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1981 zerbrach er seine Tabakspfeife

Erinnerungen an Georges Brassens

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kommentierte discographie

Das unerlässliche Gesamtwerk: Georges Brassens. Chansons. Übertragen von Gisbert Haefs. Frankfurt/Main: Zweitausendeins, 1996. Sämtliche Texte, frz. & dt., und die Partituren dazu (Noten, Gitarrengriffe) in einem Extraband. ISBN 3-86150-123-6

Zwölf offizielle Alben von 1952-1976. (135 Titel, soweit.) Eine 13. Platte (Document) mit zwei seiner liegen gebliebenen Chansons (Maman, Papa & Elégie À Un Rat De Cave), vier Vertonungen und sechs weiteren Einspielungen (nach Aristide Bruant u. a.) - alles noch mit George Brassens (GB).

Dann: eine Doppel-LP (CD 17 Titel), Les Dernières Chansons INÉDITES (1982), und die 16. Platte (sozusagen): Le Patrimoine (1985, zwölf weitere Titel) - dies alles schon eingesungen und jazzig-flott arrangiert von Jean Bertola & Swing-Jazz-Orchestre (was Brassens, weil er todkrank war, 1980/81 nicht mehr selbst geschafft hat.)

Studio-Outtakes & Liveaufnahmen: Inédits (Archives 1953-80), neu auf CD 2001, darunter auch die Duette mit Charles Trenet und die bisher unbekannten Jean Rentre Au Village (1970) u. Altesse (1976, nach einem weiteren Gedicht - nach Gastibelza - von Victor Hugo).

Seit 1996 auf CD: ein Livemitschnitt aus dem TNP (Théâtre National de Paris) 1966 - 20 Titel inkl. der damals noch ganz neuen Supplique, La Non-Demande En Mariage etc.

Live In Great Britain (Cardiff, Wales, 28.10.1973): 17 Titel inkl. Le Roi Des Cons (1972).

GB Chante Les Chansons De Sa Jeunesse, Radio Monte Carlo 1980, dazu drei seiner eigenen Titel auf Spanisch : La Mala Reputacion, La Pata De Juana (La Canne De Jeanne), El Testamento!

Brassens En Jazz (GB à la guitare, nur 2 x voc: Elégie & Le Temps Passé/Refr.), jazzige Instrumentalaufnahmen berühmter Brassens-Nummern mit Moustache et les Petits Français u. a. (1979).

René Iskin, Arbeitskollege in Basdorf 1943, singt vier weitere bisher unbekannte inédits auf der CD Retour À Basdorf (2004) (mit drei zusätzlichen Couplets zu Maman, Papa).

Das erste Coveralbum mit 13 Brassens-Titeln Live 1979 war von Maxime Le Forestier. Superschöne, musikalisch prickelnde Arrangements im Trio. Derselbe hat 1996 noch Douze Nouvelles De Brassens nachgereicht (mit den von Bertola bereits bekannten Titeln, plus La File Indienne). Und ist mit seinem Brassens-„Album“ (Le Cahier) unterm Arm von 12/96 bis 6/98 in der ganzen Welt live, solo unterwegs gewesen - Resultat: das sagenhafte 4-CD-Paket mit 84 Titeln En Public; und 2005 noch mal 87 weitere Titel (2ième Cahier): phänomenal!

George Brassens erste EP
George Brassens erste EP

Andere Plattenalben/CDs komplett mit GB-Chansons gibt es von:

Valérie Ambroise (Sur La Mort D’Une Cousine De 7 Ans etc.), Renée Claude (Québecoise) (J’ai Rendez-vous Avec Vous, 1983/93), Renaud (1995) (mit dem bisher unbek. Les Illusions Perdues)

Joel Favreau (2001) (mit dem bisher unbek. Je Bivouaque Au Pays De Cocagne), Georges Nounou im Trio Brassens l’irlandais (mit Irish-Folk-Schmackes der Extraklasse, Totem Music, 2006); und die höchst überraschenden Compilations à G. B. (L’Hommage De Ses Interprètes) (o. J.), das Karaokeprojekt Chantons Brassens/Ils Chantent Brassens (o. J.), das folkrockende Les Oiseaux De Passage (2001), das um fünf Titel gekürzt, aber um zehn weitere ergänzt, als Putain De Toi/Un Hommage À Brassens (Mercury, 2006) erschien.

