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Noten ohne Quoten

Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Nikolaus Gatter

CORA CHILCOTT singt Brecht, Weill, Eisler (www.corachilcott.de, ligeia, 15 Tracks, 50:07): kraftvoll und klar mit Volker Jaekel am Reißnagel-Piano, wobei sie auffallenderweise zuerst die Herrenabteilung plündern (die, wo man Gutmenschen auf den Hut haut, auf Kanonen wohnt und mit Paff und Puff nach Birma segelt). Wirft Cora die Dreigroschen-„Songs“ (wie Brecht sie nannte) mit ironischer Verve vor die Säue, so wird die Mackie-Messer-Ballade mit schmeichelzartem Gurren umflort. - Marco „Sacco“ Sacchetti, der als „Joe Cocker vom Bodensee“ gelten will, und Roland „Tole“ Gust sind die Männer von LENNOX CF, Deutsch und deutlich (www.lennoxcf.ch, Brambus Records 200618-2, 12 Tracks, 59:46, mit einem Text); und nicht nur dies, „zäh wie Leder“ stehen sie seit 1981 auf der Bühne und „senkrecht mitten im Leben“, und wo bleibt der Kruppstahl? Nur in ihren Beziehungskisten sind sie rechte Jammerlappen, seufzen „was dir zu wenig ist, das ist mir oft zu viel“, und wenn „irgendwann alles vorbei“ ist, tjahaha, dann entpuppen sie sich als fiese, ins Mikro röchelnde „Stalker“. - „Die Namensgebung verdankt die Truppe einem befreundeten Imker“, erläutern in ihrer Selbstdarstellung HONIG, Varroa (www.honigband.com, Frisin Records, 11 Tracks, 42:30, mit einem Text). Rückkopplung haut aufs Ohr, schwingt auch mal stereophon hin und her („Stärker als der Tod“), soll wohl so sein. In schleppendem Hochdeutsch werden trübsinnige Trennungsgeschichten erzählt und mit akzentuierter Gitarre, dominierendem Bass und Fender-Rhodes-Piano swingende Moiréeffekte geschaffen. (Was das heißen soll? Na, wenn Soundwellen gegeneinander kräuseln ...) - Eine dritte Männerband benimmt sich SCHEE DANEEM, Wo is schee daneem? (www.scheedaneem.de, Mundart Ageh/BSC/Rough Trade 307 0023.2, 18 Tracks, 54:20) und klingt auch so. Salz, Inn und Altach bilden wie der Mississippi ein Delta, aus dem die sieben Herren sprudelnden Dialekt und Spiellaune abpumpen. Hier macht man Schluss per SMS, ist „mega-gaga“ im Hirn und geht auf den Handyweitwurfcontest („Da Mensch“). - Noch danebener wirkt im Münchner Norden TIGER WILLI, Papageil (www.tigerwilli.de, Lawine/Sony BMG 88697024302, 13 Tracks, 65:43, mit einem Text) mit seinen zu konventionellem R ’n’ B schallend vorgetragenen, abstrusen und meist jugend-unfreien Ideen (Orgien auf dem Marienplatz, einbeinige Metzgergesellen onanieren auf dem Scheunenboden u. dergl.). - Besser behagt uns das preisgekrönte, ebenfalls bayerische Wortspielduo FALTSCH WAGONI, Nicht ganz Dichtung: Wortbeat-Satire - Live im Mainzer Unterhaus (kip/NRW Vertrieb 6032, 23 Tracks, 64:48, mit Texten), das in überschnappender Liveatmosphäre Binnenreime generiert und den Substantiv-zu-Verb-Konverter auf volle Leistung dreht. Ihr Thema ist das „Land des Schwächelns“, bevölkert von Exrauchern, einem Gesundheitswesen und „Möchtegern-Soldatinnen“. - Der fröhliche Arbeitswelt-Gegner LEO LUKAS, Lebenslänglich (www.knowme.at, Know me L 003, 17 Tracks, 57:05, mit Texten) schreibt einen Brief („Sehr geehrter Islam“) mit PS an den Papst, beargwöhnt seinen werkelnden Nachbarn („Wos baut der do?