back

Noten ohne Quoten

Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Nikolaus Gatter

Waschzettelzitat statt Rezension (Wunschtraum aller PR-Agenturen): „Blond und strähnig wie sie ist könnte man meinen, die 25-Jährige sei ein Sonntagskind, dem nie etwas Böses im Leben widerfahren ist. Doch LEA FINN, FinnLand (www.leafinn.de, Sony/BMG 82876 76970 2, 15 Tracks, 62:21, mit Texten) kennt nicht nur Fröhlichkeit und Optimismus, sondern auch Trauer und Schwäche, und das ist wohl der Grundstein für die Vielfältigkeit ihrer Songs“ (in denen sie u. a. Dalai Lama wie „Dalli’“ und die Olympiade auf „lym“ betont): „Dieses Album zu veröffentlichen ist wie ein erstes Kennenlernen bei einem Date“, dem allerdings „Mama, Papa und Didi“ ebenso beiwohnen wie andre, denen das Opus gewidmet ist, u. a. „meiner liebsten Meute: Schnubbi Freddymisn, meinem liebsten Aaaaandi, Stefn, Ines, Jana, Tobi, Iljy & Andrea und Johannes. Ihr seid Zucker, fett wie Bollerelse!“ Dem weiß ich nichts hinzuzufügen. - Um endlich auch für HEINZ-RUDOLF KUNZE, klare verhältnisse (Sony/BMG/Ariola, www.heinzrudolfkunze.de. 14 Tracks, 56:23, mit Texten) zu schaffen, sei hier ein für allemal festgestellt, dass seine Schnulzen die bei weitem sterilsten, dümmsten und fußeinschläfrigsten sind, die je auch nur in die Nähe einer Bewerbung für den Eurovisions-Contest gelangt sind (bei welchem Lea den niedlicheren Anblick böte). Zum handwerklich tadel- und dennoch reizlosen Rockabilly-Medley der mittleren 50er Jahre generiert der Kunze-Lyrikrechner (sollen wir’s Google Speak nennen?) aus einem Thesaurus von allenfalls 2.500 Einträgen ohne Random-Shuffle-Funktion die Texte. - Einen Großangriff auf die Ohrmuschelbänke probt der Sohn der Schwebebahn, SASCHA GUTZEIT, Großstadt Astronaut (www.SaschaGutzeit.de, Meteor MTR 03-0006, 23 Tracks, 76:18). Auf meinem Wuppertal-Faltplan kann ich jetzt abnadeln, in welchen locations Mitte der 90er der Blues von „Omma“ und „Oppa“ gesungen wurde. Kaum ist der Live-Liedersack umgestülpt und man glaubt, das Gesamtwerk hinter sich zu haben (das auch GEMA-listenfüllende Scherzartikel von 13 und 38 Sekunden umfasst), als auch schon ein neues Fass mit knapp 20 weiteren Mitschnitten, diesmal aus Kerpen (Eifel), hereingerollt wird: SASCHA GUTZEIT, Entschleuniger (www.SaschaGutzeit.de, Meteor MTR 03-0007, 19 Tracks, 77:45), hier in Begleitung eines die E-Gitarrenbünde flüssig traktierenden Ingo Meyer. Cooler Vortrag und ironisches Zwinkern sind Gutzeits Masche; ihre Lieblingsthemen (Romanzen, Roadmovies, Rost an der Beziehungskiste) belohnt die Fangemeinde (ein Tip: Saschas Rufnummer steht auf dem Entschleuniger-Cover!) durch Gelächter und Mitsingen. - Lustvoll wühlen auch OLLI SCHULZ und der Hund Mari, Warten auf den Bumerang (www.ollischulz.com, Runde Hunde Records/EMI, 11 Tracks, 36:46, mit Texten) in der Melancholie des Alltags, rocken heftiger und geben mit einer fundierten Basslinie den Liedern, die mitunter etwas minimalistisch ausfallen, mehr Körper. Freilich, „wenn die music nicht so laut wär’ / dann wär’ sie auch nur halb so schön“. Manches geschieht nämlich nur um des Reimes willen; dies führt zu Stilblüten von der „Reise, die sich gewaschen hat“ und der „Medizin, die am Boden hält und den Blick verstellt“. - Nicht weniger salopp synchronisiert BRUNO