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Zwischen Null Uhr Null und Mitternacht/ |
Was damals eine eher ironische Befürchtung war, hat sich inzwischen leider als Prophetie erwiesen: „... dass das bloß solche Geschichten bleiben, die man den Enkeln erzählen kann.“ Bei aller Fortschrittseuphorie, bei allem unverzichtbaren Optimismus war Franz Josef Degenhardt stets Realist genug, um die gegnerischen Kräfte nicht zu unterschätzen. Er war der bedeutendste und einflussreichste Sänger der 68er-Bewegung. Dass der dauerhafte Erfolg dieser Bewegung nicht ausgemacht sei, dass ihr Scheitern angesichts der Macht, der Entschlossenheit und der Brutalität ihrer Feinde eine Möglichkeit darstellt, dass also, was Degenhardt und seine Generation als gegenwärtige Realität erleben und mitgestalten durften, eines Tages „bloß solche Geschichten bleiben“ könnte, war dem Liedermacher schon damals bewusst. Heute feiert der Kapitalismus mit grinsendem Gesicht und ohne Maske seinen historischen Sieg. Rücksichten müssen nicht mehr genommen werden.
Von Thomas Rothschild
Franz Josef Degenhardt, der seit den 70er Jahren deutlich machte, dass er mit kritischer Solidarität auf das sowjetische Modell vertraute, steht auch nach dem Zusammenbruch dieses Modells auf dem Standpunkt, die Fehlentwicklungen in der Sowjetunion würden nichts an der Tatsache ändern, dass allein die Existenz einer Alternative den Kapitalismus graduell zähmen konnte. Auch die blutigen Folgen der Französischen Revolution würden - analog - deren historische Bedeutung nicht verringern. Man kann in der Einschätzung der Ausmaße und der Vermeidbarkeit des Stalin’schen Terrors anderer Meinung sein als Degenhardt. Dass die Sowjetunion den Kapitalismus durch einen wirklichen oder einen vermeintlichen Sozialismus vor jener Dreistigkeit zurückschrecken ließ, die er heute an den Tag legt, kann nicht bezweifelt werden.
Franz Josef Degenhardt hält in einer Umgebung der Opportunisten, der Renegaten und der angepassten Schleimscheißer unbeirrt an seinen Überzeugungen fest. Das ist sicher einer der Gründe, weshalb er kaum noch Öffentlichkeit genießt, weshalb die Medien ihn noch mehr als stets schon ignorieren. Wir haben uns ein Schulterzucken angewöhnt, aber genau genommen ist es eine Kulturschande, dass die dafür Berufenen es versäumen, einer nachwachsenden Generation jenen Künstler zu präsentieren, der bis weit in liberale und konservative Kreise hinein zumindest geachtet, jedenfalls aber goutiert wurde. Denn Franz Josef Degenhardt hat über Jahre hinweg wie kein Zweiter die kollektiven Stimmungen und Debatten in der Bundesrepublik Deutschland artikuliert. Degenhardt hat bekanntlich auch Romane geschrieben. Hier ist von dem Liedermacher die Rede, und seine Lieder haben den Vorteil der Verknappung, der Reduktion einer Aussage auf wenige Minuten.
Schon auf seiner ersten LP Rumpelstilzchen von 1963 [zunächst erschienen unter dem Titel Zwischen null Uhr und Mitternacht; Anm. d. Red.] - er war damals noch Assistent für Europäisches Recht an der Universität Saarbrücken - übte Degenhardt Sozialkritik. Er nannte seine Lieder „Bänkel-Songs“ und verwies damit auf zwei maßgebliche Traditionen: den plebejischen Bänkelsang, den Vortrag gesungener Geschichten auf Jahrmärkten einerseits und den Song, wie ihn Bertolt Brecht in seinen Stücken auf die Bühne gebracht hat, andererseits. Das war neu in der deutschen Nachkriegskultur, das war aufregend und faszinierend, wie einer da zur Gitarre vortrug, was er selbst getextet und komponiert hatte. Fast noch wichtiger als der Bänkelsang und Brecht oder gar der damals in Westdeutschland totgeschwiegene Ernst Busch war für den jungen Degenhardt die französische Tradition des Chansons, allen voran Georges Brassens. Von ihm übernahm Degenhardt sowohl die poetisch gezähmte anarchische Haltung wie auch das intime Understatement im Vortrag. Das ist dem Pathos eines Ernst Busch geradezu diametral entgegengesetzt. Man könnte die These wagen, dass Busch noch den Code der Arbeiterbewegung aus der Weimarer Republik in die Nachkriegszeit herübergerettet hat, während Degenhardt ein Zeitgenosse der Studentenbewegung ist, also vor einem eher intellektuellen Publikum auftrat und dieses, jedenfalls zunächst, auch als das nächstliegende revolutionäre Subjekt begreifen durfte.
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