back

Folker! präsentiert:
folkBALTICA

Hommage an den Zufall

Moscow Art Trio

Traum von einer Welt ohne Grenzen

go! www.jaro.de
Discographie
(Auswahl)

Moscow Art Trio
Hamburg Concert
(JARO, 1996)
Instead Of Making Children

   (JARO, 2006)

Mikhail Alperin
Portrait
(JARO, 2000)
At Home
(ECM, 2001)

Mikhail Alperin & Arkady Shilkloper
Wave Of Sorrow
(ECM, 1990)

Arkady Shilkloper
Presente Para Moscou
(JARO, 2005)
Zum Gipfel und zurück -
   Neue Alphornmusik
(MGB, 2006)

Das Moscow Art Trio spielt
bei folkBALTICA wie folgt:

22.04.07: Flensburg,
   Hauptbühne „Alte Post“, 20.00 Uhr

Weitere Infos, auch über das gesamte
Programm unter www.folkbaltica.de

Als junge Musiker hatten Mikhail „Misha“ Alperin, Arkady Shilkloper und Sergej Starostin eines gemeinsam: eine Allergie gegen russische Volksmusik. Keiner hätte jemals den Gedanken gewagt, in einem kühnen Entwurf russische roots, Jazz und eine Art Neoklassik in einem Trio zu vereinen. Alles geschah rein zufällig. Daraus wurde ein nunmehr 17 Jahre währender Synergieeffekt unter dem Namen Moscow Art Trio.

Von Birger Gesthuisen

Misha Alperin spielte schon mit fünf Jahren Mozart auf dem Klavier, aber seine Schule waren die jüdischen Hochzeiten in Moldawien, wo er von Abba bis Klezmer alles spielen musste, was sich zum Tanzen eignete. Von seiner Herkunft zeugt noch sein musikalischer Witz: „Wenn Menschen ein paar tausend Jahre Verfolgung erleiden, dann fangen sie an zu lachen, um nicht mehr so viel zu leiden. 90% meiner Musik ist selbstironisch“.

Gelangweilt von Volksmusik und Klassik folgte ein Protest in Form einer Heavymetal-Phase. Zwischendurch flog er noch von der Musikhochschule, weil er ein Hauptfach wie „Die Geschichte der kommunistischen Partei“ dort ziemlich deplatziert fand. 1983 ging er nach Moskau, um improvisierten Jazz zu spielen. Er wurde ein erfolgreicher Solist, wenn es nach der Anzahl der Konzerte geht. „Damals gab es mindestens 50 Festivals und viele luden mich immer wieder ein. Im Westen bedeuten Festivals eine Menge Geld. In der Sowjetunion bedeuteten sie: viel Publikum und wenig Geld. Einmal die Woche schickten mir meine Verwandten aus Moldawien eine Kiste mit Früchten und Gemüse, die ich jedes Mal am Bahnhof abholte. So überlebte ich damals in Moskau.“

Ungewöhnliche Geburtstunde

Eine Zeit lang hatte er ein Zimmer, wo er Piano üben konnte. Eines Abends bemerkte er, dass jemand draußen vor dem Fenster stand. Er fragte ihn, was er hier wolle. Arkady Shilkloper war zufällig vorbeigekommen. Der Hornist im Orchester des Bolschoi-Theaters war gerade dabei, sich zunehmend von musikalischen Vorlagen zu lösen, und wurde hier auf offener Straße inspiriert. „Als ich ihn zum ersten Mal in Moskau hörte, beeindruckte mich seine Originalität: Die melodische und dynamische Struktur war sehr eigenwillig und folgte nicht Jazzklischees wie Thema-Variation-Thema-Variation. Das war eine Musik, wie ich sie selber gerne spielen wollte.“ Die beiden bildeten ein Duo und veröffentlichten bei ECM Wave Of Sorrow. 1989 gastierten sie in Ostdeutschland. Als sie abends schlafen wollten, drang aus dem Nebenraum ein fürchterlich lauter Gesang: Sergej Starostin feierte dort mit einem Chor eine wodkagetränkte Party. Misha Alperin klopfte nachts wütend an die Tür und sagte: „Entweder ihr seid still oder wir spielen zusammen!“ Das war die Geburtsstunde des Moscow Art Trio.

Sergej Starostin überraschte Alperin und Shilkloper mit einer russischen Volksmusik, wie sie auch in russischen Städten kaum bekannt ist: weite, Moscow Art Trio ornamentreiche Melodien, die eine Weite in sich tragen, als wollten sie Tundra und Taiga überbrücken. Er selbst studierte zunächst am Moskauer Musikkonservatorium Klarinette. Wie seine Kollegen verband auch er mit den russischen Wurzeln touristische Klischees wie „Kalinka“ oder „Moskauer Nächte“. „In der offiziellen Musikausbildung an der Hochschule kam die ländliche russische Volksmusik überhaupt nicht vor.“

Sergej Starostin kam - natürlich völlig zufällig - zur traditionellen Musik. Als bei einer Reise für musikalische Feldaufnahme ein kräftiger Kommilitone als Helfer für den Transport der Aufnahmeausrüstung gesucht wurde, meldete er sich und wurde überrascht: „Auf dem Land entdeckte ich eine Welt, die ich überhaupt nicht kannte. Dort existierte eine Parallelwelt, die mich geradezu schockierte: professionelle Künstler mit einer Musik, die dich unmittelbar ergreift.“ Später sollte er im russischen Fernsehen in mehr als hundert Sendungen diese ländlichen Musiken (und auch die anderen Musiken der Welt) vorstellen ...

