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Ferner liefen...

Das Reich der Serben geht in Scherben: über den Rasen rasen, zur WM, das schon, aber zum Eurovisions-Grand-Prix werden die Montenegriner eigene Schlagermiezen im Zombiedress entsenden. Getrennt singen, im Verein treten! 1389, nach der Schlacht auf dem Amselfeld, hatte sich das Fürstentum schon einmal von Großserbien losgerissen und unter den Fürsten von Balsic und Crnojevic (wohl auch unter Einfluss von Spätburgunder) einen Staat gebildet. 606 Jahre später: Neues, fast unbenutztes Briefkasten-Imperium mit 350.000 Einwohnern abzugeben, knapp so viel wie Bergisch Gladbach. Da es in Serbien zurzeit rund 35 Ministerien gibt, wird sich das Klientelsystem fortpflanzen und die Relation „Minister pro Kopf der Bevölkerung“ im Zukunftsstaat noch heimeliger ausnehmen. Neue Briefmarken, Geldscheine, Autokennzeichen und - wenn der Aufnahmeantrag durchkommt - Euro-Münzdesign und Zuwachs für die EU-Amtssprachen; vielleicht benennen die Zungenbrecher es um in Crna Gora oder Karadagh?

Mein bejahrtes Allsprachenlexikon kennt einen „Montenegrinischen Haus-„ bzw. „crnagorischen Unabhängigkeitsorden“, nach dem meuchlings ermordeten Thronfolger des Neugründers auch „Kreuz Danilos’ I.” benannt: blau mit rotem Rand (Großkreuz), schwarz mit weißem für Kommandeure, schwarzes Kreuz mit rotem, weißgerändertem Mittelschild, weiß gewässertem Band mit purpurnem Randstreifen für Ritter. Darf ich vorstellen, de la X., Graf von Monte Pulciano? Angenehm, von Y., Ritter von Montenegro. „Wilde, meist nackte Gebirge”, von denen es im Lexikon heißt, sie sehen „in einigen Theilen wie ein Meer von ungeheuren, plötzlich versteinerten Wogen aus“, Pflanzenwelt dürftig, Waldbestand gering, wenige Bären. „Ein schöner, großer Menschenschlag, kräftig und kriegerisch, ungebildet, aber mit guten Naturanlagen.“ Verfassung? „Der Fürst (Hospodar) hat absolute Gewalt, nur wenig beschränkt durch die Kleine Skuptichina, auf der sämtliche volljährige Montenegriner erscheinen dürfen. Die Würde ist seit 1845 erblich nach dem Recht der männlichen Erstgeburt in der Familie Pietrowitsch Njekosch ...“ Da wär’ auch wieder eine Uniformreform fällig, nach dem Vorbild der Feldherrnkluft des Türstehers vom Adlon: Litzen, Tressen, Dolman und Tschako. Natürlich bedarf nach Jahren der Schmach ein von Fremdherrschaft gebeuteltes Land einer neuen Orthographie, eines Gesundheitssystems, einer Volkstumspflege mit Trachtengruppen, Zwölfachteltänzen, hellstimmig schmetternden Mädchenchören und sonderbaren, aus Urhörnern geformten Blasinstrumenten im TV. Tagespresse (Springer), Zeitschriften (Strickmoden), Privatisierung und Deregulierung des Nahverkehrs nicht zu vergessen, der Banken, der Post ...

Zur Warnung für Europa noch eine kleine Anekdote: Bauernkönig Nikita starb während des Ersten Weltkriegs, soll aber 1914 als einziger Monarch klaren Kopf behalten haben. An seinem Hof gaben sich Gesandte der Nachbarländer die Klinke in die Hand. Das Zarenreich berief sich auf Blutsverwandtschaft und zehn der montenegrinischen Armee gespendete LKWs. Die Österreicher auf die Segnungen der Zivilisation: eine Schule, ein Krankenhaus, regelmäßigen Schiffsverkehr und Einbeziehung des montenegrinischen Staatsgebiets in das Postsparkassenwesen. Wurde in einem k.-u.-k.-Postamt für einen Empfänger in Montenegro Geld eingezahlt, musste es nicht bar außer Landes verbracht werden, eine Anweisung der österreichischen an die montenegrinische Post genügte, um den Betrag in Montenegro notfalls per Briefträger zur Auszahlung zu bringen. Umgekehrt nahm die österreichische Post den Transfer von Zahlungen aus Montenegro vor. Am Jahresende wurde gegenseitig abgerechnet. Da stellte sich heraus, dass es nichts abzurechnen gab. In Österreich war kein Mensch auf die Idee gekommen, auch nur einen roten Heller nach Montenegro zu senden. Auch umgekehrt nicht. Im Jahr darauf kam König Nikita persönlich nach Wien, um eine Staatsanleihe von einer Million Kronen in Gold aufzunehmen. Man empfing ihn mit staatsmännischen Ehren, den Kredit rückte man nicht heraus. Der Gast wurde verdächtigt, schon mit den Russen zu paktieren. Zwei Wochen antichambrierte Nikita vergebens. Am 16. Tag seines Besuchs kam eine Postanweisung. Die montenegrinische Post teilte der österreichischen mit, in Cetinje sei für Herrn Nikita, zurzeit Wien, der Betrag von einer Million Goldkronen eingegangen. Die Wiener Post gab sich die Ehre, Herrn Nikita den Betrag per Geldboten ins Hotel zu bringen. Der König quittierte, machte noch ein paar Abschiedsbesuche und reiste heim. Zum Jahresende wurde verrechnet. Doch außer der einen Postanweisung hatte es keinerlei zwischenstaatlichen Geldverkehr gegeben. Nach Adam Riese schuldete die montenegrinische Postsparkasse der österreichischen nunmehr eine Million Kronen in Gold. Die Kollegen in Montenegro konnten’s nicht leugnen, aber: Sie hatten kein Geld und zahlten nichts zurück. Und weil man Montenegro nicht gut den Krieg erklären konnte, ist es dabei geblieben ...

Nikolaus Gatter
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Die Kolumne
im Folker! 4/2006