Seit seinen Makaberprogrammen kannten wir ihn als miesepetrigen
Grantscherben und wissen jetzt, warum, denn AMBROS singt MOSER, Der
alte Sünder - mit dem Ambassade Orchester Wien (home base CD 250401, 15
Tracks, 50:11, mit Texten). Urplötzlich artikuliert er in forschester
Bühnen- und Hochsprache Schmachtfetzen wie: „Hallo Dienstmann! Die Welt ist
so schön und die Welt ist so reich! Es wird a Wein sein ...“ etc. Ein
„norddeutscher Tourist“, dessen Performance dem Wolferl nicht passte, gab
Anlass zu diesem Rettungseinsatz für Hans Moser. Das hätte nicht so kommen
müssen. Reisende, meidet Tirol! - Als Sympathieträger für die
Turnschuhwerbung würde der Saarländer MARCEL ADAM, Starke Frauen
(LEICO 8655, 17 Tracks, 60:18, mit Texten) einen eher unvorteilhaften
Eindruck machen; indessen ist seine musikalische Physiognomie topfit und
vielseitig. Den Frauen, seien sie „stur wie e Schaufenschderpupp“, „hibsche
Giftzwersch“ oder „wie e Mudderkatz“, widmet er teilnahmsvolle Loblieder. -
Zwei zum Preis von einer bieten GERD KÖSTER/DIERK RAULF, Nox -
Gabelfrühstück (poise 13 A/B, 9 Tracks, 69:08, mit Texten; Bonus-CD: 15
Tracks, 65:16). Sozialsurrealist Köster, ein Selbstmordattentäter des
Salons, dem die Buttersäure ausgegangen ist, hat im eher konservativen
Reimeschmied Raulf einen kongenialen Ko-Songwriter gefunden. Während Köster
mit dem Trotz und der Resignation der Schlechtweggekommenen gegen die
verdüsterte, freudlose Endzeitstimmung ankrächzt, lässt Raulf das Saxophon
mal schmeichelsanft wie ein Nachtprogramm zu Mulligan’s Wake, mal schräg wie
die Kindertröte einer kranken Heilsarmee wimmern. - Wie von weit her, aus
bündisch bewegter Zeit klingt’s bei PANKRAZ, Hundsrose (Conträr
Musik LC 04664, 15 Tracks, mit Texten). Nach abgeklungenen Geburtswehen
heißt es nun, ohne Hebammerich Bernie Conrads (nur auf „Abendlied“
vertreten) auszukommen. Nicht überall bescheidet sich Bandleader Thomas
Frimel mit der freiwilligen Schlichtheit, die sein Markenzeichen ist. Von
Klischees strotzend und zu haspelig gesungen ist z. B.„Schwarzes Haar“. -
„Komm, wir werden Barbaren“, hat sich Pankrazens Kontrabassist Jörg
Isermeyer mit SONG X, Cowboys müssen reiten
(www.ab-dafuer-records.de, 19 Tracks, 70:27, mit Texten) vorgenommen und
protestiert damit u. a. gegen „We Shall Overcome” im Bundeswehr-Liederbuch.
„Musik für ungedrehte Filme” bietet die aufhorchenswerte Produktion, und
einen verschämt als „vielleicht ein wenig kitschig” abgetanen Frühling in
Paris als Hoffnungsschimmer. - DIE ROTEN RÜBEN,
Herz+Schmerz+Popsalat (www.dierotenrueben.de, 12 Tracks, 46:43, mit
Texten) servieren schwungvollen HipHop als Auftakt; weiter geht’s mit
ausgefeilten Bläsersätzen, Akkordeon und Mandoline. Die nachdenklichen, nie
schwülstigen Texte schreibt Schlagzeuger Rainer Wittmann, z. T. mit einem
Philipp gleichen Namens, der als Multiinstrumentalist die Band leitet. -
Offenbar glauben DIE SIEBEN LEBEN, Jeder weiß bescheid
(Löwenzahn/Buschfunk HD 20063, 15 Tracks, 68:18, mit Texten), jedenfalls
was ihre Filiation von den Bierfiedlern betrifft. Klangvoluminöser als diese
rocken und covern die Herren Doberenz und Wagenbreth weiter, gern hart am
Schlager entlangschrappend. Aber die Koffer werden für Köln gepackt, nicht
mehr für Wuppertal, und Jugendsünden wie „Und nichts nachher“ im
Slow-Country-Stil entkitscht. - Dicke Männer wollen tanzen, behaupten
ELLINGER, Applaus (www.ellinger.net, 12 Tracks, 54:24, mit
Texten), die mit Stoppok und den Schandmäulern kooperieren, was leider
keinen Niederschlag in den banalen Lyrics findet. Auswechselbar wie mit
Randomtaste ist auch die Musik, die dem Geschilderten selten entspricht
(wenn es in „Warum“ heißt, „Ich sing ein Lied, fang es in Dur an, es endet
wieder in Moll“ - warum tut man’s dann nicht?) - Selma Meerbaum-Eisinger
fand mit 18 in einem deutschen Arbeitslager den Tod; man liest nicht
unbewegt, wie ihr lyrisches Jugendalbum auf abenteuerlicher Flucht von
Rumänien nach Palästina gelangte. Ein Dutzend Gedichte wurden vertont und
eingespielt von WORLD QUINTET/DIVERSE, Selma - In Sehnsucht
eingehüllt (voice of joy VOJ 3450, 12 Tracks, 54:53, mit Texten).