Die interessanteste DVD ist G. B. Auprès De Son Arbre. 27 Live-/Studioaufnahmen nebst neun der posthum veröffentlichten Titel mit Jean Bertola! (Warner Vision France 2006).

Auf Englisch: Graeme Allwright (F, 1985), My Own Road (USA, 1998); auf Katalanisch: Paco Ibanez Canta Brassens; auf Baskisch: Anje Duhalde, G. B. En Kantari; auf Deutsch: Nachdichtungen von F. J. Degenhardt (1986), Handstreych (Ulrich Kind & Reno Rebscher) (2001), sowie Wolf Biermann/Eva-Maria Hagen, Sigi Becker, Peter Blaikner, Klaus Grabenhorst, Wilhelm Junglas/Peter Wierichs, Peter Weisgerber - und von Walter Liederschmitt „Woltähr“.


 

Er hatte sich gewünscht, am Strand von Sète, seiner Heimatstadt am Mittelmeer, begraben zu werden. Schließlich hat er es nicht Georges Brassens 1965 mehr ganz bis dahin gepackt, ist auf der letzten Heimreise von Paris, krebskrank, bei einem befreundeten Arzt in der Nähe von Montpellier gestorben. Am späten Abend des 29. Okt. 1981, eine Woche nach seinem 60. Geburtstag. Und wurde am Samstagmorgen, dem 31.10., bevor ganz Frankreich es in der Zeitung gelesen hatte, in aller Stille auf dem vom Meer abgewandten Stadtfriedhof Le Py zu Grabe gebettet.

Das Satireblatt Le Canard enchaîné hat es so formuliert: Brassens casse sa pipe. Was wörtlich heißt: Brassens zerbricht seine Tabakspfeife. Und soviel bedeutet wie: hat seinen letzten Zug getan! Unvorstellbar, dass es in Deutschland, wenn einer der ganz Großen der Liedermacherbewegung einmal das Zeitliche segnet, in der Presse heißen wird: XY hat den Löffel abgegeben oder so. Da sind unsere Nachbarn, die Franzosen, selbstironischer veranlagt.

Brassens’ Flehentliche Bitte, einmal am Strand von Sète begraben zu sein (Supplique Pour Être Enterré Sur Une Plage De Sète, 1966, als er noch 15 Jahre zu leben hatte), ist natürlich symbolisch zu verstehen: dass es dort sein soll, wo er als Kind schon seine Freunde, die Delphine, sah: sur la plage de la Corniche. Aber die vielen Paragraphen der Leichenbestatter, in welcher Erde jemand liegen darf, haben diese Art letzter Ruhe leider nicht erlaubt.

Ein Essay von Walter Liederschmitt „Woltähr“

Sein Vater war Maurermeister, die Mutter Italienerin (aus Neapel); hatte schon eine Tochter, Simone, geb. 1912, als ihr erster Mann, ebenfalls aus dem Umland von Cette (wie man es damals noch schrieb), 1915 nicht mehr aus dem Krieg nach Hause kam; gebar in zweiter Ehe am 22.10.1921 Georges mit den starken Ärmchen: wie zufällig bedeutet brassens im Altfranzösischen homme aux bras solides. Ein phantasiebegabter Bursche außerdem, wie sich später herausstellen sollte. Ein Tagträumer und ein Nachtschwärmer. Die erste Liebschaft war (natürlich) eine Sirene, eine Fischfrau, die ihn auch die erste Gräte (dessen, was man so „Liebe“ nennt) schlucken ließ. Wie es in einer der 13 Strophen von Supplique ... heißt. Und wenn er schließlich da unter seinem Sandhaufen liegen wird, werden die Kinder rufen Fein! Eine Sandburg!, die Badenixen das Hügelchen als Windschutz nutzen, um sich umzuziehen oder sich dort nackt, ohne alles, mal zu einem Schläfchen abzulegen. Ich bitte Jesus schon im Voraus um Pardon, wenn der Schatten meines Grabkreuzes sich dann ein bisschen über sie legt, (wie) für ein kleines Glück, ein Nümmerchen, posthum noch - aber immerhin!

