Referat von Eckard Holler* auf Burg Waldeck bei der Präsentation der Peter-Rohland-Stiftung am 26. Mai 2007
Peter Rohlands Wirken war unmittelbar mit der Burg Waldeck verbunden war. Hier hat er sein Programm „48er Lieder - Lieder deutscher Demokraten“, mit dem er deutsche Folkgeschichte schrieb, 1965 erstmals aufgeführt. Lieder von ihm wie die Soldatenklage „O König von Preußen“ oder das „Bürgerlied“ („Ob wir rote, gelbe Kragen ...“) gehörten in den 1970er Jahren zum festen Repertoire deutscher Folkgruppen und Sänger wie Zupfgeigenhansel, Fiedel Michel, Liederjan, Hannes Wader, Dieter Süverkrüp und wurden und werden seitdem bei Festivals, Aktionen der Bürgerinitiativen und der Friedensbewegung und vielen anderen Anlässen gesungen. Peter Rohlands herausragende Bedeutung für das deutsche Folkrevival wird erst heute aus der Rückschau erkennbar. Dabei ist an ihn nicht nur als Sänger und Liedermacher zu erinnern, sondern auch als Volksliedforscher und Volksliedtheoretiker, der mit seinen Überlegungen dazu beitrug, den traditionellen romantischen Volksliedbegriff zu einem neuen Volksliedbegriff zu erweitern, in dem auch die Lieder der deutschen Freiheitsbewegungen und des Widerstandes gegen politische Unterdrückung Platz finden.
Peter Rohland wurde am 22.2.1933 in Berlin geboren und starb am 5.4.1966 in Freiburg, gerade 33 Jahre alt. Er stammte aus einer großbürgerlichen schlesischen Familie, die väterlicherseits aus Holzkaufleuten und mütterlicherseits aus Breslauer Patriziern bestand. Er wuchs jedoch in Stuttgart und Göppingen auf. Dort machte er 1954 Abitur. Dazu gibt es eine Anekdote, die ihn charakterisiert: Im Mathe-Abi gab er, dem Mathematik ein Graus war, ein leeres Blatt ab, erhielt eine Sechs und war damit durchs Abitur gefallen. Doch wurde ihm von der Prüfungskommission des Hohenstaufen-Gymnasiums Göppingen das Abitur dennoch zuerkannt, und zwar aufgrund seiner „menschlichen Reife“. Ein Argument seiner Lehrer war u. a.: „Er ist schon Führer einer Jungenschar bei der Schwäbischen Jungenschaft.“
Das erste Programm von Peter Rohland entstand in der Schwäbischen Jungenschaft, einem Jugendbund, der zur freien bürgerlichen Jugendbewegung bzw. zur Bündischen Jugend gerechnet wird. Sein Ursprung reicht in die 1920er Jahre zurück. In der Nazizeit war er als „kulturbolschewistisch“ verboten und verfolgt, nach 1945 bekam er in Schwaben noch einmal Bedeutung und machte in Göppingen, Ludwigsburg, Plochingen, Esslingen und Stuttgart mit Italien- und Griechenlandfahrten und künstlerischen Events von sich reden. Peter Rohland fiel schon früh durch seine Begabung als Sänger und Gitarrenspieler auf. Für diesen Jungenbund gab es nur drei mögliche Berufe: „Mönch“ bzw. „Wissenschaftler“, „Soldat“ bzw. „Partisan“, und - vor allem - „Künstler“. Pitter, wie Peter Rohland im Jugendbund genannt wurde, entschied sich für den „Künstler“ als Berufsziel und war fortan für einen normalen „bürgerlichen Beruf“ verloren. Sein Vater hätte gerne einen Juristen aus ihm gemacht, aber er wollte, wie er sich ausdrückte, „nicht vom Streit anderer Menschen leben“, brach deshalb sein Jurastudium in Tübingen ab und zog nach Berlin, wo es bereits in den 1950er Jahren Künstlerkneipen und kleine Kabarettbühnen gab, in denen man als Sänger auftreten konnte.