“) und will „bis die Vorhaut glüht“ im Duett „rudelpudern“ mit einer nachnamenlosen Irene S. („Bonobo Song“). Das Publikum diesseits von Passau wird’s danken, dass sein Weanerisch in vielen Liedern nur noch Milieuakzente setzt und im Textheft auch noch brav eingedeutscht wird. - Was der Bohemien im Absynth findet, das sucht DIRK LOOMBEEK In den Tiden der Stadt (www.dirk-loombeek.de, Hörrausch, 10 Tracks, 31:54, mit Texten). Ein heiterer Akkordeonauftakt (André Kolin gibt, gemeinsam mit Claudia Fox am Flügel, melodisches Fleisch ans Liedgut), der Gesang blechern wie kein Bakelittelefon mit Wählscheibe und Hörmuschelhorn je die Stimme verzerrt haben mag („Zehn krumme Finger“ u. a.). Mit der Banalität des Wirklichen kommt der Sensiblo, der in Tagebüchern seiner Angebeteten schmökert („Unsinn unserer Zeit“) und „ein Stück Erich Fried“ bei seiner Brieffreundin vermisst, nicht ins Reine. - DORLE & BAND, Ich will nicht warten ... (www.dorle-schausbreitner.de, DF-CD 1005, 13 Tracks, 62:00, mit Texten) hat auch ohne Tontechniktricks eine energische, höhensichere wie tiefenstarke Stimme, der sie im Dialog mit den quietschfidelen Saxophonen von Carola Heiner melodisch allerdings nicht viel abfordert (in einer Nebenrolle bedient Walter Liederschmitt die Konzertina). Für ihre Moritaten von Außenseitern, Frömmlerinnen und Scheidungsopfern ist grusliges Kleinstadtidyll mit verwaistem Industriegebiet der rechte Psychotatort. - Sein Haus bzw. den Garten mit einer Rückblicks-CD bestellt hat GOISSAHANNES, 25 Jahre „beschd oph“ (www.goissahannes.de, CH 16, 18 Tracks, 60:33), auf ein erquickliches Wiederhören mit alten Zugnummern wie „Auf d’r Alb“, „Tango-Franz“ oder NS-Widerstandsliedern wie „Im Walde von Sachsenhausen“ und „Illegales Flüsterlied“. - 60 geworden ist mittlerweile auch GEORG DANZER, Träumer (www.universalmusic.at, Universal / Amadeo 987 863-3, 14 Tracks, 54:22, mit Texten), der sich auf seinem nunmehr 40. Album als Dylanologe offenbart und den Rückzug in die freiwillige Schlichtheit seiner Folkanfänge vollzieht: kraftlose Sentimentalität, durchsetzt mit flauen Zoten („Ein Tampon und ein Kondom“, „Schwester Maria“, die das Viagra ans Bett bringt usw.). „I fürcht mi ned wann i abends auf die Bühne geh“? Bei so niedriger Fallhöhe kein Wunder.

... außerdem eingetroffen:
OLLI SCHULZ UND DER HUND MARIE, Rückspiegel (L-Labels/EMI 3773732, 4 Tracks)
SCHINDERHANNES/DENK: heit nocht (www.universalmusic.at, Single-CD, 3:43)

 

LENNOX CF - Deutsch und deutlich

HONIG - Varroa

SCHEE DANEEM - Wo is schee daneem?

TIGER WILLI - Papageil

FALTSCH WAGONI - Nicht ganz Dichtung: Wortbeat-Satire

LEO LUKAS - Lebenslänglich

DIRK LOOMBEEK - In den Tiden der Stadt

DORLE & BAND - Ich will nicht warten...

GOISSAHANNES - 25 Jahre „beschd oph“

GEORG DANZER - Träumer


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Deutschsprachiges Lied
im Folker! 1/2007