52:02, mit Texten) mit Gstanzerln, Rhythmustuba und schluchzenden Latino-Geigen, Klarinettengejaule und „Klatschmorim“ hört sich, Wortspielfreunde aufgemerkt, „ned fad o“. In Track 9 reimt sich alles auf 8, und der Spruch des Tages von Martin Deubel sei hier wörtlich wiedergegeben: „Geh’ ich zur Domina und zahl, dann habe ich die Wahl der Qual!“

Als Promo-CDs eingetroffen:
GABRIELE KASTNER, Straße der Träume (Pläne, 20 Tracks, 57:03)
DANIEL KUNZE (www.myspace.com/dkunze, 4 Tracks, 18:06)
EVA VARGAS, Auf einem Sonnenstrahl (Bhakti Records BR 77, 19 Tracks 48:47)

 

JAN KOCH - Ewiger Mai

GERHARD SCHÖNE - Der Engel, der die Träume macht...

MARTIN RÜHMANN BAND - Landgang

MOTOVUN

BOBO - Lieder von Liebe und Tod

THREE TIMES A LADY - Zeitgeist

<b>ANDREAS MAX MARTIN - Moral Royal

MONACO BAGAGE - Ach wie Föhn


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Deutschsprachiges Lied
im Folker! 4/2007