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Leicht gleiten Zé Paulo Beckers Finger über die Gitarre, während die siebensaitige Violão von Marcello Gonçalves brasilianische Zweiviertelrhythmen erklingen lässt und Ronaldo Souza auf der Mandoline phantasiert. Das Trio Madeira aus Rio de Janeiro widmet sich seit acht Jahren dem Choro, der ursprünglichsten Form brasilianischer Musik. Damit das Publikum auch außerhalb von Brasilien in den Genuss dieser jazzig-melancholischen Musik kommt, hat der umtriebige finnische Regisseur Mika Kaurismäki ihr einen Film gewidmet: Brasileirinho läuft nun auch in deutschen Kinos.
Von Angela Isphording
Die ersten Bilder von Brasileirinho hat man schon tausendmal gesehen: Rio de Janeiro im Abendlicht, Schiffe schaukeln im Rhythmus sanfter Gitarrenklänge, eine melancholische Klarinette begleitet uns auf der Fahrt durch die Stadt. Während wir unter den Bögen des Viadukts von Lapa durchfahren, erzählt eine Frauenstimme, dass der Choro 1870 von Musikgruppen in den brasilianischen Städten, vor allen Dingen in Rio, entwickelt wurde. Seine Wurzeln sind die Polka, der Walzer und afrikanische Rhythmen. Damit wurde der Choro zur ersten eigenen Musikform der jungen Nation Brasilien, lange vor der Samba und dem Bossa nova. In der nächsten Szene sehen wir die drei Musiker des Trio Madeira vor dem Auftritt: Lampenfiebernd gesteht Gitarrist Zé Paulo Becker, dass er in solchen Momenten lieber Zahnarzt, Anwalt oder Ingenieur wäre. Doch als der Vorhang aufgeht, freut man sich, dass er stattdessen die Gitarre gewählt hat. Virtuose Saiteninstrumentklänge durchströmen Seele und Körper, lassen den Stress zurück und öffnen neue Horizonte.
„Wir spielen eine Art populärer Kammermusik; es gibt keine Solisten, sondern jeder ist immer mit dabei, setzt Kontrapunkte, improvisiert, aber nie alleine“, sagt Marcello Gonçalves. Der schlaksige Carioca [so werden die Einwohner Rios genannt; Anm. d. Red.] spielt seit seiner Jugend auf der siebensaitigen Gitarre, die so typisch für den Choro ist. Gemeinsam mit dem finnischen Regisseur Mika Kaurismäki und dem Schweizer Produzenten Marco Forster hat er sich daran gewagt, seine Leidenschaft für den Choro in Bilder zu übersetzen. Gonçalves war für den musikalischen Teil zuständig. Er hat Musiker und Musikerinnen aller Alterstufen ausgewählt, Jamsessions und Auftritte organisiert, und dafür gesorgt, dass nicht nur eine großartige Musikgeschichte, sondern auch ein wunderbarer Soundtrack entstand. „Ich habe die Musiker natürlich vor allen Dingen nach ihren musikalischen Fähigkeiten ausgewählt, also professionelle Leute, die Konzerterfahrung haben und schon Platten herausgebracht haben. Das war wichtig, denn ich wollte zeigen, dass die Musik gut ist und dass sie live funktioniert. Im Film haben Musiker zusammengespielt, die dies noch nie zuvor getan hatten. Denn so funktioniert der Choro: Man lernt ihn, in dem man mit Älteren zusammen spielt“, erklärt Gonçalves. Entsprechend sind auch die Musiker und Musikerinnen in Brasileirinho zwischen 13 und 80 Jahren alt. Besonders berührend das Abschlusskonzert im Theater von Niterói, wo alte Hasen wie Posaunist Zé de Velha oder Sängerin Zezé Gonzaga mit jungen Talenten zusammen musizieren.
Ein weiterer Faktor für die Auswahl der Musiker war ihre Fähigkeit zu kommunizieren, sagt Gonçalves. „Ich wollte auf keinen Fall einen didaktischen Film. Deshalb habe ich Leute ausgesucht, die Supermusiker sind und sich gleichzeitig gut ausdrücken können. Wir haben Szenen geschaffen, die Teil ihres Alltags waren, einen Raum in dem sie erzählen konnten. Das ist anders als in Mikas anderem Film [Moro no Brasil, in dem vor allen Dingen die Musik aus dem Nordosten des Landes vorgestellt wird; Anm. d. Red.], wo er viele Hintergrundinformationen gibt. Hier erklären die Musiker selbst.“ So begleiten wir den berühmten Choromusiker Joel Nascimento in eine Praxis, in der er seine musikfreie Zeit als Röntgenarzt verbringt, erfahren, dass er das Klavier wegen eines Hörproblems aufgeben musste und genießen sein Mandolinenspiel in einer roda de choro zu Füßen der Kirche von Penha.
