„Ob wir rote oder braune Kragen ...“

Die neue Rechte und die alten linken Lieder

www.walter-mossmann.de

Es war das Thema beim diesjährigen Pfingstgespräch auf der Burg Waldeck: „Völkische Mystiker tummeln sich längst auch in der Neofolk-, Darkwave- und Esoterikszene - und eine Garde unplugged tümelnder Barden bestreitet mittlerweile das ‚Kulturprogramm‘ so mancher NPD-Veranstaltung“ [aus der Einladung zum Vortrag des Mediensoziologen und Rechtsextremismusforschers Lutz Neitzert; Anm. d. Red.]. Die neue Rechte versucht, an bündische Traditionen und die fortschrittlichen Festivals auf der Burg Waldeck in den 60ern sowie an Protestsongs aus den 70er Jahren anzuknüpfen. Dabei schrecken sie nicht vor Vereinnahmung und Missbrauch geistigen Eigentums anderer für ihre rechte Propaganda zurück. Zu den Opfern gehören u. a. Peter Rohland, Erich Schmeckenbecher, Hannes Wader und auch Walter Moßmann, der zu diesem Thema die folgenden Gedanken formuliert hat.

Liederdiebe

Von Walter Moßmann*

Eines Tages seh’ ich zufällig im Internet, dass irgendwer sein braunes Süppchen kocht auf der Resthitze meiner ollen Verse von anno dazumal (ich bitte Sie, frühe 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts!). „Liedg(l)ut“ nennen die das dann auch noch so sinnig ... - ach, du grüne Neune! Lechts und Rinks schon wieder mal zum Velwechsern?

Betroffene

Eine gewisse „Ballade vom Hexenhammer“ wird da gehandelt von NeuRechten, NeuNazis, von „gothic“ und „magic people“, eine ganz offen antisemitische Nordische Zeitung - Stimme des Artglaubens (tatsächlich: „Artglauben“!) druckt den Text ab, ebenso ein „Magisches Forum für Hexen, Heiden, Magier, Schamanen“, und eine unverfälscht germanisch ländlich-sittlich kostümierte Gruppe mit dem Namen „Die Birkler“ bringt den Song als „volkliche Musik“ (tatsächlich: „volklich“!) gleich zweimal auf CD. Als Vertriebsadressen find’ ich lauter einschlägige: Deutsche Stimme Verlag (NPD-Parteivorstand), Wotan-Versand, RockNORD oder auch der Verlag Bublies aus (auch das noch!) Schnellbach, das wie Dorweiler (= Burg Waldeck) zur Verbandsgemeinde Kastellaun gehört.

Zunächst hat es mir einfach die Sprache verschlagen, no comment. Dann schickt mir Lutz Neitzert eine Tonaufnahme des Hexenhammer-Liedes, wie es die Birkler präsentieren. Ich hör’ mir den Kram an und bin schwer gelangweilt, denn das ist unglaublich schlecht, was die da für 15 Euro verkaufen. Die „Ballade vom Hexenhammer und vom Schiess-Erlass“ (so der originale Titel) stammt aus dem Jahr 1974 und war eine unmittelbare Antwort auf den so genannten Radikalenerlass der Stuttgarter Landesregierung von 1973. Jener historische Erlass trug den treffenden Namen „Schiess-Erlass“, weil nämlich Filbingers Innenminister tatsächlich Karl Schiess hieß.

Das Jahr 1974 - verdammt lang her. Damals herrschte (ein später Reflex auf 1968) in der BRD im Vorfeld und Umfeld des Öffentlichen Dienstes und weit darüber hinaus (z. B. Radio, Fernsehen, Zeitungen, Kirchen etc.) ein ekelhaftes Klima von Einschüchterung, Denunziation, Verdächtigung, Verteufelung. Der Gottseibeiuns der Epoche hieß „Radikaler“ oder noch schlimmer: „Verfassungsfeind“ (Pardon, natürlich gab es so was auch in weiblicher Gestalt). Wer seine Karriere nicht beschädigen wollte, verpasste sich im vorauseilenden Gehorsam seinen Maulkorb selber oder installierte die sprichwörtliche „Schere im Kopf“, kurz: Alle Umstände erinnerten an die McCarthy-Zeit in den USA. Arthur Miller hatte seinerzeit (1953) auf die amerikanischen Zustände mit dem berühmten Stück Hexenjagd (The Crucible) reagiert, und uns lagen zwanzig Jahre später derartige Assoziationen ebenfalls nahe. Außerdem hatten Anfang der 70er einige Autorinnen der Frauenbewegung die Geschichte des christlichen Hexenwahns neu und gegen den Strich gelesen - Lesefrüchte aus dieser Ernte sind natürlich auch eingegangen in das Lied.

* Überarbeitete und aktualisierte Fassung eines im Juliheft von Köpfchen, dem Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck e. V., erschienenen Beitrags