Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder CDs, die aus der Masse
herausragen:
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DIE BESONDERE - NORDAMERIKA
ELENI MANDELL
Miracle Of Five
(V2 Records VVR1044532P/Rough Trade, www.roughtrade.de,)
Promo-CD, 12 Tracks, 39:35
No Depression, die Americana-Bibel aus den USA, fühlt sich an
Fred Astaire, Harry Nilsson und die Mills Brothers erinnert. Der Autor
dieser Zeilen an Don McLean und die Beatles: Rückwärts in die Zukunft
- als hätte Marshall McLuhan auch eine Ahnung vom Stand der populären
Musik zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehabt! Geht aber in Ordnung,
Hauptsache, es ist nicht wie beim männlichen Aushängeschild des Trends
zur Old-Time Music, Bob Dylan: Songs Note für Note von Nummern zu
übernehmen, deren Copyright offenbar abgelaufen ist, wie es der
Radio-DJ aus Malibu seit ein paar Alben tut - das muss ja nicht sein!
Sich jedoch von den Altvorderen inspirieren zu lassen, dagegen spricht
wenig - sind es nicht die Fab Four höchstselbst, die mit „I’ll Follow
The Sun” von 1964 gleich zum „Moonglow-Lamp-Low“- Einstieg von Eleni
Mandells sechstem Album sowohl die Harmonien vorlegen als auch das
Himmelsgestirnen-Motiv? Und wird der Ball nicht sogleich von einer der
sagenhaft lyrischen Jazzsax-Meditationen aufgenommen, wie sie Yusef
Lateef zehn Jahre später zu Don „American Pie“ McLeans „Homeless
Brother“ beisteuerte? Dieses Meisterwerk - dessen „Wonderful Baby“
übrigens später tatsächlich auch noch einmal von Fred Astaire [!]
aufgenommen wurde - steckt überhaupt in jeder
Miracle-of-Five-Faser. Nicht immer so massiv wie im Titeltrack,
der von A bis Z einer dieser McLeanschen „heimatlosen Tippelbrüder“
ist, der hier nur eine neue Heimat gefunden hat, aber in Haltung
(beschaulich, besinnlich), Kompositionen (melodie- und harmoniereich,
melancholisch), Arrangements (kammermusikalisch balladesk) und
Instrumentierung (Akustikgitarren, Saxophon, Glockenspiele ...)
zumindest als Spurenelement immer öfter. „Ich war immer fasziniert von
alten Songs und Photos und Filmen und Büchern“, sagt Mandell - und von
Kleidern: „Die Stoffe sind hübscher, Handwerk, Design und weiblichen
Kurven wurde mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Es steckt für mich so viel
Romantik in alten Dingen.“ Und in ein paar neuen dazu - „Salt Truck“:
Das Streufahrzeug als Sinnbild für die Berechtigung eines gewissen
Optimismus! „Make-out King“: ihre erste Beziehung, die nicht auf einer
trüben Note endete! „Girls“: Härte nicht einmal dem Typen gegenüber,
bei dem sie sogar beim Küssen das Gefühl hat, er denke an eine Andere!
Es wird doch nicht Linda sein? Yoko? Ginger Rogers? ...
Christian Beck
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DIE BESONDERE - SKANDINAVIEN
IDA SAND
Meet Me Around Midnight
(ACT Music 9716-2, www.actmusic.com)
13 Tracks, 51:43, mit Infos
Das Skandinavien eine sehr vitale Jazzszene besitzt, die immer
wieder beliebter Anlaufpunkt für die Größen dieser Musik war und ist,
dürfte hinlänglich bekannt sein. Mit Ida Sand gibt nun eine Sängerin
und Pianistin aus Schweden ihr Debüt - und was für eines. 13 Songs hat
sie zusammengestellt, zwei davon selbst komponiert. Die Arrangements
wurden für die Stimme und nicht „um die Stimme herum“ geschrieben, die
Instrumentierung mit Piano, Flügel, Posaune, Cello, akustischer und
E-Gitarre, Bass und Schlagzeug auf das Songmaterial abgestimmt und
sehr geschmackvoll kombiniert. In Ida Sands Stimme ist nicht die tiefe
Unergründlichkeit einer Cassandra Wilson, nicht die dunkle Wärme einer
Lizz Wright. Die Sängerin aus dem Norden bezaubert vielmehr mit ihrer
Klarheit und Natürlichkeit, bringt dabei Soultimbre und
Gospelphrasierung in ihre Interpretationen ein. Bereits der Opener
„Mr. Pianoman“ nimmt gefangen, ein atmosphärischer (Piano-)Blues,
gefühlvoll mit Kontrabass und Schlagzeug begleitet, dabei Ida Sands
Stimme immer leicht hinter dem Beat. Dem Pop nähert sie sich mit - dem
im Grunde tieftraurigen - „Bang Bang“ von Sonny Bono, später dann mit
einer mehr als hörenswerten Version von Annie Lennox’ „Here Comes The
Rain Again“. „Brutal Truth“, eine der beiden Eigenkompositionen,
könnte auch aus Stevie Wonders Feder stammen, und Bill Withers, „Mr.
Groove himself“, hätte seine reine Freude an der hier vorliegenden
Version seines Stücks „Use Me“. Wirklich ausgezeichnete Musiker
spielen hier zusammen, alle beherrschen ihr Instrument virtuos. Dabei
rückt sich niemand in den Vordergrund, und gemeinsam gelingen 13
Stücke Musik, die ich jedem ans Herz legen möchte - Ida Sand singt sie
dann direkt in die Seele hinein.
