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Es gibt DVDs, CDs und spezielle Serien, die sich den herkömmlichen Kriterien einer Rezension entziehen. Gerade in einer Zeit, in der Tonträger preiswert produziert werden können und die Menge an Veröffentlichungen inflationär ist, sind anspruchsvolle Serien besonders wichtig. Engagierte Vorhaben, ganz gleich ob tatsächliche oder angebliche, müssen sich mit strengeren Maßstäben messen lassen als z. B. eine ordinäre Kompilation. In diesem Heft schreibt Michael Kleff über die 3-CD-Edition

O bittre Zeit - Lagerlieder 1933 bis 1945

go! www.diz-emslandlager.de

O bittre Zeit -
Lagerlieder 1933 bis 1945

3 CDs, 81 Tracks, 225:00
mit zwei jeweils 64-seitigen Booklets

     O bittre Zeit - Lagerlieder 1933 bis 1945

Das Jahr ist noch jung und schon hätte ich einen Vorschlag für den diesjährigen Preis der deutschen Schallplattenkritik zu machen: Die vorliegende Sammlung von Liedern, die in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in Gefängnissen, Zuchthäusern und Ghettos ebenso wie in den Konzentrations-, Strafgefangenen- und Vernichtungslagern des Regimes erklangen, hätte es verdient. Unter dem Titel O bittre Zeit - Lagerlieder 1933 bis 1945 hat das Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Emslandlager in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rundfunkarchiv und der Akademie der Künste, Berlin, drei CDs veröffentlicht, auf denen 81 Aufnahmen dokumentieren, was die Menschen in Situationen der Erniedrigung, des Eingesperrt- und Ausgeliefertseins, in Verhältnissen des Terrors und Todes geschrieben und gesungen haben.

Die Absicht der CD-Edition beschreibt Fietje Ausländer im einführenden Bookletartikel als „liedhistorisches Dokumentieren“ und gleichzeitiges „Erinnern“ an die, in vielen Fällen ermordeten Liedautoren. Ausländer, der das Lagerliedprojekt gemeinsam mit Susanne Brandt und Guido Fackler konzipiert und im Verlauf von zwei Jahren realisiert hat, stellt auch die Frage nach der Aktualisierung des Materials: „Wie ist mit ihm heute umzugehen? Sollte man die Lieder von damals überhaupt noch singen?“ Folgt man den vorliegenden CDs, lautet die Antwortet eindeutig: „Ja“. Im Wissen, dass eine „neue künstlerische Auseinandersetzung mit Lagerliedern ... mitnichten mit dem Anspruch geschehen [kann], die ursprüngliche Entstehungs- und Singsituation im Lager möglichst ‚originalgetreu‘, ‚authentisch‘ wiederzugeben“, wurden fast 30 durch das Projekt initiierte Neuproduktionen aufgenommen. Zu den beteiligten Gruppen sowie Interpretinnen und Interpreten gehören u. a. die Grenzgänger, Bente Kahan, Daniel Kempin, die Künstlergruppe arbeit (Augst, Daemgen, Korn), das Ensemble DRAj und der Ernst-Busch-Chor Berlin. Hinzu kommen die Stimmen der überlebenden Verfolgten mit bislang unveröffentlichten Archiv- und anderen seltenen Aufnahmen. Darunter u. a. Material des 1954 in der DDR eingerichteten Arbeiterliedarchivs, das unter der Leitung von Inge Lammel 1961 und 1962 ehemalige kommunistische Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen und der Emslandlager eingeladen hatte, um über ihre Erinnerungen an Lieder und Gesänge im KZ zu reden und zu singen. Vertreten ist auch der 1982 in Krakau verstorbene Lagerliedforscher und Lagersänger Aleksander Kulisiewicz. Unter seinen alten Tonbändern und Platten fand sich, in einer veränderten, „Hymn“ betitelten Version, auch das wohl bekannteste aller Lagerlieder - „Die Moorsoldaten“.

Die CD-Edition des Dokumentations- und Informationszentrums Emslandlager belegt eindrucksvoll, von welcher Vielfalt die Lieder sind, die im Lageralltag entstanden sind, als, wie Fietje Ausländer schreibt, „Mittel zur Herstellung und Festigung von Identität, Würde und innerer Stärke in inhumanen Verhältnissen, als Ablenkung und Form psychischer Entlastung (etwa durch ironisch-spöttische Beschreibungen des Lagerlebens), als Gesänge der Hoffnung und Sehnsucht, der Trauer und des Leids ...“. Dabei liegt der Schwerpunkt der Auswahl auf Liedern, deren Text und Musik in den Lagern entstanden sind, oder auf populären Liedern aus der Zeit vor der Haft, die mit einem neuen Text versehen wurden.


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