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TFF-Impressionen

Vive la France!

Rudolstadt 2006 war wieder eine große Wundertüte

Von Christoph Dieckmann

Rudolstadt? Das Thema sei doch längst leer geschrieben. Diesen Bannspruch vernahm der Chronist vor etlichen Jahren, als er Deutschlands größtem Weltmusikfestival etwas herzwarme Prosa nachliefern wollte. Für „leer geschriebene Themen“ kämpft es sich schlecht im Bühnenbild der Burgbühne Feuilleton, zumal als Liebender. Coolpostretromodern kommt man weiter. Aber eben nicht nach Rudolstadt.

Es stimmt ja ...

... äußerlich hat sich beim Tanz- und Folkfest über die Jahre nichts Grundstürzendes geändert. Seit 1991 strömen am ersten Juliwochenende Francoiz Breut folkselige Zigtausendschaften ins Saaletal, überfluten Gassen und Plätze und verwandeln das biedere Thüringer Residenzlein in ein hippieeskes Nirwana der Multiphonie. Es fiedelt, trommelt, tanzt an allen Ecken, es grillt und bäckt, es futtert und zecht, und über allem waltet eine sagenhafte Freundlichkeit. Noch immer steigt die Besucherzahl leicht an. Anno 2006 zählten die Organisatoren an drei Tagen 65.000 Gäste, Kinder und Kegel nicht gerechnet, sowie 963 Musiker aus 43 Ländern.

Rudolstadt ist eine Wundertüte ...

... Die meisten Künstler sind den wenigsten Besuchern vorher ein Begriff. Man vertraut den kompetenten Machern des TFF, studiert das enorme Programmbuch und bastelt sein eigenes Festival. Dann beginnt ein knüppelhartes Wochenende. Fliegenden Fußes hetzt der Leistungsrudolstädter Großes Gewühle mit Tanz zwischen einem Dutzend Bühnen hin und her, drei Tage und zwei Nächte. Er kraxelt hoch zur Heidecksburg, er steht am Theater Schlange, er lagert vor der überfüllten Kirche oder pilgert gen Heinepark. Er ruiniert sein Konto für CDs, er malt Erledigungskreuzlein ins Programm. Und hat doch NoJazz versäumt, Woven Hand, Les Primitifs du Futur, diverse DJ-Globalica, die Musikvorträge sowieso ... und von den hochgelobten Speedfolkbriten Bellowhead bloß die Zugabe erhascht, nachts um halb drei. Die schmerzlichen Überschneidungen seien Methode, erklärte streng Petra Rottschalk von der Festivalleitung. Rudolstadt lehre verstehen, wie viel man im Leben verpasst. Aber ausgerechnet Suzanne Vega? Jawohl! Denn zur selben späten Stunde spielte auf der Marktbühne der bretonische Trad-Reformer Pascal Lamour mit dem kapitalen Bagad Roñsed-Mor.

Drei Säulen tragen das Festival ...

... der Länderschwerpunkt (diesmal Frankreich), der Tanz des Jahres (Tango) und das „Magic Instrument“. Letzteres hieß heuer Dudelsack. Seit vielen Narim Shanbehzadeh Jahren kompiliert Wolfgang Meyering dem TFF die so genannten Magie-Konzerte. Hierzu begibt sich der Spiritus Rector mit einem guten halben Dutzend Magiern des nämlichen Instruments für eine Woche in Klausur, die pünktlich zur Eröffnung endet. Anders als frühere Projekte („Magic Zither“, „Magic Guitar“) wurde das Dudelsackkonzert weithin von einer Europaauswahl bestritten: Béla Ágoston (Ungarn), die Estin Cätlin Jaago, die junge Galicierin Lorena Freijeiro Alonso, Sepp Pichler aus der Steiermark, Fraser Fifield aus Schottland, dazu der oben erwähnte Pascal Lamour. Exotische Exkurse oblagen dem exaltierten Südiraner Saeid Shanbehzadeh, dessen 13-jähriger Filius Narim sich zum Publikumsliebling trommelte. Nach etlichen Längen und einem finalen Unisono-Ohrwurm badeten die recht verschiedenen Piper im Jubel.


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