Diese Art Unverschämtheit, Freizügigkeit, Anarchie (im positiven Sinne) ist bei deutschen Liedermachern eher selten, bei den französischsprachigen selbstverständlich: Jacques Brel, Francis Cabrel, Yves Duteil, Jean Ferrat, Léo Ferré, Maxime Le Forestier, Serge Gainsbourg, Michel Jonasz, Georges Moustaki, Pierre Perret, Renaud Séchan, Boris Vian; neuere Gruppen wie Bénabar, Noir Désir, Les Mauvaises Langues, Tarmac, Têtes Raides u. v. a. Kein Wunder, dass viele von ihnen das eine und andere Chanson von Georges Brassens adaptiert haben und auf ihre Weise interpretieren: eigenwillig, deftig und ein bisschen stur - wie der große Meister es seinerzeit vorgelebt und in seiner Kunst zelebriert hat.

Quertreiber, unanpassbar, Anarchist

Er kommt 1940 zu seiner Tante, Schwester seiner Mutter, auch Italienerin, nach Paris. Und die hat ein Klavier! Er arbeitet in den Autowerken von Georges Brassens Renault - und kratzt das Geld zusammen für den Druck seiner ersten Gedichte. Die Nazis halten Paris, ganz Nordfrankreich besetzt, und die ihnen genehme frz. Ersatzregierung des Général Pétain in Vichy wird ein Gesetz verabschieden, dass Franzosen für den Obligatorischen Arbeitsdienst (S.T.O.) in Deutschland rekrutiert werden können. Anfang 1943 wird Brassens von der Mairie des XIV. Arrondissements eine Vorladung erhalten - und bald in einem Zug nach Basdorf bei Berlin sitzen: Ein Jahr lang wird er in einem BMW-Werk keine Autos, sondern Flugzeugmotoren für die Luftwaffe zusammenbauen. Lernt dort unter den Kameraden seinen späteren Geschäfteverwalter/Sekretär Pierre Ontoniente (genannt „Gibraltar“) kennen: der Freund und Helfer, was die praktischen Dinge des Lebens betrifft; schreibt erste Lieder (wie Pauvre Martin, sein Pendant zu den Moorsoldaten von 1933); kommt von einem Heimaturlaub im März ’43 einfach nicht mehr zurück, versteckt sich bei einer Freundin seiner Tante, Jeanne Le Bonniec, und ihrem Mann Marcel Planche (l’Auvergnat & l’hôtesse, la Jeanne aus den berühmt gewordenen Liedern) in einer Sackgasse im XIV. Arr., dem Impasse Florimont, abseits der Rue d’Alésia - und freut sich über die Befreiung durch Amerikaner, Engländer und den über die BBC stets aktiven Résistance-General de Gaulle im August ’44. Nicht ohne sich auch kritisch über die allzu forsche Art seiner Landsleute, so genannte Kollaborateure zu bestrafen, auszulassen: Das Mädel, das sich in einen deutschen Soldaten, Offizier, egal, verliebt und sich auch mit ihm eingelassen hatte - was mussten die der dann aus Rache noch die Haare scheren?! La Tondue (1965). Dass ich da nichts gesagt, nichts dagegen getan habe! Aber die Haarspalterei dieser schneidwütigen Hundescherer hat mir Angst gemacht. Ces coupeurs de cheveux en quatre ... Also hab’ ich mir wenigstens eine Locke von ihr aus dem Rinnstein gefischt, wie eine Blume angesteckt. Egal, ob die mich deshalb auch für suspekt oder was hielten.