Die roda de choro entspricht dem Jammen der Jazzer, man improvisiert über einigen Grundmelodien. Musiziert wird mit Saiteninstrumenten (Gitarre, Mandoline, Violão und Bass), Percussion (Pandeiro, Cavaquinho) und Bläsern (Querflöte, Klarinette, Posaune und Trompete) - alles akustisch versteht sich. Das Ergebnis erinnert eher an die europäischen Impressionisten und Romantiker wie Chopin oder Ravel, als an die für den Jazz so typischen modernen Harmonien [vgl. Claus Schreiner, Text aus dem Booklet von Brasileirinho; Anm. d. Red.]. Doch wer den groovigen Auftritt der Sambalegende Elza Soares im Film sieht, ahnt, dass Chopin hier nicht gelebt hat. Die in der Favela aufgewachsene Sängerin hatte in den 60er und 70er Jahren ein Riesenpublikum. Gerade feiert die schrille Endsechzigerin mit der rauen Stimme ein spektakuläres Comeback. Ihr Comeback im Film zeigt warum. Ihr gegenüber steht die nicht minder reife Bossalegende Zezé Gonzaga: Aufgemacht, als wäre sie zum Tee bei Queen Elisabeth geladen, singt sie den romantischen Choro von der kleinen Prinzessin. Gemeinsam mit der jungen Sängerin Teresa Cristina, die 2003 mit dem Latin Grammy für das beste Sambaalbum nominiert wurde, zeigen die drei ungleichen Frauen, dass der Choro nicht nur ein Instrumentalgenre ist. In letzter Zeit kommen auch immer mehr Frauen zu dieser traditionsreichen Musik. Das zeigen bewegte Aufnahmen eines Choroworkshops: Junge Frauen aller Hautfarben spielen alle Instrumente, die für diese wunderbare Musik taugen; etwa 50 Menschen drängen sich in einem lichtdurchfluteten Raum und musizieren, was das Zeug hält.
Unglaublich wie gut die Tonaufnahme dieser lebendigen Szene ist! Marcello Gonçalves lacht, als er darauf angesprochen wird. „Wir wollten einen Film mit einem wirklich guten Soundtrack machen. Deshalb hatte jedes Instrument sein eigenes Mikro, wir haben Soundchecks gemacht, und vor der Tür stand der Lastwagen mit einem kompletten Tonstudio. Alles wurde live eingespielt. Das war natürlich eine ganz schöne Herausforderung“, stöhnt der Musiker. „Manchmal war die Musik gut, aber die Bilder nicht, und manchmal war es anders herum. Für mich war es nicht immer leicht zu begreifen, dass wir keine CD machen. Es war echt schwierig! Zu viele Leute, die da mitreden. Das Schöne an dieser Erfahrung ist, dass ich nun zu schätzen weiß, dass es verhältnismäßig leicht ist, eine CD aufzunehmen“, strahlt er.
Aber Marcello Gonçalves musste sich noch einer anderen Herausforderung beim Dreh von Brasileirinho stellen: Er war der einzige Brasilianer des Regieteams. Für Kaurismäki, Forster und Gonçalves stand von Anfang an fest, dass der Film einen wichtigen Teil brasilianischer Kultur einem nicht brasilianischen Publikum näher bringen sollte. Doch was ist Brasilien? „Wir hatten da schon einige Diskussionen“, erzählt Gonçalves. „Es ging dabei immer um das Klischee. Zum Beispiel in der Tanzszene, da tanzt ein schwarzes Paar. Die sind wirklich gut, aber mussten sie unbedingt schwarz sein? Ich hatte Angst, dass wir das altbekannte Bild von Brasilien transportieren. Zum Schluss ließ ich mich dann überzeugen, und heute denke ich, die Szene ist wirklich gut. Ich weiß nicht, ob ein brasilianischer Regisseur einen besseren Film gemacht hätte, er wäre sicherlich anders gewesen, aber vielleicht ist es besser, den Blick von außen zu haben.“ Von außen betrachtet, verfällt der Film jedoch recht selten in brasilianische Klischees. Eher versucht er vielleicht, zu viel zu erklären, zu viele Musiker zu Wort kommen zu lassen. Für Gonçalves liegt aber genau darin der Wert von Brasileirinho: „Wir wollten eine Musiktradition zeigen, Aufnahmen von den Musikern festhalten, für Menschen außerhalb Brasiliens, aber auch für uns hier, damit das nicht verloren geht.“
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