Doch was an dieser Lyrik künstlerisch tief und anrührend sein mag, wird
seicht und platt, wenn es von Schöngeistern des Showbusiness aufgesteilt,
von Klarinetten hochgejodelt, von Streichern überschwallt wird. Reinhard Mey
bringt wenigstens „Abend I“ zu karger, trockener Klavierbegleitung;
aufregender inszeniert ist ein „Stefan Zweig“ betiteltes Gedicht, das Thomas
D. spricht. - Ein neuer, vierter Meilenstein auf der Wegstrecke durch das
schier unüberschaubare Massiv des Gebirtig-Oeuvres ist MANFRED LEMM &
ENSEMBLE, Majn cholem - Mein Traum (Edition Künstlertreff EK 171065,
19 Tracks, 49:51, mit Texten). Mag mancher artistischer und
individueller singen, als werktreuer Dokumentarist ist Lemm die beste Vorhut
für den Großmeister des jiddischen Lieds. Im Krakauer Rundfunkstudio scharte
er nun auch polnische Musikerinnen und Musiker um sich. Diese
unermüdlich-selbstlose Arbeit verdient desto mehr Bewunderung, als sie das
untergegangene jüdische Europa vor dem Verstummen bewahrt. - Jetzt kommt
DODO HUG, Via Mala - Schwarze Lieder, Detective Songs & Canta Di
Malavita (Zytglogge ZYT 4585, 18 Tracks, 63:52, Texte in Auswahl)
auf die Räuberballade, alternativ zur maskulinen Leipziger Folksession 2
(1999) aus weiblicher Perspektive! Doch freut man sich des Wiederhörens mit
Machos wie Matter, Gainsbourgh, Biermann („Stillepenn-Schluff“) und
Holländer („Kleptomanin“). Souverän meistert sie jeden europäischen
Folks-Ton und alle möglichen Fern- und Nahsprachen (nur Kreislers vergiftete
Tauberln bereiten merkliches Zungenbrechen). - Zweisprachig
Französisch-Deutsch präsentiert sich SERA, Ménage À Trois (Banana
AC 50204, 12 Tracks, 50:23, mit Texten), aber Kristine Wallé haucht,
tremoliert, gitscht, flüstert und lässt nicht mehr ab vom Manierismus, die
Gitarrengrundierung bleibt faserig-monoton; eine reichlich sterile
Dreiecksbeziehung. - Reminiszenzen an Liedermacherlust und -leid bietet der
Titel „Für Würstchen mit Cola“ auf DISTANT FRIENDS, More Friends
(www.distant-friends.de, 16 Tracks, 62:11, mit Texten), mit denen Klaus
Hendler an den angriffslustigen „Fahrradmescalero” von einst anknüpft. Heut’
wohnt er im Elsass und schreibt mit dem (oft in Übersee weilenden) Folkie
Manfred Malzahn heiter-selbstironische, mit Uschi Kopp und Rainer Schielin
kraftvoll intonierte Songs in Deutsch und Englisch. - Furchtbar eilig haben
es WORTFRONT, Lieder eines postmodernen Arschlochs
(www.wortfront.de, 13 Tracks, 48:09, mit Texten) mit „Ich brauch’ Zeit“,
denn sie haben anscheinend keine, so atemlos werden im gerappten Stakkato
überlange Texte von z. T. ermüdendem Abstraktionsgrad und genialem
Reimfallsreichtum („Pestschwiele/Festspiele“, „Backbord/Sack fort“ u. dgl.)
vorgetragen. - An ganz langer Leine gondeln dagegen DIE STROTTERN, Me
ois gean (Preiser PR 90556, 11 Tracks, 51:38, mit Texten) sozusagen
mit Zwischengas durch verkehrsberuhigte Schleichzonen (den pizzicato-Auftakt
zu „So angetan“ stelle ich mir als Endlosschleife bei der
Lebendbegrabenen-Hotline des Wiener Nationalfriedhofs vor). Verstehgeiger
Klemens Lendl fiedelt unter vorbildlicher Einsparung von Spielenergie und
serviert mit versoffenem Parlando die subversiv-lethargischen Weisheiten des
Band- und Alltagspoeten Ahorner („A schüdgrot schnölla rennan kaun / ois a
schweindal aus maazipan“); Gitarrist David Müller trifft ohne zu „hatschen“
das dritte Viertel des Walzertakts. Mehr davon! - STILLER HAS,
Geisterbahn (Sound Service 250306-2, 11 Tracks, 59:16): Von der
Schwarzen Kunst beim Druckerei-Betriebsfest bis zur Blutwurst im
vampireigenen Kühlschrank werden diesmal Spukmotive durchdekliniert. Lest
Dütsch, der Eno-Anaconda-eigene Mischdialekt ist mit hochdeutschen
Inhaltsangaben im Beiheft kaum nachvollziehbar.
... außerdem eingetroffen:
- HÄDER BÄND, Exbluesiv (www.manfred-haeder.de, 14 Tracks, 58:31, mit Texten)
- SEBASTIAN KRÄMER, Schule der Leidenschaft (Roof/tacheles! RD 2633266, 19 Tracks, 55:40
- SEBASTIAN KRÄMER/MARCO TSCHIRPKE: Ich ’n Lied, du ’n Lied (Reptiphon, 29 Tracks, 45:21)
- LÜÜL, Zeitreise (Grundsound/Indigo CD 6674-2, 17 Tracks, 70:56, mit Texten)
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