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Gastspiel im Folker!

Vom Mythos des „Wilden Westens“

Von Walter Fuchs*

* Walter Fuchs war 35 Jahre lang als
Musikredakteur und Moderator für
Countrymusik-Sendungen beim
öffentlich-rechtlichen Rundfunk
wie auch bei privaten Sendern als
freier Mitarbeiter tätig.
(u. a. SWF/Pop Shop, SWF3, SDR3,
Radio Victoria, RPR, SWR1). Er ist
Autor zahlreicher Bücher, sein neuestes
Werk Das neue große Buch der Country Music
(Königswinter: Heel Verlag, 2005). Seit 2003
betreut und moderiert er für die Stadt
Bühl/Baden das jährliche
Internationale Bühler Bluegrass Festival.

„Uns’re Herzen schlagen für den wilden Westen“, so sang 1998 einmal eine deutsche Cowboykapelle. Unglaublich dieser Gefühlsausbruch, wenn man weiß, was sich in jener Ära des so genannten „Wilden Westens“ in Nordamerika abgespielt hat. Da wurden die Büffel zum Jagdvergnügen der Walter Fuchs Ostküstenmillionäre fast ausgerottet, Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung, und Verträge mit den Indianern wurden gebrochen. Diese bedauernswerten Menschen wurden in meist unwirtliche Reservate, die „badlands“, gedrängt und mussten dabei noch froh sein, wenn sie mit dem Leben davon kamen. Meist wurden die Indianer von der US-Armee, ob Männer, Frauen oder Kinder, gnadenlos niedergemetzelt und im Tode noch verstümmelt. Selbst „General“ George Armstrong Custer, einer der unbarmherzigsten aller Indianerjäger, gab sich einmal in einer Aussage über die Situation der Ureinwohner Amerikas verständnisvoll: „Wäre ich ein Indianer, würde ich es unbedingt vorziehen, mich jenen Angehörigen meines Volkes anzuschließen, die auf den freien offenen Ebenen geblieben sind, anstatt mich den engen Grenzen einer Reservation zu unterwerfen, um dort der Empfänger der segensreichen Wohltaten der Zivilisation zu sein, deren Laster ohne Maß oder Einschränkung mit dreingegeben werden.“ Bei einem der letzten großen Massaker an den Indianern am Wounded Knee im Dezember 1890 wurden von 350 Indianern über 300 umgebracht - es waren Männer, Frauen und Kinder. Vier Tage nach Weihnachten brachten die Soldaten noch ein paar zerfetzte und blutende Indianer in die Episkopalkirche der Indianeragentur am Pine Ridge. Ein paar Kerzen brannten und über dem Altar stand: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Häuptling Big Foot, der bei dem Gemetzel am Wounded Knee umkam, fasste das furchtbare Schicksal der Indianer einmal in einem Satz zusammen: „Die Weißen haben uns viel versprochen, mehr als ich aufzählen kann, aber gehalten haben sie nur ein Versprechen: Sie schworen, unser Land zu nehmen, und sie haben es genommen.“

In den USA wurde der Mythos vom „Wilden Westen“ schon sehr früh von vielen Magazinen und Zeitungen, allen voran Harper’s Weekly gefördert. Der Cowboy wurde zum Helden hochstilisiert und der gesamte „Wilde Westen“ romantisiert. Hollywood war später mit seinen Westernfilmproduktionen ebenso fleißig bemüht, um die Geschichte dieser gewaltsamen Landnahme zu beschönigen und glattzubügeln. Die Bösen waren dabei fast immer die „Wilden“, die Indianer, und bei Fehden unter den Weißen siegten immer die Guten, die Bösen wurden bestraft. In Deutschland setzte etwa ab 1825 eine Welle der Begeisterung für den amerikanischen „Wilden Westen“ und dessen Klischees von Gut und Böse ein. Die Quellen dafür waren Coopers „Lederstrumpf“-Erzählungen und danach Karl May mit seinen „Winnetou“-Romanen, die in Deutschland zu echten Rennern wurden.

Noch heute leidet Deutschland unter einer „Wildwest-Euphorie“ - und damit auch die Countrymusikszene. Die in Deutschland weit verbreitete Verklärung des „Wilden Westens“ mit seinen Trappern, Indianern und Cowboys und die daraus aus Unwissenheit, vielleicht auch aus Dummheit hergestellte Verknüpfung mit der Countrymusik haben immer wieder zu Irritationen geführt. Countrymusik ist keine „Wildwest“-Musik und wenn in den Texten der Countrysongs auf die Pionierzeit der USA Bezug genommen wird, dann in sehr realistischer Weise. Wo ist sie denn, die „Wildwestromantik“? Etwa in den Songs von Johnny Cash, „Apache Tears“ oder „Old Apache Squaw“, in denen er über das furchtbare Schicksal der Indianer singt? Und wo ist die Romantik in dem hochaktuellen Song „Who’s Gonna Build Your Wall?“, in dem Tom Russell die geplante über 800 Meilen lange Mauer zwischen Mexiko und den USA anprangert? Countrymusik ist eine unmittelbare Reflexion des Alltags, und da ist kaum Platz für Romantik, zumindest nicht bei jener „Unterschicht“, der wir die Countrymusik zu verdanken haben, dem „poor white trash“. Und wenn in Deutschland in Verbindung mit Countryfestivals und Countrynächten vom „gemeinsamen Zelebrieren der Musik des Wilden Westens“ gesprochen und geschrieben wird, dann ist dies schlicht und ergreifend falsch und ein Zeichen von Unwissenheit.


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