Bei diesen ersten Auftritten war Peter Rohland noch stark dem Singen der Bündischen Jugend verhaftet und stand insbesondere unter dem Einfluss des bündischen Songpoeten Werner Helwig. Im Programm „Vertäut am Abendstern“ aus dem Jahr 1962 ist Helwig mit dem Lied „Ich schaukle meine Müdigkeit“ vertreten. Neu ist, dass Peter Rohland dieses Lied nicht mehr als „bündisches Gruppenlied“ vorträgt, sondern im Sologesang als „neues deutsches Chanson“ interpretiert. Im Beiblatt, das der EP von 1963 beigegeben wurde, gab Rohland die folgenreiche Anregung, dem französischen Chanson in Deutschland „eine eigenständige Chansonkunst“ entgegenzusetzen.
1962 ging Peter Rohland für mehrere Monate nach Paris, sang in den Kellertheatern des linken Seine-Ufers, lernte jüdische Intellektuelle kennen und kam mit der Idee zurück, mit einem Programm jiddischer Lieder eine Tournee durch die BRD zu machen. Das Interesse an jiddischen Liedern war bei Peter Rohland mit dem politischen Anspruch verbunden, etwas zur Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts gegenüber den Juden zu tun. Das fand Aufmerksamkeit und Anerkennung bei den jüdischen Medien und den jüdischen Gemeinden in Deutschland. Höchstes Lob erhielt er von dem jüdischen Historiker Joseph Wulf: „So vollendet vorgetragen ... habe er nur selten jiddische Lieder gehört, auch in New York, wo mehr Juden leben als in Israel, singt man sie nicht besser“ (Spandauer Volksblatt, 17.3.1965). Bei den Musikhistorikern gilt Peter Rohland heute als der erste Sänger der BRD, der den Mut fand, „das bleierne Schweigen der Nachkriegszeit“ zur Judenverfolgung der Nazis zu durchbrechen und die „Interaktion mit dem jüdischen Anderen“ (Rita Ottens) zu versuchen. Auch wurde an seinen Interpretationen ein Verfremdungseffekt im Stil Brechts gelobt, der auf „Einfühlung“ und „Kommentierung des Inhalts“ verzichtet und stattdessen dem Hörer die Freiheit lässt, „selbst zu denken und zu fühlen“ (Wolfgang Martin Stroh).
Mit dem Programm „Der Rebbe singt“, das am 8. März 1963 in Berlin uraufgeführt wurde, tourte das Ensemble von Peter Rohland (mit Hanno Botsch, Geige, und Gesine Köhler, Gesang) im Mai/Juni 1963 durch die BRD und hatte neben kurzen Rundfunk- und Fernsehauftritten einen vom Feuilleton beachteten Auftritt im „Kommödchen“ von Kay und Lore Lorentz in Düsseldorf. Obwohl das Programm über 50-mal öffentlich aufgeführt wurde, war keine große Plattenfirma bereit, es auf LP zu veröffentlichen. Allein bei der kleinen bündischen Firma Thorofon erschien 1963 eine EP mit fünf jiddischen Liedern.
Am populärsten wurde Peter Rohland (zusammen mit Schobert Schulz) mit den „Landstreicherballaden“, die, Ende 1964 eingespielt, im April 1965 von Polydor als LP herausgegeben wurden. Bei diesem Programm griff er auf unterschiedliche Quellen zurück. Einige Lieder wurden schon immer in der Jugendbewegung gesungen, andere Stücke entnahm er dem Liederbuch Lieder aus dem Rinnstein von Hans Ostwald. Auch betrieb er Feldforschung im Obdachlosenzentrum in Bethel und bei der Hopfenernte in Feucht bei Nürnberg. Auch traf er sich mit veritablen Landstreichern, die er zufällig auf der Straße traf. Unter die Landstreicherlieder mischte er Stücke von Handwerksgesellen aus dem 19. Jahrhundert. Von seinen Freunden auf Burg Waldeck wurde pitter vor allem mit den Landstreicherballaden identifiziert, da das antibürgerliche und anarchistische Lebensgefühl, das diese Lieder vermittelten, als ein authentischer Ausdruck seiner Persönlichkeit empfunden wurde. Anzumerken ist, dass sich pitter als „Edelvagabund“ in der Tradition der „Bruderschaft der Vagabunden“ verstand, zu der sich im 19. Jahrhundert deutsche Linksintellektuelle und Dichter angesichts der erstarrten wilhelminischen Welt zusammengeschlossen hatten.
