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Zerstörte Träume - neu entdeckte Lieder aus dem deutschen Osten

Prof. Dr. Holger Böning

Von Holger Böning*

Die Wende des Jahres 1989 bedeutete für viele westdeutsche Linke das Ende von Träumen. Hoffnungen auf eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Wirtschaft selbst organisieren und Profite nicht der Zweck des Lebens sind, starben fürs Erste, bei manchem für immer.

Der Freund des politischen Liedes, des Chansons in der Muttersprache, wird 1989 aber nicht nur mit Verlusten verbinden, sondern auch von der Freude der Entdeckungen sprechen müssen, die erst jetzt möglich wurden, weil bis dahin nur wenige Sängerinnen und Sänger aus dem anderen deutschen Staat in der Bundesrepublik zu hören gewesen waren. In der Regel fehlten ihnen dort die Lautsprecher, die die Herren von Rundfunk und Fernsehen Wolf Biermann gerne liehen. Das politische Lied der DDR verband sich so fast ausschließlich mit dessen Namen, vielleicht hatte man gerade noch von den großen jährlichen Festivals des politischen Liedes in Berlin gehört.

Ernüchterung ist das Ende:
Alles umsonst. Die alte Welt steht wieder
In vollem Glanz, und wir sind tief im Dreck.
Was bleibt, sind Tote, Daten, ein paar Lieder,
Ein schöner Traum, ein nicht erfüllter Zweck.

Nie wird der Autor ein Konzert im tiefsten (Nord-)Westen - in Bremen - vergessen, währenddessen er sich unsterblich in die Lieder eines ihm zuvor nur dem Namen nach bekannten Künstlers verliebte. Denkwürdig war zunächst, dass dem Sänger - Hans-Eckardt Wenzel - mit seiner kraftvollen, aus fünf Bandmitgliedern bestehenden musikalischen Begleitung gerade einmal doppelt so viele Zuhörer gegenübersaßen. Das Konzert fand trotzdem statt, und zwar - wie zum Trotz - mit sich von Lied zu Lied steigernder Spielfreude auf der Bühne und Begeisterung der kleinen Schar im Parkett. Zärtlich-poetische Liebeslieder wechselten mit selbst übersetzten und komponierten Liedern Woody Guthries, spöttisch-sarkastische Beobachtungen des Zeitgeschehens im nun gemeinsamen Vaterland mit vergnügten Seemannsliedern.


* Holger Böning ist Professor am Institut für Deutsche Presseforschung an der Universität Bremen. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur deutschen und schweizerischen Presse, Geschichte und Literatur. Von ihm erschien eine erste vergleichende Geschichte des politischen Liedes in den beiden deutschen Staaten: Der Traum von einer Sache. Aufstieg und Fall der Utopien im politischen Lied der Bundesrepublik und der DDR (Bremen: edition lumière, 2004).


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