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Muskeln im Kopf, Hummeln im Hintern

Angélique Kidjo

„Ich fürchte nur die schlauen Idioten“

website
go! www.kidjo.com
 
discographie

Pretty (1980)
Ewa Ka Djo
(Nova Zembla Records, 1985)
Parakou
(Open/Island, 1989)
Logozo
(Mango, 1991)
Ayé
(Mango, 1994)
Fifa
(Mango, 1996)
Oremi
(Island Records, 1998)
Keep On Moving
(Best Of; Mélodie, 2001)
Black Ivory Soul
(Columbia, 2002)
Oyaya!
(Columbia, 2004)
Djin Djin
(Razor & Tie, 2007)

 
unterwegs

02.07.07: Freiburg, Zeltmusikfestival
04.07.07: Karlsruhe, Tollhaus
12.07.07: Stuttgart, Jazz Open


Eine Frau wie ein Tornado. Sie zieht alles an sich, saugt es auf und lässt es kräftig durchgewirbelt zurück. Eine Frau wie Angélique Kidjo eine Bombe. Eine Bühne genügt zum Zünden, und nichts ist vor der Druckwelle sicher, die sie verbreitet. Eine Frau wie ein Mahnmal. Sie will nicht missionieren, doch die ständige Konfrontation mit dummen Vorurteilen oder gezielter Propaganda gegen Afrika bekämpft sie mit ebensolcher Beständigkeit. Die Argumente hat sie auf ihrer Seite. Die Politik und die Medien nicht. Angélique Kidjo - eine starke Stimme für Afrika.

Von Luigi Lauer

„Sister Soul Summit“ hieß die Veranstaltung Ende Mai in Berlin, mit der die Organisation Oxfam dazu aufrief, die G8-Teilnehmer an ihre Versprechen bezüglich Afrika zu erinnern. Im schottischen Gleneagles wurde 2005 ein umfangreicher Katalog beschlossen - nur kann man bislang noch nichts daraus bestellen. „Deine Stimme gegen Armut“ war das Protestival von Oxfam in Berlin überschrieben, das nur den Anfang bundesweiter Aktionen darstellte. Neben Angélique Kidjo als Hauptattraktion waren auch Diane Weigmann, Laura Lopez Castro und Pink Angélique Kidjo Martini zu hören. Doch wer hier das Heft in der Hand hatte, war nach wenigen Takten klar, eine energiegeladene Band, deren Hallensound leider erst nach der Hälfte erträglich wurde, reagierte in Sekundenbruchteilen auf Kidjos Kommandos. Plötzlich ist sie verschwunden, mischt sich singend und tanzend unters Publikum und holt für das nächste Lied gleich 20 Leute zum Tanzen mit auf die Bühne.

Ein Star zum Anfassen, kein Zaun, keine Bannmeile. Kaum zu verstehen, dass Angélique Kidjo in kleinen bis mittleren Clubs auftritt, während weit weniger fähige, aber nach Marketinggesichtspunkten formbare Musikerinnen ganze Hallen bevölkern. Dabei ist das durchaus eingängig, was die 46-jährige Ausnahmesängerin aus Benin seit 20 Jahren international präsentiert, tanzbare Popmusik der intelligenteren Sorte, mit Refrains, die auch dann leicht mitzusingen sind, wenn man nicht in ihrer Muttersprache Fon fit ist. Bewiesen hat sie das mit den Hits „Agolo“ (1994) und „Wombo Lombo“ (1996), mit denen sie sich aufs internationale Parkett katapultierte. Mit ihrem Mann ist sie 1995 eigens für mehrere Monate nach Benin gereist, um ihre Kenntnisse in traditioneller Musik aufzufrischen und zu erweitern, die rhythmische Vielfalt ihrer Musik zeugt davon. Doch Angélique Kidjo hat nicht nur was zu singen, sondern auch etwas zu Angélique Kidjo sagen, und das fließend in gut einem halben Dutzend Sprachen. Deutsch übrigens auch, aber sie ist etwas aus der Übung und traut sich nicht so recht.

