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Märzrevolution 1920

„Wer die Geschichte nicht kennt und das Heute nicht sieht, hat keinen Plan - was morgen geschieht“

Die Grenzgänger & Frank Baier

Lieder der Märzrevolution 1920

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Discographie

Die Grenzgänger & Frank Baier
März 1920
(Müller-Lüdenscheidt-Verlag, 2005)

unterwegs:
16.03.07: Hattingen, Altes Rathaus
20.03.07: Düsseldorf, zakk
21.03.07: Oberhausen, Ruhrwerkstatt
22.03.07: Bochum, Kulturrat Bochum
23.03.07: Duisburg,
   Bezirksbibliothek Rheinhausen
27.03.07: Sprockhövel,
   IG-Metall-Bildungsstätte
21.04.07: Duisburg, Alte Feuerwache

Tag für Tag ballern uns Fetzen heilsgeschichtlicher Choräle des Neoliberalismus um die Ohren, schrill, angsteinflößend, machen uns dumpf mit dem immer gleichen, dummdreisten Refrain, es gebe keine Alternative zu Reformen, weil das die Globalisierung sei. Darben für den Dax, die Menschen, ihre Leistungen, Wünsche, Träume - ausgetrieben ... wie die Geschichte. Immer tiefer versinken auch Teile der Kultur im geistigen Morast. Mehr Radiostationen als je zuvor, doch überall das gleiche La-La Karfreitag 1920: Freikorpssoldaten pausieren neben erschossenen Rotarmisten am Bahndamm von Möllen neoliberaler Leitkultur, je profaner die Liedchen, umso häufiger werden sie gedudelt.

Die Zeiten, in denen Sendungen wie „Musik vor der Schule“ junge Menschen mit Klängen der Liedermacherszene („... lieber Rudi Dutschke, würde vati sagen ...“, Franz Josef Degenhardt in „Vatis Argumente“) oder damaliger Popmusik („Power To The People“, John Lennon) fit fürs Aufmüpfigsein im Klassenzimmer machten, die sind lange vorbei. Solche Töne lassen sich mit Glück nur noch nach langem Gefummel am Radioknopf auf ein, zwei Sendern finden, ein Mal in der Woche vielleicht, irgendwann nach Mitternacht; auch Weltmusik gibt’s fast nur noch im Morgengrauen. Und dann so was: Februar 2006 in Berlin, die kleine Nebenbühne des Festivals „Musik und Politik“ betreten Frank Baier, Michael Zachcial und die Grenzgänger. Etwas abgehetzt, noch bis zuletzt waren sie mit dem Eintüten ihrer neuen CD März 1920 und dazugehörigem Booklet von 68 Seiten [!] beschäftigt. Keine Sorge, was dann abging, hatte so gar nichts mit nervigem Runterklampfen von Politliedern zu tun.

Von Brigitta Huhnke

Barbara Boock, Deutsches Volksliedarchiv Freiburg:
„Ich bin beeindruckt! Ich finde es sehr gut und wichtig, an die Märzrevolution zu erinnern, und ich wünsche Eurer CD viele Hörer!“

Josef Krings, langjähriger ehemaliger Bürgermeister von Duisburg:
„1920 - da ging es um den ersten Versuch nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg, einen demokratischen Staat zu gründen. Die Demokratie hatte wenige Freunde. Der Kapp-Putsch sammelte alle militanten Gegner. Er scheiterte am Generalstreik der Arbeiter - wie ihr richtig darstellt, aber die Saat ging in der NS-Diktatur auf. Ich wünsche, dass Euch viele Menschen zuhören. Es geht ja nicht nur um Kapp, es geht um Menschenrechte und Menschenwürde.“

Folkmagazin:
„Die Gruppe hat ohne Zweifel ein hochinteressantes Konzept ... Es werden nicht nur musikalisch deutsche Wurzeln bekannt gemacht und aufgearbeitet, sondern das Konzept erlaubt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Wurzeln.“

Deutschlandradio:
„Dass die Grenzgänger und Frank Baier seit Jahren auf der Liederbestenliste ... zu finden sind, ist kein Wunder. Wer so ernste, schwere Themen so gekonnt und eindringlich interpretiert, gehört zu den großen Ausnahmen im Musikgeschäft.“

... mehr Stimmen im Heft!