Achim Hennes
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DIE BESONDERE - AFRIKA
BASSEKOU KOUYATE & NGONI BA
Segu Blue
(Outhere 007/Indigo, www.outhere.de)
Promo-CD, 14 Tracks, 62:48
Louis Armstrong, Taj Mahal oder Ry Cooder - alle vermute(te)n den
Ursprung des Blues in Westafrika, allerdings jeder woanders.
Blue ist da schon vorsichtiger und trifft auch, denn so ist die
Stimmung des Albums. Segu liegt auf halber Strecke zwischen Bamako und
Mopti, in Mali also, ein beschauliches Städtchen. Bassekou Kouyate
stammt aus dieser Gegend. Die Aufnahmen fanden aber in Bamako statt,
und schon taucht der erste illustre Name auf: Yves Wernert, der schon
einige gute Sachen (z. B. Ali Farka Tourés letztes Album) in seinem
Studio Bogolan aufgenommen hat. Produziert hat, nächste Hausnummer,
Lucy Duran, ausgewiesene und vor Ort lebende Afrika-Fachkraft der BBC.
Abgemischt hat, weiter geht’s, Jerry Boys, der schon in den Abbey Road
Studios assistierte, als dort vier Pilzköpfe experimentierten, und der
u. v. a. den Klang von Buena Vista schuf. Und Thomas Dorn hat die
Photos gemacht, das können nur wenige so gut wie er - der Mann liebt
Afrika, und man kann es sehen. Bassekou Kouyate schließlich ist auch
nicht irgendwer, aktuell ist er wohl der beste Ngonispieler der Welt
und arbeitete u. a. mit Toumani Diabaté, Taj Mahal und Ali Farka
Touré. Bei einem Konzert des Letztgenannten in Brüssel Anfang 2006
stahl er allen die Show. Stellenweise verraten nur Glissandi und
Chromatik, dass hier keine Kora im Einsatz ist, sondern ihre (nach dem
Bolon) historische Vorstufe, die sich dankenswerter Weise erhalten
hat. Fehlt noch die Musik, und die stellt alles Aufgezählte eigentlich
in den Schatten. Von beispielloser Entspanntheit ist, was vergnüglich
aus den Lautsprechern perlt. Rund um einen Ngoni-Vierer mit Bassekou
Kouyate als Steuermann gruppiert sich wenig Perkussion, viel Gesang
(vortrefflich: Zoumana Tereta; immer erstklassig: Kasse Mady Diabate;
sowie Lobi Traore) und Frauenchorgesang sowie hier und da ein Balaphon
(Lassana Diabaté, schon bei Taj Mahal zu hören). Das wird keine
Sekunde langweilig und hinterlässt einen, blue hin, blue her, bei
bester Laune. Nur Musik, die mit Herz und Bauch gemacht wurde, kann
einen eben dort erreichen, und das schafft Segu Blue mühelos:
Man hört nur mit dem Herzen gut. Ein klarer Fall für höchste
Platzierungen in den World Music Charts Europe. Jay Rutledges Label
Outhere hat sein bisher bestes Stück hergegeben, und man sollte von
dem begeisternden Angebot unbedingt Gebrauch machen. Es lohnt sich.
Versprochen.
Luigi Lauer
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DIE BESONDERE - SCHOTTLAND
EDDI READER
Peacetime
(Rough Trade Records RTTRADCD233, www.roughtraderecords.com)
13 Tracks plus Bonus, 52:55, mit engl. Texten und Infos
Schon als Sängerin von Fairground Attraction in den 80ern war Eddi
Reader keine Freundin von Plastikmusik. Diese Einstellung hat sie als
eigenständige Singer/Songwriterin konsequent weiterentwickelt. 2003
„entdeckte“ sie - zumindest in Schottland immer noch ein Star - ihren
bekanntesten heimischen Kollegen für sich und widmete Meister Burns
ein komplettes Album.
Burns und der Kollege „trad./arr.“ spielen immer noch eine wichtige
Rolle in Readers musikalischem Leben, die Hälfte der Stücke (inklusive
Bonustrack) stammen aus deren Feder. Wie auf dieser CD Tradition und
Jetztzeit bruchlos ineinander übergehen, das ist schon
bemerkenswert.
Wenn Eddi Reader 1-2mal ein klein wenig wie die Engländerin Kate
Rusby klingt, dann ist das fast unvermeidlich. Beide nutzen das
gleiche Studio und - viel wichtiger - haben den gleichen Produzenten:
John McCusker, ehemaliger Battlefield-Band-Fiddler und heute als
Produzent und Musiker völlig zu recht gefragt wie nie zuvor. Neben ihm
und regulären Reader-Musikern wie dem Gitarristen Boo Hewerdine
tummeln sich auf der Gästeliste neben drei Musikern der Gruppe
Capercaillie Andy Cutting oder Phil Cunningham. Das gibt so in etwa
Richtung und Qualität vor. Reader liebt diese Musiker, weil sie ihrer
Meinung nach keine Egozocker sind, sondern lediglich immer die
bestmögliche Musik spielen wollen. Daher gibt es zwischen alten und
neuen Stücken, letztere häufig mit Swingcharakter, auch keine
prinzipiellen Unterschiede. Okay, erstere haben mehr Diddeldida,
letztere mehr Schubidu, aber alles ist leicht, fast schwerelos,
keinesfalls jedoch belanglos. Readers Stimme transportiert nicht nur
Burns ins 21. Jahrhundert, sie geht bei „Leezie Lindsay“ sogar eine
Kooperation mit dem Meister ein, behält seinen Refrain bei und gibt
den Strophen aktuellere Texte/Bezüge. Und es funktioniert bestens,
genau wie diese komplette wunderbare CD.
Mike Kamp
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