Einige der Lieder hatte pitter schon bei der legendären Planwagenfahrt 1958 an der Mosel gesungen, bei der er selbst in die Rolle des „Landstreichers“ geschlüpft war und schauspielerische Qualitäten bewiesen hatte. Sie lassen sich in dem Film ... und wir haben uns geschminkt (Regie: Karl Mohri, 15 min., 1958) noch heute begutachten.
Zum politischen Sänger und Liedermacher wurde Peter Rohland ab 1965 mit den „Liedern deutscher Demokraten“ aus dem Vormärz und der Revolution von 1848, die er aus Geschichtsarchiven, alten Liederbüchern und - vermutlich - auch aus dem „Steinitz“, dem Standardwerk der „deutschen Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“, zusammengetragen und teilweise selbst vertont hatte. Beim zweiten Festival auf Burg Waldeck an Pfingsten 1965 stellte er das Programm erstmals in einem Workshopkonzert der Öffentlichkeit vor und sorgte damit für Aufsehen. Dieses Programm ist aus heutiger Sicht Peter Rohlands bedeutendste Leistung und sein wichtigster Beitrag zur Neubestimmung des deutschen Volkslieds. Mit der Aufarbeitung der deutschen Freiheitsbewegung des 19. Jahrhunderts im Lied packte er zugleich im Alleingang eine Aufgabe an, deren gesamtgesellschaftliche Relevanz knapp zehn Jahre später von Bundespräsident Heinemann gesehen und zur verpflichtenden Aufgabe der Schulen erklärt wurde. Vor den Berliner Studenten erzielte er am 25. Juni 1965 im Theatersaal der FU Berlin einen großen Konzerterfolg. Rohlands kontrovers in der Öffentlichkeit diskutierte These war, dass die Lieder der 1848er Revolution Dokumente einer „wahrhaft demokratischen Tradition“ seien, auf die sich die BRD viel stärker berufen müsste, als sie es tatsächlich tun würde. Auch äußerte er den Verdacht, dass die Ignoranz gegenüber dieser demokratischen Tradition mit dem Fortdauern antidemokratischer Tendenzen in der BRD zusammenhängen könnte. Es ist erinnernswert, dass die Berliner CDU sofort gegen die „revolutionären“ Tendenzen in Rohlands Liedprogrammen protestierte und ihm Säle für Auftritte (z. B. in Berlin-Dahlem) verweigerte. Vom Feuilleton wurde der schärfere politische Ton des 1848er-Programms registriert und festgestellt, dass der Sänger nicht mehr so jugendbewegt und harmlos wie noch mit seinem Landstreicherprogramm sei.
Die 1848er Lieder sollten im Frühjahr 1966 als LP erscheinen, der unterschriftsreife Vertrag vom 10. März 1966 blieb jedoch Makulatur, da Rohland plötzlich starb. Todesursache war eine Gehirnblutung, die vermutlich durch Überarbeitung ausgelöst wurde. Sein Tod mit 33 Jahren war für die deutsche Folkszene ein herber Verlust. Man kann von Tragik sprechen, dass die Laufbahn dieses vielversprechenden Sängers und Liedforschers endete, bevor sie richtig begonnen hatte. Die aus dem Nachlass herausgegebenen 1848er Lieder (erstmals 1967 von der Edition Peter Rohland herausgegeben, inzwischen als CD bei Thorofon erhältlich) hatten jedoch eine sensationelle Karriere und wurden durch das deutsche Folkrevival der 1970er Jahre Allgemeingut der neuen sozialen Bewegungen der BRD.