Die beiden Sänger, Baier und Zachcial - der dritte, Ghandi Chahine fehlte leider in Berlin -, mit Akkordeon, Gitarre und Ukulele, begleitet von den exzellenten Grenzgänger-Musikern Arne Wagner am Kontrabass, Jörg Fröse (Mandoline, Banjo, Ukulele, Geige) und Friedemann Bartels am Schlagzeug, skiffeln, rocken, reimen und rappen nichts weniger als die Geschichte der vergessenen Revolution zurück. Dabei einfach nur sitzen bleiben, fällt schwer. Frech ziehen sie gleich rein: „Hörst du jetzt mal her, hörst du jetzt mal zu, / worum es hier geht, ist ein Tabu - / die Revolution von 1920.“ Es folgt knallklare Geschichtsunterweisung, mit Fakten, historischen O-Tönen, vor allem aber mit Liedern dieser Revolution, mal stolz-aggressiv, dann wieder in getragener Moritat, manchmal haucht nur ein langgezogener Ton oder ein Takt, keck auf der Geige, der Ukulele oder vom Bass gezupft, dem bisweilen sehr Emphatischen der alten Lieder liebevoll Ironie ein. Trotz praller Lust an Gesang und Spiel bleiben doch ständig Trauer und Wut präsent, um das, was fast einmal hätte sein können: eine deutsche Revolution. Ein Jahr später: zwei Monate lang auf Platz 1 der Liederbestenliste mit dem „März-Rap 1920“, den Baier zusammen mit Ghandi Chahine getextet und komponiert hat. Die Fachwelt überschlägt sich, bisweilen so, als hätten diese Folkavantgardisten das deutsche politische Lied neu entdeckt. In Schulen begeistern sie Kids und Lehrpersonal. Und schließlich gab es folgerichtig den Deutschen Schallplattenpreis. Jetzt im Frühjahr 2007 gehen Frank Baier und die Grenzgänger im Ruhrpott systematisch auf Tournee, da wo die Revolution am mutigsten war.

Unterdrückte Revolutionen machen ein Volk krank

Für Sebastian Haffner, den großen deutschen Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts, auch ein Vorbild der Musiker, war die SPD bereits 1918 zur „Kindsmörderin“ verkommen, weil sie schon damals gegen Arbeiter- und Soldatenräte hatte schießen lassen. Als der Rechtsradikale Kapp im März 1920 mit Freikorps und Teilen der Reichswehr, darunter auch die berüchtigte, mit Truppen der Roten Armee in Dinslaken Hakenkreuz und Reichskriegsflagge dekorierte Brigade Ehrhardt, die SPD-dominierte Regierung in Berlin verjagte, erhoben sich am 14. März landesweit Arbeiterinnen und Arbeiter. Dies geschah „aus einer spontanen Solidarität des Denkens und Fühlens heraus“, schreibt Haffner, „demokratisch und antimilitaristisch.“ Am tapfersten waren die Revolutionäre und Revolutionärinnen im Ruhrgebiet, wo am Ende der Streikwoche mindestens 50.000 Bewaffnete das Land unter Kontrolle hatten. Kapp war dann zwar bald geschlagen, die alte Regierung zurückgekehrt. Der aber fiel nichts Besseres ein, als die Reichswehr, also die gleichen Soldaten, von denen sie vorher noch verraten worden waren, nun gegen die Arbeiter marschieren zu lassen, die gerade die erste demokratische Regierung gerettet hatten. Mindestens 2.000 Menschen wurden ermordet, davon allein 1.000 im Ruhrgebiet, wahllos abgeknallt, viele mussten vorher noch ihr eigenes Grab schaufeln, wurden gefoltert, auch davon berichten die Lieder. Besonders brutal gingen die Schergen auch gegen die „roten Huren“, also Arbeiterinnen, Köchinnen und Krankenschwestern vor. Der von den gleichen Kräften organisierte Mord an Rosa Luxemburg war erst ein Jahr her. „Es sind nicht die siegreichen, es sind die erstickten und unterdrückten, die verratenen und verleugneten Revolutionen, die ein Volk krank machen“, so Haffner lakonisch, mit Blick auf 1933.

Arne Wagner Frank Baier Jörg Fröse Michael Zachcial

„Du kannst aber ohne Wissen nicht schreiben, nicht singen“

„Und dich wundert, warum das alles so läuft - / warum sich statt der Hoffnung - / die Gleichgültigkeit häuft.“ So heißt es im preisgekrönten „März-Rap 1920“ mit Blick auf heute. Genau dieses „Warum“ hat Ghandi Chahine Anfang der 90er Jahre umgetrieben. Damals, als Rechtsradikale in Mölln, Lübeck und Solingen Angehörige von Minderheiten ermordeten, Teile der Regierung unverhohlen Schuld bei „Ausländern und Asylanten“ suchten, wurde auch seine Angst, sein eigenes Trauma wach. Als Kind war er 1977 mit seinen Eltern aus dem Libanon geflohen und ist dann in Witten aufgewachsen - „meine Heimat“, sagt er noch heute. Nun, in der Pogromstimmung der Bundesrepublik, tat er sich „mit anderen Ausländerköppen“ zusammen, gründete die Sons of Gastarbeita, die nicht nur als HipHop-Formation sondern auch für ihre viel beachtete Kinder- und Jugendarbeit bekannt sind, wofür sie 2003 Bundespräsident Johannes Rau auszeichnete. „Wir haben dann damals in Bibliotheken nach Antworten gesucht. Wir hatten ja keine Ahnung. Du kannst aber ohne Wissen nicht schreiben, nicht singen.“ Später studierte Chahine Geschichte. Die roten Urgroßeltern des Ruhrpotts gehören zu seinen Vorbildern. „Ich bin sehr stolz auf sie, toll, beeindruckend, auch, dass unsere Gedanken nicht die ersten sind.“


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