Noten ohne Quoten
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied
von Nikolaus Gatter
Für jedes neue Coverfoto kostümiert er sich bunter und drischt dem
Publikum seit Tag und Jahr postmoderne Lebensweisheiten auf: RINGSGWANDL,
Der schärfste Gang (Sony/BMG 82876 878602, www.ringsgwandl.de, 13
Tracks, 41:18, mit Texten). Bei ihm heißt Lovely Rita „Vroni“, und wie
der Dichter und Hobbychemiker Johannes Trojan anno Domini 1894 ein passendes
Metrum für das Trimethylvinylammoniumoxydhyrat entdeckte (den achtfüß’gen
Jambus), so kriegt Ringsgwandl auch einen
archäopterygiodicephalotyrannomegacarnophilen Saurier ins Liedschema
eingepasst. - Natürlich will man wissen, wofür der Vorname steht bei kw.
TIMM & BAND, Heut wird’s schön (www.mv-nrw.de, AO-NRW 3043,
www.kwtimm.de, 14 Tracks, 56:44, mit Textauswahl) - kaum wahrgenommen?
Kann wegbleiben? Klo wischen muss er mitunter, montags, nach mehrstündiger
Marathonsitzung. Der Urberliner (hoffentlich ist er nicht aus Bernau, sonst
hat mich die Leserbriefpolizei am Wickel) bluest herum, murmelt bis ins
Unverständliche hinein und zieht eine flotte Mundharmonikas durch die Zähne.
- Keine Kuh halbieren oder gar Unterhosen falten, nein, der CD-Titel sagt,
was er will, der RAINER BIELFELDT: Sänger sein (Bielfeldt-Records
BLR 010, 12 Tracks, 57:40, mit Textauswahl) - aber kein „Liedermacher“.
Seine introvertiert am Piano vorgetragenen, selten pathetisch auftrumpfenden
Liebeslieder, sind - wie’s zu ihm passt - größtenteils von Frauen und zwar
nüchtern, ohne Schwulst und stellenweise sehr brillant (Wiebke Wimmers
„Comes Love“) getextet. - Den „loop“, seinen musikalischen
Vervielfältigungsapparat sollte man ebensowenig antatschen: MICHAEL
SCHIEFEL, Don’t Touch My Animals (Act Music + Vision 9711-2,
www.schiefel.de, 14 Tracks, 51:20). Zur Lufttrompete bläht er
multitaskfähig die Backen, schnalzt Rhythmen durch intragutturale
Saugtätigkeit, was ihm den Lehrstul in Weimar einbrachte, und der Name
Schiefel ward mit ehernem Griffel in Behrendts Jazzbuch geschrieben. Singt
er „Deutsch“, wird ihm mulmig, vielleicht weil Reimklammern, an denen die
Texte wie laffe Laken aufgehängt sind, in den Ohren kneifen? - Der Bar jeder
Vernunft entstieg u. a. das schwiegersohntaugliche Kabarett MALEDIVA,
Ab heute verliebt! (tacheles! RD 2633281, www.malediva.de, 20 Tracks,
65:41), welches homophonen Zweierkistenalltag in Zwischentexten
veralbert und in Songs romantisch verklärt. - Ein Hetero-Gegenstück bildet,
gemeinsam mit Ben Süverkrüp, TINA TEUBNER, Aufstand im Doppelbett -
Lieder, Kabarett, Unfug (li:d records/Indigo 1-0606, Conträr 53,
www.tinateubner.de, 22 Tracks, 77:36, mit Texten). Diese
Beziehungscomedy (schönes doppelstimmiges „Beschimpfungsduett“) schöpft
billige Lacher aus dem kleinbürgerlichen Alltag. In ihren Songs wird die
reife, ernstzunehmende Lyrikerin sichtbar (z. B. „Nächtliches Liebeslied“).
- Den Löffel wird so schnell nicht abgeben, wer sie auslöffelt, die von den
Meistern des wehtuenden Wortspiels, sprachlichen Slapstick-Slalomisten und
reimstarken Reinreibern angerührte SCHWARZE GRÜTZE, Das schwarze
Album (Rillenschlange/Rough Trade RILL001/06, www.schwarze-gruetze.de,
21 Tracks, 61:04). Sängen sie nicht manchmal einen Tick zu schnell,
risse der Tonmeister die Regler im anhebenden Applaus nicht so brutal
herunter, diese Produktion könnte fast perfekt heißen. „Namenslied“ (warum
sein Kind nicht Adolf nennen?) steht in allerbester Weimarer
Kabaretttradition und ist trotz Eulenspiegel-Empfehlung taufrisch. -
Es beginnt mit geheimnisvoll tröpfelnden Pianoklängen und steigert sich bis
zu furiosen Klarinettensoli, wenn BOBO Lieder von Liebe und Tod -
Volkslieder aus verschiedenen Jahrhunderten; Kompositionen von Sebastian
Herzfeld (www.bobo-in-white-wooden-houses.de, 11 Tracks, 30:39)
singt. Sie bedient das im deutschen Volksmund so beliebte Kindchenschema mit
Gezwitscher. Des Mädchens Wunderhorn dudelt erfrischend professionell
Sebastian Herzfeld. - Noch mehr Nena-Verschnitt und Kindergartenpoesie im
Beatles-Soundgewand bietet KIRA, Wenn du den Himmel nicht
aufmachst (Single-CD, Virgin/EMI 3659722, www.kira-online.de, 3 Tracks,
9:55). - Mit monophon synthesizerbespülten Selbstermutigungen,
kategorischen Imperativen und Leidensbeschwörungen („Ich leid’ an dir,
verrückt nach dir, Gott helfe mir!“) nervt BEATE RINGENBERG, Wund
gewartet (Red Farm Records, 11 Tracks, 45:17, mit Texten). Sie
sollte besser Cäcilie oder eine der Musen anrufen. Neuer Rechtschreibung
gemäß ist nicht nur „wund gewartet“, sondern auch „blind geliebt“ - aber wie
nun: augenzukneifende Emotionsverstrickung oder Sehbehinderte mit
Herzensneigung? - Mit professioneller Soulstimme, Fleming’s joy
gewissermaßen, röhrt ELKE VOLTZ, Nah am Himmel (www.elkevoltz.de,
11 Tracks, 43:48, mit Texten). Eine deutsche Fassung von „I Can See
Clearly Now“ gelingt ihr ebenso wie fingerschnippansteckender Calypso.
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