FRANCESCHINI & Band, Du kannst das alles haben (www.brunofranceschini.net, Kook, 13 Tracks, 55:25, mit Texten) seinen Reggae-Klangfilm. Während bei Ollie die Hühnchen „gack, gack“ und die Affen merkwürdigerweise „aff, aff“ machen, zankt Francheschini mit seiner Ex-Dompteuse um Ponys, Tiger und Tüpfelhyänen. Omar Sharif und Athina Onassis bekommen ihre Gastauftritte sowie einige am Schleichwerbungsparagraphen vorbeigeschmuggelte Markennamen. Anmutig ist der Song vom „Brötchen in der Brandung“, gingen dies und der kreative Buchstabentausch bei „Ich-WGs" evtl. aus kreativen Versprechern hervor? Weshalb aber die (als Signal zur Wiederbelebung der Cant’autore-Bewegung?) eingestreuten Italo-Songs mit deutlich heisererem Celentano-Rachenabrieb intoniert wurden, mag ein Rezensent mit Migrationshintergrund klären. - In weißer Klinikpackung empfehlen MATTHIAS STRAUCH/JOACHIM GOERKE, Lieder der Stille (www.lieder-der-stille.de, Sajema Music, 10 Tracks, 43:37) als medikamentöse Tranquilizer: „Sollten Sie gestresst sein oder gar Einschlafprobleme haben, kann ich Ihnen diese CD nur wärmstens empfehlen“, heißt es im Anschreiben. Das Titelstück weht aus den weißseidenen Nächten der Moody Blues heran und illustriert Systole und Diastole des Atems und der Meergezeiten; im Mittelteil setzt Goerkes Solopiano die Pausenzeichen. Von der Stimme des Strauch, der überdies auch noch melodisch pfeifen kann, geht etwas Hypnotisches aus: Wer garantiert, dass sich beim arglosen Hören keine suggestive Botschaft einschleicht („Du kannst mir alles sagen ...!“) und man nicht anderntags dem Universellen Leben beitritt oder die bibeltreuen Christen wählt? - Mit inniger Kraft und ungehemmter Spielfreude huldigen SCHORSCH & DE BAGASCH, mit offene Knia (www.mundartageh.de, BSC/rough trade 307.0042.2, 12 Tracks, 43:25) dem guten alten Rhythm ’n’ Blues mit Klampfe, Bass und Mundharmonika, wobei auch Bob Dylan freistaatlich eingemeindet wird („Zum Lacha brauchds an Haffa - zum Woana langd a Zug“). Der hier als Herausgeber zeichnende e. V. (keine AG-ntur) widmet sich bairischer Mundartpflege in der aktuellen Popularmusik und versammelt auf VERSCHIEDENE, Hart & zart vol. II. Neue Volksmusik aus Bayern (www.mundartageh.de, BSC/rough trade, 21 Tracks, 79:07) ebenso viele Songs wie Künstler, und die rocken, reaggen und rappen, dass die Schwarte krachledert, oft mit flotten Chorusgirls im Refrain. Beachtenswert sind auch die bisher nicht CD-dokumentierten Newcomer Sparifankel und Spiritus. - Indessen hielten die üblichen Verdächtigen (mit klingendem Segen der Hanns-Seidel-Stiftung) Einkehr im Kloster Banz: VERSCHIEDENE, Songs an einem Sommerabend. Das Jubiläumskonzert (www.plaene-records.de, Pläne 88935, 17 Tracks, 63:36): von Feidmann über Haindling und Hoffmann bis Wecker. Der einzige, der das Bühnenselbstweihfestspiel mit politischen Zwischentönen störte, war wohl Wader mit „Vater’s Land“ (wieso mit Apostroph?). Überzeugender als der sonst löbliche Bodo Wartke, der hier von den Originalen (Hoffmanns Brrrrel-Verschnitt und Meys Chansons) flankiert wird, haben Pigor und Eichhorn deren unerträgliche Tremoli und das R-Gerolle im „Hauptbahnhof von Paris“ parodiert. - 15 Kinder setzte die 87-jährige Traudl Well in die Welt, die auf „Schickt mi mei Voda“ die Zither zupft, und sie sind in Bayern das, was