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Ferner liefen...

Hören Sie’s? Herrlich, nicht? Die Stille! Leises Summen im Ohr. Der Kreislauf pulst. Nun die Augen schließen und für Sekundenbruchteile alles vor sich sehen, was einem gehört. Eine ganzheitliche Du-darfst-Diät. Als Zugabe noch das angenehme Gefühl, einmal nur für sich zu sein. Hinreißend! Nichts bedeuten zu müssen, für nichts einzustehen ... Das kann allenfalls jene kränken, die nichts als Durchzug zwischen den Schläfen haben.

Wie überaus erquicklich, jetzt auch nicht wie Gottfried Benn im Frühjahr ’33 den „so fremden Begriff des Volkes nicht gedanklich, sondern erlebnismäßig, nicht abstrakt, sondern in gedrungener Form in sich wachsen zu fühlen“. Tumor ist, wenn man trotzdem lacht! Seien wir froh, weder die Bill of Rights noch das merowingische Königsheil verbürgen und Skropheln durch Handauflegen behandeln zu müssen. Natürlich hätten wir nichts gegen die Einkünfte des Herzogtums Lancaster zur Abrundung satter Diäten aus der Zivilliste einzuwenden. Gern darf auch das Parlament unsere Immobilien pflegen und unsere Verwandtschaft alimentieren.

Aber: zwei Körper gleichzeitig haben (den politisch-unsterblichen, den sterblich-privaten)? Von allegorischem Sperrmüll umstellt, mit Edelmetall auf dem Schädel, Hermelin an der Robe in den sauren Reichsapfel beißen? Wie mag sich Franz II. gefühlt haben, als im Juli 1806 die Kaiserwürde des so genannten „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ erlosch? Wie ist das mit dieser Würde, welkt die irgendwie in einem ab oder platzt sie auf wie ein eitriges Geschwür? Oder war’s wie beim Infarkt meines Großvaters, von ihm selbst wie folgt beschrieben: „Man spürt das Herannahen der Blutleere des Gehirns, die Gehörs­eindrücke schwinden, dann die Sehwahrnehmungen, man fühlt, wie eine kräftige Hand das Herz zusammendrückt ohne Schmerzempfindung, dann verlässt einen das Bewusstsein“? Immerhin, das war nach dem Krieg, mitten im Biologieunterricht, den Heldentod war er nicht gestorben, weil ihm sein Astigmatismus bei der Aushebung zu lauter Fehltreffern verhalf.

Soldaten sind immer im Dienst (nicht bloß als Mörder - da sei die einst geplante „lex Tucholsky“ vor, die diesem Satz mit Höchststrafe von drei Jahren begegnen sollte, schlimmer als Inzest und Landfriedensbruch). Sie vertreten das Vaterland am Hindukusch, aber (wenn’s nach Schäuble geht) demnächst auch verstärkt im Inland und sogar außerhalb der Uniform. Schon kursiert eine Quartiersliste, die kürzlich Friedbert Pflüger kontrolliert hat. Ihm fiel (des Namens wegen?) das liebenswerte „Heinzelmännchenhotel“ ins Auge, an der Hohen Pforte - nee, nicht auf dem Balkan oder im Osmanischen Reich, sondern im sündigen Köln, in einem zur „homosexuellen Szene“ zählenden Bezirk. Friedbert (welch’ Name für einen Verteidigungssekretär) tritt in Berlin - auch das ist gut so - als OB-Kandidat gegen den bekennenden Wowereit an. Kürzlich sah man Pflüger noch beim Christopher Street Day, als Vorkämpfer für Schwulen- und Lesbentoleranz. Nur die Heinzelmännchen von der Truppe will er aus „Fürsorgepflicht für den Dienstreisenden“ lieber anderswo einquartieren.

Im lauschigen Kirchhof von St. Maria im Capitol steht der Aids-Gedenkstein, Beratungsstelle und Lacklederläden liegen um die Ecke, wo einst Dorothea und Friedrich Schlegel in unordentlicher Ehe hausten. Das Hotel bietet 5 Einzelzimmer, 2 Doppelzimmer, 8 Zweibettzimmer und, für Fälle von Extrembelegung, 2 Dreibettzimmer, alle mit Dusche und WC. Und wer duscht mit, wenn Feldbetten herein- und übereinander gestellt werden? Was empfiehlt Herbergsvater Pflüger, der künftig vor weiteren Äußerungen „verstärkt die Lage“ prüfen soll? Jedenfalls kein Haus, „in dessen Umgebung Anbahnungsversuche, Drogenhandel und Begleitkriminalität anzutreffen sein könnten“.

Ein Hotel, das solche Kriterien einhält, kann, bleiben wir ehrlich, nicht in Köln stehen. Schließlich ist ganz Köln Rotlichtbezirk für Rhein und Ruhr. Wer hierorts im Volkshochschulkurs die Banknachbarin fragt, wo sie arbeitet, und zur Auskunft erhält „im Milieu“, kann fast sicher sein, dass sie nicht in der gleichnamigen Südstadtkneipe kellnert. Wer in der „Piusstraße“ in „Ehren“feld wohnt, kennt die Wellnessangebote des Römerbads und nächtliche Lärmimmissionen durch verstärktes Limousinen- und Taxiaufkommen bei GSG-9-Gipfeln und FDP-Parteitagen. Noch im Mittelalter hatten die Damen des Gewerbes (Schutzheilige: St. Afra) ihre eigene Altarnische im Dom. Als der Papst weltfromme Frauen-WGs genehmigte, lästerte der Volksmund: „Beginge, die sind nit, wat se schinge“ („scheinen“). Inzwischen war der Papst schon mehrmals da, aber die Wehrkundetagung, der NATO-Gipfel und die Rüstungsmesse ILA, die sollten besser unterbleiben, hier und anderswo. Damit Soldaten nicht reisen müssen und in größere Bredouillen kommen, als die Bataille bietet ...

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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Die Kolumne
im Folker! 5/2006