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Wo die kulturelle Identität noch existiert

Québecs new-trad-Musik

Die Tradition lebt weiter

Als eine in Neuengland aufgewachsene Musikerin hatte ich mir nicht vorstellen können, eines Tages als Zuwanderin in einem anderen Land zu leben, eine andere Sprache zu sprechen und mich einer traditionellen Claude Méthé and Dana Whittle Musikform hinzugeben, die mir unbekannt war. Bis ich mit der mittlerweile verstorbenen frankoamerikanischen Sängerin und Förderin ihrer Kultur, Martha Pellerin, vor zehn Jahren das Duo Jeter le Pont gründete. Als ich kurz darauf den Québecer Geiger Claude Méthé heiratete, wurde es erst richtig interessant, denn ich begann eine eigenständige Kultur und ihre Musik zu entdecken, die direkt vor meiner Haustüre lag, gerade mal über die kanadische Grenze hinweg.

Von Dana Whittle*

Wer, was, wann und wo
Québec ist riesig, und jede Region hat unzählige Musiker und Sänger sowie eigene Festivals oder Musikzentren. Dazu hier ein kleiner Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Das Centre Mnémo (go! www.mnemo.qc.ca) hat sich ganz dem traditionellen Tanz und der traditionellen Musik gewidmet. Es veröffentlicht eine Druck- und Onlineversion des Guide Mnémo, in dem hunderte Québecer Musiker, Tänzer, Erzähler und Bands nach Regionen und Schwerpunkten zusammengetragen sind. Dazu kommt ein Veranstaltungskalender, in dem u. a. die eher lockeren, traditionellen Sessions in Privathäusern verzeichnet sind.
In der Region Lanaudière findet man das Festival Mémoire et Racines (www.memoireracines.qc.ca). Dutzende bekannter Namen gehören zu den eingeladenen Künstlern, darunter La Bottine Souriante, Les Charbonniers de l’Enfer, Denis Fréchette und viele andere. Das Cégep in Joliette (eine Bildungseinrichtung etwa vergleichbar mit einer Fachhochschule) spezialisiert sich auf Musik und ist die erste und einzige Hochschule, die traditionelle Musik als Studienfach in Québec anbietet. Kein Wunder, dass man von dieser Gegend als dem Herz der traditionellen Musik der Provinz spricht.
Mehr Informationen im Folker! 1/2007!

Um die Besonderheit der traditionellen Musik Québecs zu erfassen, ist es gut zu wissen, dass das frankophone Québec heute die Heimat der wohl homogensten Bevölkerungsgruppe Nordamerikas ist. Obwohl man in ganz Kanada verstreut frankophone Gemeinden findet, stellen die Québecer die größte dieser Gruppen dar. Wenn man einige Zeit hier verbringt, entdeckt man, dass sich französisch sprechende Québecer in meinem Alter - 48 Jahre und jünger - als Québécois bezeichnen, obwohl Québécois mehr mit Nationalität zu tun hat. Die Eltern und Großeltern jener bezeichnen sich aber eher als Canadien, wollen damit aber eigentlich „Frankoquébecer“ sagen. In Québec bezieht sich der Begriff „national“ auf die Provinz Québec, in den anderen Teilen Kanadas meint man damit allerdings das ganze Land. Ist die Verwirrung jetzt vollkommen? Die komplizierte Thematik von Sprache und gewollter Eigenstaatlichkeit machen das Leben hier äußerst interessant. Jeden Tag lerne ich etwas hinzu, das oft widersprüchlich erscheint.

Vor fünf Jahren zog ich ins ländliche Québec, nach Lanaudière. Die Gegend liegt ungefähr anderthalb Autostunden nordöstlich von Montréal und ist bekannt für ihre Musiktraditionen. Es scheint, dass sich das Leben hier in den letzten 200 Jahren nicht viel verändert hat, hinzugekommen sind Claude Méthé lediglich Überlandleitungen, Autos, skidoos [motorisierte Schneeschlitten; Anm. d. Red.] und all-terrain vehicles.

Sangesfreudige Schüler

Diese äußerst homogene Gesellschaft bietet, besonders in dieser Region, der Musikkultur im ländlichen Québec eine solide, lebendige und La Veillée du Plateau ausgesprochen gut erhaltene Grundlage. Ein Bekannter, Lehrer in einer Grundschule, war sehr überrascht von seinen sangesfreudigen Schülern aus Saint-Côme, die, als sie mit dem Bus das Schulgelände verließen, einen so genannten chanson à répondre anstimmten und nicht aufhörten zu singen, bis sie an ihrem Ausflugsort angekommen waren - und dabei kannte jeder der Schüler den Text. Mit meinen Kindern hatte ich ähnliche Erlebnisse, auf dem Weg zur Schule wurde im Bus gesungen, selbst die aus den höheren Klassen machten mit.


* „Amériquoise“ Dana Whittle ist Musikerin, Künstlerin, Gründerin und Präsidentin der l’Association Folquébec, einer gemeinnützigen Organisation zur Förderung von talentierten Folkmusikern in Québec (go! www.folquebec.com). Mit ihrem geigenden Ehemann und ihren drei musikalischen Kindern lebt sie auf dem Land in der Nähe von Sainte-Béatrix in Québec. Kontakt über go! dana@vizou.com oder go! www.vizou.com.

Eine längere Version dieses Artikels erschien zuvor im Bulletin of the North American Folk Music and Dance Alliance und im Magazin der Bluegrass & Country Music Association of Italy. Für die deutsche Fassung des hier leicht gekürzten Beitrags sorgte Delf Maria Hohmann.