Paco de Lucia, Manitas de la Plata und die Gypsy Kings im Flamenco sind: als Wellbuam, Biermösl Blosn und WELLKÜREN, Forever (www.mood-records.de, MOOD Records/Zweitausendeins 6782, 17 Tracks, 56:12, mit Texten): ein Familienunternehmen. Neben der instrumentalen „Wellkürenpolka flott“ und allerlei Zitherweisen - der „Dritte Mann“ (von vielen, die noch kommen) wird aber gestrichen - finden sich eine Generalabrechnung mit schleimigen Salatfreunden („die Huraschnecken soll'n verreckn“) und ein benefiz-kritischer „Hunger-Hit“: „Kauft die neue Hungersingle, hey, kauft für die Armen ein!“ - Von Willy de Ville als „fucking great“ gelobt, fühlen sich Notty’s Jug Serenaders und NOTKER HOMBURGER, Nur in Konstanz (www.nottys-jug-serenaders.ch, CHAOS CACD8222, 14 Tracks, 48:29, mit Texten) richtig wohl, wo „jedes Fürzle zum Event wird“ und die Bodensee-Anrainer dem alten Schwerenöter Louis Napoleon (der sich hier militärisch ausbilden ließ) verdächtig ähnlich sehen. Fröhlicher, gegen Schwaben, Preußen, Schweizer und den Rest der Welt geifernder Volksliedchauvinismus geht mit stimmungsvollem, zum Fingerschnipsen verführenden Jugband-Shuffle einher: „Musik für jede Gelegenheit“?
Sollt’ ich noch mal heiraten, ich tät’ sie einladen. - In Daubach zählt das DUO BELLEVUE, Schon wieder ein Jahr (www.duobellevue.de, Benjamin Records BEN 1042-2, 16 Tracks, 53:34). In diesem legt die (laut Briefkopf) „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ namens Gabriele & Alexander Russ, die auch bei Kein Schöner Land auftritt, die vierte CD vor: mit „Gedanken an einem Tag“, Liebesballaden und (das können sie am besten) Mundart-Komik. - Nicht fürs Solidaritätsgeschunkel, sondern als Ansporn für streitbare Streikkomitees hat JOANA, Wir sind viele (www.joana.de, ver.di-Rhein-Neckar, 12 Tracks, 43:28, mit Texten) eine CD-Sonderauflage für ver.di mit Frauen-, Volks-, Mundart- und Zornesliedern eingespielt. - MAEGIE KOREEN trifft CLAIRE WALDOFF: Aus Gelsenkirchen geboren (www.chanson-cafe.de, Chanson Café/Ruhr Chansonnale CWB 3099, 16 Tracks) ist eine sorgfältig produzierte Collage aus historischen und neuen Aufnahmen, spannenden O-Tönen und Interviewauszügen, u. a. mit Friedrich Hollaender und Theo Lingen, als Hommage an „det Wappen von die olle Stadt Berlin“ (Tucholsky). Die Kabarettdiva des 20. Jahrhunderts ist allemal eine Wiederentdeckung wert und wird von der Chanson-Caféwirtin, wie sich im Vergleich nachprüfen lässt, temperamentvoll und kongenial interpretiert.

 

LEA FINN - FinnLand

HEINZ-RUDOLF KUNZE - klare verhältnisse

SASCHA GUTZEIT - Großstadt Astronaut

SASCHA GUTZEIT - Entschleuniger

OLLI SCHULZ und der Hund Mari - Warten auf den Bumerang

BRUNO FRANCESCHINI & Band - Du kannst das alles haben

MATTHIAS STRAUCH/JOACHIM GOERKE - Lieder der Stille

SCHORSCH & DE BAGASCH - mit offene Kni

VERSCHIEDENE - Hart & zart vol. II. Neue Volksmusik aus Bayern

VERSCHIEDENE - Songs an einem Sommerabend. Das Jubiläumskonzert

WELLKÜREN - Forever

NOTKER HOMBURGER - Nur in Konstanz

DUO BELLEVUE - Schon wieder ein Jahr

MAEGIE KOREEN trifft CLAIRE WALDOFF - Aus Gelsenkirchen geboren


zurück


Home


vor


Valid HTML 4.01!

Interesse? Dann brauchst Du die Zeitschrift!
Also den Folker! preiswert testen mit dem Schnupper-Abo!

Deutschsprachiges Lied
im Folker! 2/2007