Umfassendes Engagement

Als hätte Angélique Kidjo nicht genug damit zu tun, Karriere und Kind unter ihrer blondierten Kurzhaarfrisur zu vereinen, kämpft sie beständig gegen die kleinen und großen Vorurteile gegenüber Afrika, klärt Missverständnisse bezüglich ihrer Voodooreligion auf, macht auf die Umweltzerstörung aufmerksam und engagiert sich in mehreren Organisationen. Seit 2002 ist sie UNICEF-Botschafterin - eben diese Organisation sorgte dafür, dass sie als Kind die nötigen Impfungen erhielt. Kidjo war die erste, die UNICEF und Oxfam zur Zusammenarbeit animierte, anlässlich einer Hungersnot in Kenia. Darüber hinaus ist sie für amnesty international aktiv und unterstützt noch ein paar andere Organisationen, zum Beispiel eine, die Patenschaften für afrikanische Kinder vermittelt, um deren Schulbildung zu sichern. Sie selbst hatte das Glück, aus der oberen Mittelschicht zu stammen, zur Schule gehen und studieren zu können, was keineswegs selbstverständlich ist in Benin. Deshalb ist sie Projekten besonders zugeneigt, die sich um die Schulbildung bemühen, die der Mädchen zumal. Aber: Kein Engagement ohne ausführliche Prüfung, Angélique Angélique Kidjo Kidjo klopft sehr genau ab, für wen sie ihre Zeit, ihren Namen und auch ihr Geld hergibt.

Rallye Ouidah-Paris-New York

Die Biographie sei hier nur überflogen, die Eckpunkte lassen sich überall nachlesen: Schon als kleines Mädchen beweist die am 14. Juli 1960 in Cotonou geborene und in der Küstenstadt Ouidah aufgewachsene Angélique Kidjo großes Geschick und rasche Auffassungsgabe beim Singen, Tanzen und Trommeln. Die Mutter ist Choreographin und Theaterleiterin, Angélique steht schon als Kind mit auf der Bühne. Die elfköpfige Familie gehört zum Volk der Pedah, eine von 60 Sprachgruppen in Benin. Was „kämpfen“ bedeutet, lernt Angélique Kidjo früh. In der Coverband ihrer Brüder, den Kidjo Brothers, fängt sie an, bald wechselt sie zur Gruppe Alafia, mit der sie durch das Land tourt. Das wird nicht gerne gesehen, sie muss sich gegen allerlei Anfeindungen wehren. Einen ersten Frankreichbesuch 1980 nutzt sie, um das Debütalbum Pretty aufzunehmen, das sehr beliebt wird in Afrika. Sie siedelt 1983 nach Paris über, erlangt erste Bekanntheit aber durch ihre Mitarbeit in Jasper van’t Hofs Ethnojazzband Pili Pili aus Holland, wo sie 1984 einsteigt und auf zwei Alben singt. Dann stellt sie sich endgültig auf eigene Füße, 1985 wird das Album Ewa Ka Djo in den USA aufgenommen, das Titelstück taucht als Remix später auf dem Album Logozo wieder auf.


ANGÉLIQUE KIDJO
Djin Djin

(EMI, www.kidjo.com)
15 Tracks, 59:32, mit engl. Infos

Was für eine Gästeliste: Alicia Keys, Branford Marsalis, Joss Stone, Peter Gabriel, Amadou & Mariam, Carlos Santana, Josh Groban, Ziggy Marley, Joy Denalane und Carmen Consoli. Gar nicht sonderlich erwähnt: Habib Faye (Bassist und Bandchef bei Youssou N’Dour), Poogie Bell (Drummer bei Chaka Khan und Erykah Badu), Amp Fiddler (Keyboards bei Prince und George Clinton) und einige andere Größen mehr. Keziah Jones zum Beispiel oder die beiden Perkussionisten Crespin Kpitiki und Benoît Avihoué von der Gangbé Brass Band. Produziert hat Tony Visconti, der immerhin auch schon für Morrissey oder David Bowie gearbeitet hat. Doch Angélique Kidjo bräuchte eigentlich noch nicht einmal eine solche Mannschaft solide-kreativer Profis, um sich ausreichend in Szene zu setzen, die Stimme allein schon kann es richten. Drei Coverversionen finden sich auf Djin Djin: „Pearls“ von Sade, ein etwas seifiges Duett mit Josh Groban; „Gimme Shelter“ von den Rolling Stones, eine kraftvolle Soul-Funk-Nummer mit Joss Stone; und, aufgemerkt, Ravels „Bolero“ in einer beeindruckenden Fast-a-capella-Version. Der Rest ist typisch Kidjo, die Färbung unterschiedlicher afrikanischer Länder ist zu erkennen unter einem dicht produzierten Mantel an knackender Popmusik, oft knapp an der Grenze zum Überladenen, die aber kaum je überschritten wird. Opulent ist das allemal. Djin Djin ist hochverdichteter, Tanzlaune auslösender Afropop, ein Porsche, der mit Bleigewichten beschwert werden musste, damit er nicht abhebt.

 


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