(Fast) Zwei Hände voll CDs aus Québec

Die stolze frankokanadische Provinz Québec ist aus recht unterschiedlichen Gründen leider selten Thema in den Seiten dieser Zeitschrift. Daher haben sich in den letzten ein bis zwei Jahren auch einige CDs in der Redaktion angesammelt, die sicherlich keinen repräsentativen Eindruck der Folkmusik in Québec vermitteln, aber einen interessanten Einblick in die Bandbreite der dortigen Szene geben.

Zunächst einmal gehört die Vorstellung in den Mülleimer, dass es in Québec nur frankophile Folkmusik gibt. Die Provinz ist schließlich zweisprachig und z. B. die Heimat der kanadischen Folklegende Penny Lang. Ihre unwiderstehliche und erdige Art, jedwedes Lied zu ihrem ureigenen zu machen, ist sehr gut auf der CD Live At The Yellow Door (She-Wolf Records SWPL-9702-2, www.pennylang.com, 18 Tracks, 51:37) zu erleben, live aufgenommen in Kanadas ältestem Coffee House. Mit rauer Bluesstimme und nur von akustischer Gitarre begleitet, singt sie Eigenes und Klassiker wie „If I Had A Hammer“ oder „Palet On The Floor“ zur hörbaren Begeisterung des sangesfreudigen Publikums.

Auch John Horrocks wohnt in dieser Provinz, und er ist ein klassischer Singer/Songwriter mit einer Stimme, die manchmal an James Taylor erinnert. Auf Heart And Soul (Empress Records ERCD 2006, www.empressrecords.ca, 12 Tracks, 38:42) beweist der erfahrene Künstler, dass er nicht nur gefühlvolle Kleinode schaffen kann, sondern auch sehr gekonnt die akustische Gitarre pickt.

The Echo Hunters stehen eher für klassischen akustischen Folkrock. 20 Years (She-Wolf Records SWEH-001, www.echohunters.com, 12 Tracks, 53:54) erinnert nicht nur wegen der Quartettbesetzung an Crosby, Stills, Nash & Young. Die engen Harmonien sind ganz klar das Pfund, mit dem die Herren wuchern können.

Hatten die bisherigen Künstler trotz guter Musik vielleicht den dezenten Nachteil, dass sie eine Québec-Identität vermissen lassen, so ist das bei Laura Risk nur oberflächlich genauso. Auf 2000 Miles (Eigenverlag, www.laurarisk.com, 14 Tracks, 54:17) ist nur eines zu hören: Scottish fiddle music at its best. Dennoch beweist die in Kalifornien geborene Musikerin, dass es in Québec keine musikalische Einbahnstraße gibt. Schließlich kennt die lokale Musik z. B. Reels zur Genüge, und Laura Risks exzellente Begleitband (Gitarre, Bass, Piano und Percussion) steht ebenso fest im Lager der traditionellen Musik Québecs.

Und die gibt es ausführlich im Oktober jeden Jahres zu hören, und zwar auf dem Festival international des arts traditionnels de Québec. Ausschnitte aus den Jahren 1990 bis 2001 sind auf einer Doppel-CD zu hören (SCOR 5, www.cvpv.qc.ca, 33 Tracks, 116:16). Das Festival mit dem knackigen Kürzel FIAT beschränkt sich nicht auf Musik, die CD jedoch sehr wohl. Das „international“ im Namen darf man allerdings nicht zu weit fassen, der Schwerpunkt liegt eindeutig vor der Haustüre, aber auch die keltischen Kollegen (s. o.) lädt man gerne ein.

Suroît bezeichne ich einfach mal als Québecs Antwort auf Runrig - Folkrock für die großen Hallen. Prends Le temps (Octant Musique OCCD-9199, www.octant.ca, 13 Tracks, 47:03) birgt einiges an traditionellem Material, geht aber generell wegen dominanter Instrumente wie Gitarre, Schlagzeug und Bass eher in Richtung Rockpop, doch den Stil beherrschen sie ohne Frage sehr gut.

Aber dann geht die Post so tierisch ab, wie sie nur in Québec abgehen kann. Genticorum sind drei jüngere Herren, die mit Flöte, Bass, Gitarre, Maultrommel, Fiddle und vor allem der typischen Percussion mit den Füßen auf einem Holzbrett eine Energie erzeugen, die jede Heavy-Metal-Band vor Neid erblassen lässt. Malins Plaisirs (Roues et Archets RA006, www.rouesetarchets.com, 12 Tracks, 54:47) beweist überdies, dass die Jungs auch noch wunderbare Sänger sind, die jedes Festival hierzulande aufmischen würden.

Und dann sind da noch Les Batinses. Nicht so richtig Québec-Folk, obwohl sie das auch können. Mehr Musik aus aller Welt, und daher waren sie auch 2003 in Rudolstadt beim Kanada-Schwerpunkt. Wer erinnert sich noch an das wilde Stagediving spät im Heinepark? Ja, Energie pur zwischen Reels und Rumba, und da trifft es sich gut, dass die CD Eaux-de-vies (Seppuku sepcd 8988, www.lesbatinses.com, 12 Tracks, 50:07) nicht nur live aufgenommen wurde, sondern auch mit einer eineinhalb1½-stündigen DVD ausgestattet ist, die das optisch und unterhaltsam belegt.

Mike Kamp

 


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