Von Ingeborg Schober*
Auf dem Podium schwitzt sich ein Mann schier zu Tode, der Schweiß rinnt fast in die Klaviertasten, auf die er einhämmert, als gelte es damit, Leben zu retten. Das Leben von „Willy“, dem Revoluzzer. Während der Künstler Konstantin Wecker auf der kleinen Bühne emotionale Brachialgewalt entfaltet, kann man in dem vollgepackten, engen Raum der Kleinkunstbühne Marienkäfer in München-Schwabing eine Stecknadel fallen hören. Als das Stück zu Ende ist, herrscht zuerst betäubende Stille - und dann bricht der Sturm los. Das Publikum tobt. Wecker hämmert und singt vehement weiter, bis zur Erschöpfung, fast bis zum Umfallen. Der Mann eroberte das Klubpublikum und machte schnell bundesweite Schlagzeilen. Es war meine erste Begegnung mit dem Phänomen Konstantin Wecker.
Seitdem sind sehr viele Jahre vergangen, wilde, erfolgreiche, zerstörerische, bittere, nachdenkliche, besinnliche und regenerierende. Doch in all diesen Jahrzehnten auf der Achterbahn des Lebens und auf vielen Irrwegen hat Wecker eine einzige Kraft immer wieder auf den Boden gebracht und ihn erneuert: die Liebe zu seiner Kunst, seinem Talent, die Liebe zum Leben und sein tief verwurzeltes Gefühl für Menschlichkeit und Engagement. Und so ist er in all seinen Verwandlungen und Häutungen authentisch geblieben, einer, der sich bekennt. Die eitle Pose, erkannt zu werden, ist im Verlauf der Zeit dem Wunsch gewichen, sich selbst, andere, Dinge, die man so schwer begreifen kann und so gern so schnell erfassen möchte, zu erkennen.
Mit dem „Willy“ nahm er Abschied von der ersten Sturm-und-Drang-Zeit eines jungen Künstlers, der 1973 mit dem Debütalbum Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker als singender Dichter erschrecken wollte und zum Bürgerschreck wurde. Mit dem dazugehörigen Album Genug ist nicht genug wurde 1977 der politische Liedermacher Konstantin Wecker geboren, der zugleich die anarchische Tradition bayerischer Querdenker gegen das „Mitlaufen ohne Denken“ wiederbelebte. Damit begann sozusagen die politische Sozialisierung des Künstlers Wecker, dessen kritischer, rebellischer Unruhezustand bis heute als Pro und Kontra durch jede neue Platte geistert.
Der Klassiker des Politliedes ist inzwischen zum Dauerdialog am Grabe eines Liedhelden geworden, Weckers Alter Ego für Prologe, Ansprachen, Andacht und Umdenken, für künstlerische Reflektion gegen Ignoranz, Gleichgültigkeit, Anpassung, Unterordnung. Denn Wecker wäre nicht Wecker, wenn er nicht mit seinen alten und neuen Liedern ständig im Dialog stünde, sie umformulieren und musikalisch auch neu arrangieren würde.
* Ingeborg Schober ist freie Publizistin und Übersetzerin aus München. Sie schreibt seit 1972 für die Süddeutsche Zeitung und viele andere. Gehörte der Redaktion von Sounds und dem „Zündfunk“, BR 2 Hörfunk an (Schwerpunkt deutschsprachige Musik), war Veranstalterin, macht musikalische Lesungen mit ihren Büchern (u. a. Amon Düül - Tanz der Lemminge, Jim Morrison, Janis Joplin und Pop-Tragödien). U. a. Preis des Literarischen Colloquiums, Berlin. Ihr Motto: „Seit es Menschen gibt, gibt es Musik, solange es Musik gibt, gibt es Menschen.“
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