Da ist er (immer) wieder: der Quertreiber, der Unanpassbare, der Anarchist! Er schreibt für das Anarchoblatt Le Libertaire und liest Korrektur, was andere, die der Grammatik nicht so mächtig sind, verbrochen haben. Er schreibt auch einen Roman, La Tour Des Miracles (1954 veröffentlicht), und arbeitet an seinen Liedmelodien mit einem alten Banjo, dann endlich mit einer eigenen Gitarre. Der Swing und der Zigeunerjazz von Django Reinhardt u. v. a., was an Musik damals so in der Luft lag, hat ihn nachhaltig geprägt. Wer ihn nachspielen will, muss sich gewiss sein, dass seine Gitarrenakkorde oft gar nicht so simpel sind ...

Das Lied von der Schäferin Margot

Am 6. März 1952 traut er sich endlich, nach einem Auftritt der Chanteuse Patachou auf dem Montmartre auf die Dame zuzugehen, ihr am Tisch noch spät in der Nacht eine Hand voll seiner Chansons vorzusingen: Au village, sans prétention, j’ai mauvaise réputation ... Auf dem Dorf - warum auch immer - hab’ ich einen schlechten Ruf: Die zerreißen sich die Mäuler über mich (außer den Stummen - die können ja nicht), die zeigen mit Fingern auf mich (außer wenn sie keine Arme haben), die würden am liebsten über mich herfallen (außer denen, die auf Krücken gehen) und mich gern hängen sehen, glotzen kommen, wenn ich gelyncht worden bin (außer den Blinden - denn die können ja nicht!)

Patachou, ihrem Mann, ihrem Freundeskreis, muss das kalte Hühnchen mit Salat im Munde stecken geblieben sein. Es war mucksmäuschenstill im Raum. Georges Brassens Alle spürten, dass sich hier eine kleine Sensation anbahnte. Margoton, la jeune bergère, trouvant dans l’herbe un petit chat ... Patachou hat es später selbst wunderbar süffisant interpretiert und auf Platte aufgenommen. Das Lied von der Schäferin Margot, die einem verloren gegangenen Kätzchen die Brust gibt! Und alle laufen sie zusammen, das zu sehen, Bürgermeister, Schulmeister, Pennäler und Messdiener, der Küster und die Gendarmen - nur die Frauen fragen sich, was ihre Männer da wohl zu gaffen haben ... In einer Ecke sitzt auch ein Kontrabassist namens Pierre Nicolas und hört sich das an. Er weiß da noch nicht, dass er bald Brassens’ ständiger Begleiter am Bass sein wird ... Und dann noch dies: C’est à travers de larges grilles ... Durch die Gitterstäbe eines Zirkuskäfigs bestaunten die Mädels (vor allem die!) einen mächtigen Gorilla, wegen seines ... na ja, meine Mutter hat mir streng verboten, das Ding beim Namen zu nennen. Das Tier bricht aus, der Affe ist los! Und hatte noch nie ’was mit einem Weibchen gehabt. Sieht da zwei Menschen in ihren Roben, eine alte Frau - und einen Richter! Was glaubt ihr, wen er sich da am liebsten vorgenommen hat? Den Mann vom Gericht, der auf dem Höhepunkt noch Mama! rief und weinte - wie der, den er morgens zum Tode verurteilt, dafür gesorgt hatte, dass dem der Hals entzwei geschnitten wurde! Und zack! Das hat gesessen! (Die Todesstrafe per Guillotine wurde erst in den 80er Jahren unter Präsident Mitterrand abgeschafft.)

Karriere in atemberaubendem Tempo

Schon am 19. März wurden für Polydor die ersten Plattenaufnahmen eingespielt: La Mauvaise Réputation (mit Le Petit Cheval, Text von Paul Fort, dann im Mai auf der ersten Single erschienen) - und Le Gorille (mit Le Mauvais Sujet Repenti auf Single im Juni); fünf Single-Scheiben (zehn Titel), noch mit 78 Umdrehungen/Min., bis Ende 1952.