Suche nach einem gemeinsamen musikalischen Ausdruck

Die Anfänge des Trios waren geprägt von der Suche nach einem gemeinsamen musikalischen Ausdruck für einen Jazzpianisten, einen klassischen Hornisten und einen Volkssänger. Noch unter dem Namen des Bandleaders Mikhail Alperin erschienen die ersten beiden CDs auf dem JARO-Label, wo seitdem alle CDs des Moscow Art Trios veröffentlicht wurden. Sie hatten noch einen folkloristischen Touch durch den Einbezug eines Chores und einiger Bearbeitungen traditioneller Stücke. Lange Zeit bestimmten schroffe Wechsel die Musik der drei Künstler. Ganz allmählich verschmolzen im Laufe der Jahre Klavier, Horn und Gesang zu einer Einheit. Sergej Starostin fungierte in der Anfangszeit mehr als folkloristisches Dekor. Mittlerweile bringt er eigene Lieder ein. Heute werden keine traditionellen Stücke mehr bearbeitet, obwohl die Musik noch immer traditionelle Klangfarben ausstrahlt und die Stimmungen zwischen Trauer und ausgelassener Freude pendeln. Arkady Shilkloper sagt: „Viele Zuschauer meinen noch heute, wir spielten traditionelle Stücke. Aber wir machen schon seit einigen Jahren unsere eigene Volksmusik. Wir verändern uns. Wir reifen. Früher war das Moscow Art Trio voller Kontraste. Da wurde alles Mögliche in wilder Weise durchmischt. Wir waren jung und hungrig. Nun ist alles viel entspannter und geschmeidiger. Das war eine ganz natürliche Entwicklung.“

Gegen Stillstand und Langeweile

Die Entwicklung des Trios ist Konzept, denn nichts fürchten die drei Musiker so sehr wie den Stillstand und die Langeweile. Sein Unbehagen damit bringt Misha Alperin anhand der gegensätzlichen Musikauffassungen von Klassik und Jazz zum Ausdruck: „Die Einstellung der klassischen Musiker basiert auf einer einfachen Philosophie: Du empfängst dein ganzes Leben lang ein Fertigprodukt. Der Komponist gibt dir sein Paket, alles ist vorher geklärt - von der ersten bis zur letzten Note. Alles klingt perfekt! Jazzer bewegen sich oft im anderen Extrem: Sie interessieren sich nicht sonderlich dafür, was dabei herauskommt. Sie haben sich an diesen freien Müll gewöhnt. Beide Haltungen befriedigen mich überhaupt nicht. Ich versuche, sie miteinander zu verbinden.“

Aus einem Zufallstrio wurde eine Freundschaft dreier sehr unterschiedlicher Charaktere, die eines der interessantesten Ethnoprojekte überhaupt schufen. Im letzten Jahr feierten alle drei Musiker ihren 50. Geburtstag, weit voneinander entfernt, denn: Arkady Shilkloper folgt seinen internationalen Verpflichtungen als gefragter Hornist mittlerweile von Wuppertal aus, spielt im Jazzquartett Pago Libre und legte gerade eine furiose Alphorn-CD vor, die in der Schweiz erschien. Der Sänger Sergej Starostin blieb in Moskau, wo er weiterhin in Film und Fernsehen die eigentlichen russischen Musiktraditionen vermittelt. Der Bandleader und Pianist Misha Alperin hat in Oslo eine Professur für „Improvisation in der Klassik“. Er komponiert auch für sein zweites, deutsch-norwegisches Trio. 2001 war sein Album At Home die erste Piano-Solo-CD von ECM nach Keith Jarretts legendärem Köln Concert.

Auch wenn sich die drei Musiker von vielen musikalischen Seitensprüngen anregen lassen, so besteht eine gemeinsame Konstante im Moscow Art Trio, in dem Misha Alperin seine Vorstellungen verwirklicht sieht. „Dieses Trio ist für mich wie ein Traum von einer Welt ohne Grenzen.“


Eine Liste der exklusiv auf der Folker!-Webseite erschienenen Artikel findet ihr im go! Archiv.


zurück


Home


vor


Valid HTML 4.01!

Interesse? Dann brauchst Du die Zeitschrift!
Also den Folker! preiswert testen mit dem Schnupper-Abo!

Moscow Art Trio –
nur online auf
www.folker.de