Fast keine Öffentlichkeit mehr zu Lebzeiten hatte das letzte von Peter Rohland vollendete Programm „Lieder des François Villon“ nach den Texten von Paul Zech, bei denen vor allem Rohland selbst, aber auch Schobert Schulz und Hanno Botsch die Vertonungen schrieben. Die Villon-Lieder setzten die Reihe der Programme fort, bei denen jeweils aus der Gesellschaft ausgegrenzte Gruppen und Einzelpersonen im Mittelpunkt standen, hier nun der französische Dichter des ausgehenden Mittealters, der ein gefährliches Leben als Vagant und Desperado außerhalb der bürgerlichen Ordnung führte und durch seine frechen Gedichte unsterblich wurde. Dieses Programm erlebte noch nicht einmal seine Uraufführung, die für Mai 1966 in Köln geplant war. Einzelne Stücke daraus wurden jedoch bereits bei Auftritten auf Kellerbühnen und in Zimmertheatern aufgeführt, u. a. auch beim Waldeck-Festival 1965.
Peter Rohland musste lange warten, bis die Zeit für seine Vorstellung vom Volksliedsänger reif war, sodass sich seine wirklich produktive Tätigkeit auf die Zeit zwischen 1963 und 1965 zusammendrängt. Mit seinen Liedprogrammen veränderte er die musikalische Szene in Deutschland in grundsätzlicher Weise, indem zwischen der U-Musik (= „Unterhaltungsmusik“) und der E-Musik (= „ernste Musik“) eine neue musikalische Gattung eingeschoben wurde, die weder das eine noch das andere ist, sondern einen Schritt hin zu einer neuen intelligenten Musik geht. Sie wurde von Musiktheoretikern als A-Musik (= „allgemeine Musik“) bezeichnet und stellte eine in Deutschland bislang nicht vorhandene Brücke zwischen ernster und trivialer Musik her. Peter Rohland sprach zunächst von der Schaffung eines „neuen deutschen Chansons“, später vom „deutschen Volkslied“, das er „entstaubt“ und „unverblümt“ singen wolle, und ließ sich von der allgemein herrschenden Skepsis gegenüber diesem Projekt nicht beirren. Das geplante Volksliedprogramm ist in Fragmenten in seinem Nachlass zu finden. Ausgeführt wurde jedoch die theoretische Programmatik der neuen Volksliedtheorie. So soll zum Abschluss Peter Rohland selbst zu Wort kommen. In einem Interview mit Bernhard E. Wette äußerte er sich wie folgt:
„Volkslieder haben - einfach ausgedrückt - etwas mit dem Leben zu tun. Sie sagen darüber etwas aus. Ich glaube, es ist an der Zeit, den Nebel auseinanderzublasen, mit dem die Romantiker und die völkischen Ideologen unsere Volkslieder umgeben haben. Es ist an der Zeit, neben den Liedern von Schwartenhälsen, der armen Jüdin und dem Deserteur auch die Lieder von 1848, der Arbeiterkämpfe und die Lieder aus den Konzentrationslagern mit dem Begriff ‚Deutsches Volkslied‘ zu verbinden. Wir müssen diesen Begriff endlich berichtigen. ‚Deutsche Volkslieder‘ haben weder mit ‚Volksseele‘ noch mit ‚ewigen Werten‘ etwas zu tun. Es sind einfach Lieder, die den ganzen Aspekt menschlichen Lebens umfassen, von der äußersten Sentimentalität bis zur harten oder derben Darstellung.“
* Eckard Holler (Jahrgang 1941) war von 1975 bis 1987 neben seinem Beruf als Lehrer Leiter des Tübinger Festivals. Seine Peter-Rohland-Biographie erschien in der Reihe puls im Verlag der Jugendbewegung in Stuttgart (Nr. 24/2005,www.jugendbewegung.de/verlag).
Literatur:
Eckard Holler: Peter Rohland, Volksliedsänger zwischen bündischer
Jugend und deutschem Folkrevival, puls 24/ April 2005,
Dokumentationsschrift der Jugendbewegung, verlag@jugendbewegung.de
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