Die Karriere des Georges Brassens kam in einem atemberaubenden Tempo in Schwung. Und doch hätte er am liebsten andere seine Lieder singen lassen. Wie Patachou es für ihn tat. Fühlte sich vor Leuten, auf einer Bühne, immer ziemlich unwohl, linkisch, unbeholfen. Aber Patachou und Pierre Nicolas, der Bassist, später auch Joel Favreau, der 2. Gitarrist, meinten, dass keiner besser als er selbst diese Nonchalance, diese Selbstverständlichkeit rüberbringen könne, so vertrackt-hinterlistige Verse abzukochen, diese Wörter, Silbe für Silbe, abzuschmecken, ganz genüsslich zu zerkauen, wie ein Gourmet sein Lieder-pot-pourri zu zelebrieren ...

Im einzigen Spielfilm, in dem Brassens auch mal in einer Nebenrolle erscheint, Porte Des Lilas (dt. Die Mausefalle, René Clair, 1956), sieht man zu Anfang in einem Pariser Bistro einen Thekensteher, der, vom Wirt unbemerkt, versucht, eine Flasche Wein von hinterm Tresen zu stibitzen; und wie zufällig schwenkt die Kamera herum und lässt den Blick auf einen einsam vor sich hin klampfenden Gitarristen frei: Brassens mit seinem wundervollen Lied über die Wälder von Paris, Freundschaft und Liebe - Au bois de mon coeur. Genau so wäre er am liebsten Zeit seines Lebens immer wieder mal auf- und wieder abgetaucht ...

Joha: Frau seines Lebens

Gleich nach dem Krieg, in dieser prickelnden neuen Aufbruchsstimmung, lernt er auch die Frau seines Lebens kennen: Immer wieder läuft sie ihm an Georges Brassens der Métrostation Plaisance (ein schöner Name: Freizeit, Erholung) auf dem Weg zur Arbeit über den Weg; und eines Tages, als sie sich einmal in der Métro, im selben Abteil, einander gegenüberstehen, wagt er sie anzusprechen. Joha Heyman, aus Estland gebürtig, Aupairmädchen in Paris, 1930, 19 Jahre alt; dann verheiratet, ein Sohn, Kriegsgefangenschaft des Gatten, die totale Entfremdung, Ehescheidung - und die Bekanntschaft mit Brassens, Jahre bevor er dann groß ’rauskam. Zeit ihres Lebens sind sie ein Paar - ohne je wirklich zusammen zu wohnen! Immer in getrennten Appartements, aber „um die Ecke“. 35 Jahre lang. (Ein bisschen wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.) Denn die Frau, die man liebt, ist zu schade zum Heiraten! Ein Mann - umgekehrt - also auch. La Non-Demande En Mariage (1966). „Ich hab’ dich lieb- / er nicht um / deine Hand gefragt; wir kritzeln / unsre Namen / unter keinen Akt.

Das Brassens-Museum in Sète (Espace B.), direkt am Friedhof, zeigt neuerdings ein Filminterview mit „Püppchen“ (wie er sie nannte), in dem sie sagt, dass sie nie groß darüber nachgedacht hätten, zu heiraten. Sie wusste ja auch, dass er im Grunde immer schon gegen so was war. Er hätte aber gegen Ende mal gesagt, dass er sie doch noch heiraten wolle, wenn es einmal ans Sterben ginge. (Wie z. B. der Bildhauer Auguste Rodin es tat.) Da habe sie abgewiegelt: Das müsse ja nicht auch noch sein, wo er so krank sei, da noch auf die Mairie zu latschen und so. Ach nein, lassen wir das jetzt mal schön bleiben... Joha Heyman, zehn Jahre älter als Brassens, stirbt 1999, 18 Jahre nach ihm. Und da es keine leiblichen Nachkommen von ihm gibt, ist der Sohn seiner Stiefschwester Simone, Serge Cazzani, der Alleinerbe (auch an den Rechten seiner Lieder). Der Einzige, der letzten Endes auch über die Übersetzungsrechte (z. B. ins Deutsche) entscheidet.

