... in der 33. Fernsehwoche: Grass offenbart SS-Mitgliedschaft; 34. Fernsehwoche: Wickert interviewt Grass; 35. Fernsehwoche: Grass verabschiedet Wickert; 36. Fernsehwoche: Wickert durch Tom Buhrow ersetzt (und zwar nahtlos: die gleiche onkelige Zwinkerlichkeit, das nasenstupsgutmütige Deppengrinsen; fehlt noch der enzianblaue Rückstrahlerblick, der ließe sich durch kolorierte Kontaktlinsen imitieren); 38. Fernsehwoche: Buhrow zitiert in einer Moderation den Hauptmann von Köpenick als „bekannte deutsche Romanfigur“.
Wer hat ihn je gelesen, den Roman des vergessenen Wilhelm Schäfer (1868-1952)? Populär wurde Schuster Voigt doch erst durch Zuckmayer-Rührstück, Rühmann-Film, Lincke-Couplet (Räuberlieder-CD der Leipziger Folk Session Band!). Wickert hätte es gewusst; sein Vater Erwin, seit 1939 für Hitlers Außenministerium („Kulturabteilung“) in Asien unterwegs, Rundfunkattaché in Shanghai, wo das große jüdische Flüchtlingsghetto war, und im NS-verbündeten Tokio, zwischen ’45 und 1955 folglich erst mal „freier Schriftsteller“ im Genre Hörspiel beim Rundfunk (wo Sohnemann später untergebracht wurde), bevor Bonn ihn als Gesandten in London und Bukarest rehabilitierte - Erwin Wickert hätte Schäfer gekannt, den Verfasser der nationalen Deutschen Reden (1933) und zu Wutausbrüchen neigenden Senator der gleichgeschalteten Dichterakademie. Schäfer, dies ist für Glossenschluss vorzumerken, publizierte in Das Innere Reich, Heft 12, März 1937 das „Leben und Werk meines Sohnes Hermann W. Schäfer“.
Buhrow hat Geschichte studiert, in Bonn, wo man mit Köpenickiaden nicht durchkommt: 8.00 Uhr s. t. tägliche Brandenburg-Preußen-Vorlesung bei Prof. Hubatsch (nur mal als Beispiel) - der muss inzwischen in der Hölle bei Friedrich II. dem „Großen“ im Tabakskollegium sitzen und französisch parlieren. Und nachts kürzte Buhrow nach knallharten Recherchen in der Rhein-Sieg-Redaktion des General-Anzeigers den Artikel über die kaputte Bedarfsampel hinter Pützchens Markt ein. Das war Ulrich Wickerts Sache nicht. „Ich bin zum Journalismus“, erklärte (laut Welt) der Gefeierte schmunzelnd, „durch einen Zufall gekommen: weil ich Geld verdienen wollte.“ „Zufällig“ will das sonst keiner, die meisten treibt ja die nackte Not! Wo er doch zu Paris auf der Schule war, schickte man ihn bei der ARD immer zu den frankophonen Terminen, z. B. zu Gott in Frankreich (den hatte allerdings schon Friedrich Sieburg interviewt). Buhrow musste die berüchtigten Sprachtests bestehen (Latein, Französisch, Englisch), die Geschichtsstudenten in Bonn abverlangt werden (wie ist Helmut Kohl bloß an den Doktortitel gekommen?!).
Und nun also, ohne sächsisches Genitivapostroph: Wickerts Bücher. „Wickerts Bücher“? Die seines Vaters? Oder seine eigenen, von HoCa-Lektoratssklaven aus der Philosophiegeschichte tausendblättrig zusammenkopierten? Das Ressentimentlamento der Zukurzbestochenen: „Der Ehrliche ist der Dumme“? Thomas Baumann, ARD-Chefredakteur und Koordinator Politik, Kultur, Gesellschaft erläutert: „Ulrich Wickert kennen die meisten Fernsehzuschauer als Anchorman der Tagesthemen. Er ist aber auch Autor zahlreicher Bücher und Romane und ein vorzüglicher Literaturkenner.“ Moment mal - soviel ich weiß, hat z. B. Reich-Ranicki Romane en gros geschlachtet, war aber weise genug, keine zu schreiben. Das riecht ja denn doch nach Gschmäckle, die Kumpelei ist vorprogrammiert, „wenn uns“ - immer noch Baumann - „Ulrich Wickert die Welt der Bücher ebenso kompetent, sympathisch und mit dem ihm eigenen ‚trockenen Humor‘ nahe bringt wie das tägliche Weltgeschehen“. Und eine geruhsame Nacht.
Zuletzt wurde zur besten Sendezeit doch mehr auf die schwerzüngigen Versprecher der alten Rotweinnase geachtet als auf die Nachrichten. Die Grass-Befragung - vorgezogene Nullnummer der Wickertbücher, eine Zivi-fragt-Grantlopi-behutsam-nach-seinen-Wünschen-Nummer - geriet (laut Spiegel) zum „netten Gespräch unter Freunden“. Und jode Fründe stonn zesammen, wie man am Rhein sagt. Freuen wir uns auf das Meinetante-Deinetante zur Buchmesse: Lobst du meine Neuerscheinung, lob’ ich deine Sendung, krieg’ ich bei dir ’ne Glosse, kommste bei mir ins Bild. Mit Elke Heidenreich wurde das Modell in der FAZ vorgeprobt (noch nicht ganz serienreif, nach drei ihrer „E-;ails an Promis“ war sie wieder draußen). Mal abwarten, wann Schirrmacher bei Wickert den Methusalemkomplex therapieren, wann Schätzing von der Poesie des Haifischbeckens schwärmen darf. Anno 2008 kommt der Moderator ins Pensionsalter, dann kann Buhrow den Buchladen übernehmen. Und ob dann der über 80-jährige Grass dem über 90-jährigen Erwin Wickert den Nachruf hinterhersendet oder umgekehrt, wer will das dann noch ernsthaft wissen!
Nikolaus Gatter
www.lesefrucht.de
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