Allem und jedem gegenüber skeptisch

In Folge der politischen und kulturellen Umwälzungen des Mai ’68, der frühen 70er Jahre, erwarten natürlich viele Linke von Brassens auch mal ein Statement zu Vietnam - und den französischen Fallschirmspringern in Afrika! Zu Che Guevara, vielleicht. Oder zu den Gaullisten, der rechten Mehrheit im eigenen Lande, in der französischen Nationalversammlung. Was tut er? Bringt 1972 sein elftes Album heraus mit Mourir Pour Des Idées (mais de mort lente); will sagen: Für so Ideen, Ideologien, sogar zu sterben, na ja, d’accord, aber bitte ganz langsam, eines langsamen Todes, verdammt noch mal! (Nicht gleich, nicht jetzt schon - später mal. Vielleicht.) Sollen die Sprücheklopfer, Politapostel, Anführer aller Art, uns doch vorangehen, als Erste sterben, bitteschön! Wir lassen ihnen gerne den Vortritt! Lasst doch die anderen einfach ’ n bissjen leben: Denn das Leben ist so ziemlich ihr einziger Luxus in dieser Welt! Und schließt mit dem (fast wütenden) Appell: Schluss mit den Totentänzen ums Schafott! (Plus de danse macabre autour des échafauds.)

Das hat gesessen! Das hat die Linken wie die Rechten, die Sympathisanten der Guerilleros in Lateinamerika wie auch die Ewiggestrigen in den Veteranenverbänden, die stolzen Träger von militärischen Verdienstorden, gleichermaßen verstört. Dieser Anarchist, der allem und jedem gegenüber skeptisch bleibt, nichts und niemandem wirklich traut (nicht mal dem, was man so „die Liebe“ nennt) - außer den nächststehenden Freunden, Gleichgesinnten, Saufkumpanen, einer verschworenen Bruderschaft der Lebenskünstler im Kleinen (vgl. Les Copains D’Abord, 1965).

Man wird eines Tages den persischen Schah (1979), den kleinen König von Jordanien (Hussein, gest. 1999), Haile Selassie, den Negus von Abessinien/Äthiopien (1974), den alten General Franco in Spanien (1975) entmachtet haben, vielleicht auch die englische Krone mal im Sand wegrollen sehen - aber es wird immer wieder einen „Arsch“ geben, der die auf dem Thron Georges Brassens ersetzt! Wenig Chancen, den „Oberarsch“ (der Weltgeschichte) ein für allemal zu entthronen. Il y a peu de chances qu’on détrône le roi des cons.

Die Platte strotzt nur so von provokanten, auch frivol-erotischen Breitseiten gegen den „guten“ Geschmack, den „Anstand“, das moralische Getue (was man heute auch Political Correctness nennt). Werft keinen Stein auf die Frau, die mal fremdgeht - denn ich steh’ dahinter! ... 95 von 100 Malen langweilt(e) sie sich im Bett kolossal ... Doch denk’ ich an Fernande, an Félicie, an Léonore, dann steht er mir! Immer noch. So Gassenhauer, die unter die Gürtellinie zielen, sind in Frankreich immer schon populär gewesen. Und Brassens hat neue dazu erfunden.

Ein Lob auf die Klosterschwester

Das erste Mal, dass ich ihn live (oder vorproduziert) erlebt habe, war im Fernsehen, am Abend der Parlamentswahlen im März 1978 (als die Linke es immer noch nicht schaffte, aber drei Jahre später, mit Mitterrand), bei Freunden in Montpellier, als er zwischen den Wahlberichtserstattungen auch mal „einen spielen“ durfte: Gloire à la bonne soeur qui ... dégela dans sa main le pénis du manchot! Und mein Nachbar bricht in schallendes Lachen aus und kann sich gar nicht mehr einkriegen und ich frage mich: Wann wirst du mal so viel Französisch gelernt haben, dass du das auch spontan verstehen kannst? Also: Ein Lob auf die Klosterschwester, die einem Einarmigen mit ihrer Hand einen ’runtergeholt hat! Und DON JUAN - was der mit der, die sonst keiner lieben wollte, doch noch angestellt hat! (Leonard Cohen hat sie bereits in den Sisters Of Mercy, 1967, besungen.)

Das letzte (zwölfte) offizielle Album (von 1976) enthält auch den ganz erstaunlichen, wenn auch schwer verdaulichen, Chant-Song von der Messe für einen Gehenkten (La Messe Au Pendu): Antiklerikal und Georges Brassens fanatisch, der ich mit Vorliebe Ecclesiastiker verspeise (dieses Geständnis kostet mich eine Menge), plädiere ich doch für den Pfarrer hier bei uns - der, als der Mob einen Mann gelyncht hatte (warum auch immer), von der Kanzel herunter wetterte: „Tod jeder Art von Todesstrafe!“ (Die definitive Aussage von Brassens zu diesem Thema, nach der Gorilla-Satire von 1952.) Dieser „Pfaffe“ (ratichon) hat ja so einen Skandal vom Zaun gebrochen! - die Margeriten mit Weihwasser besprengt, die Hostien an die Vögel im Pfarrgarten verfüttert - und unter dem Baum, wo sie den aufgehangen hatten, eine Messe gelesen! (Einem Galgenstrick wurde... die heilige Handlung gewidmet, ... die Rolle des Christus ... von einem Gehenkten gespielt! (Gisbert Haefs, Zweitausendeins 1996.) Antiklerikale, Fanatiker, die nichts lieber als Popen verspeisen (WL) - wenn ihr euch jetzt einen Pfaffenauflauf reinschiebt (Haefs) - bitte: dass ihr mir den da aber doch verschont! Wahnsinn, was für Geschichten George Brassens manchmal so erfunden hat!

„Ich liebe nur Worte und Noten“

In einem seiner Interviews hat er ein paar sehr private Dinge verraten: Ich liebe nur Worte und Noten. Es gibt so viel Musik, so viele Wörter, die man lieben kann ... Ab und zu einige Mädchen (quelques filles de temps en Postkarte von Georges Brassens temps) - jetzt halt seltener... Ich finde, ich habe ein tolles Leben (une vie extraordinaire) ... Keine Kinder. Aber eine „Familie“, viele Freunde - und 1 Freundin (schon sehr lange). Ich bin ziemlich treu (je suis assez fidèle). Es ist, als wären wir verheiratet. Schon 26, 27 Jahre. (Das war 1972.) Aber Kinder fehlen mir nicht. Ich glaube, wenn ich Kinder gehabt hätte, hätte ich abgebaut (j’aurais été un peu gâteux; senil, altersdumm). Aber ich habe keine und sie fehlen mir nicht. Die Leute um mich, die im vorgerückten Alter Kinder bekamen, hatten sich davor kaum darüber Gedanken gemacht; z. B. Pierre, mein Sekretär, interessierte sich nie für Kinder: Als er dann eine Tochter bekam, vertrottelte er völlig! Und mir wäre es genauso ergangen. Aber ich will mich nicht fortpflanzen. Ich will, dass meine „Dynastie“ mit mir untergeht. Ich habe kein Vertrauen in die Zukunft. Je préfère ne pas me reproduire.

Im Espace Brassens in Sète liegt einiges Handgeschriebene von ihm in den Vitrinen. Auch die eine oder andere Textvariante zu seiner Supplique ... (s. o.) Au jugement dernier peut-être verra-t-on / Entre Agde et Frontignan un satané briton / Un enfant prodigue de Sète (!) / Qui prend un dernier bain de méditerranée / Qui fait un dernier trou dans les eaux satinées / Qui pique une dernière tête. Wie er es dann schließlich (1966) doch nicht auf Platte eingesungen hat. Schade, dass das nicht bekannt ist: Beim Jüngsten Gericht wird man vielleicht zwischen A. und F. so einen Satansbraten von einem „Briten“ zu Gesicht bekommen: den „Verlorenen Sohn“ aus S. - der ein letztes Bad im Mittelmeer nimmt, ein letztes Loch in die seidigen Fluten macht - ein letztes Mal jemandem eine Kopfnuss verpasst!


Eine Liste der exklusiv auf der Folker!-Webseite erschienenen Artikel findet ihr im go! Archiv.


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