Hangslum in Rio Von Banditenmilizen beherrschter Hangslum in Rio |
Vor Lateinamerikas Leitbörse, vor Banken, Kirchen, Armee- und Polizeikasernen, dem Gouverneurspalast - überall in der brasilianischen Megacity São Paulo wird die nationale Gangsta-Rap-Produktion seit den 90er Jahren ganz offen und massenhaft von Straßenhändlern verkauft. Die CDs sind unter denen mit Samba, Sertaneja, Forró oder Rock leicht zu erkennen, kosten umgerechnet keinen Euro. Auf den Covern prangen Totenköpfe, Leichen, das World Trade Center in Flammen, Zielfernrohr-MGs, Granaten, die Namen der Verbrecherorganisationen und ihrer Bosse, aber auch der von Osama Bin Laden. Eine CD-Serie nennt sich Taliban - Park der Monster. Die vorbeischlendernden Militärpolizisten, aber auch die eigentlich zuständigen Behörden für Jugendschutz wissen genau, dass es sich um verbotene, gesellschaftlich brisante Ware handelt. Doch niemand greift ein, für Europäer schwer nachvollziehbare Indifferenz dominiert.
Von Klaus Hart
São Paulo erlebte gerade eine Serie von Terroranschlägen, die die drittgrößte Stadt der Welt mit ihren rund tausend deutschen Firmen zeitweise regelrecht lahm legte. Über 40 Polizisten, Feuerwehrleute und Gefängniswärter wurden erschossen; Banken, Geschäfte, Busse standen in Flammen. Nichts anderes hatte das „Erste Kommando der Hauptstadt“ (Primeiro Comando da Capital, kurz PCC), Brasiliens führende Verbrecherorganisation, in seinen Gewalthymnen dem Staat seit Jahren angedroht, in Stadtguerillataktik bereits nadelstichartig praktiziert. PCC-Hits sind mit MG-Salven und Granatenexplosionen, Todes- und Schmerzensschreien untermalt. Die Botschaft ist in abgewandelter Form stets die gleiche: Unser Gegner ist der Staat, dessen Polizei; unsere Feinde mähen wir nieder, quälen sie zu Tode, verbrennen sie lebendig. Zahlreiche Radiosender der rasch wachsenden Slumperipherie spielen die PCC-Songs sogar als Wunschmusik. Denn die Slums der brasilianischen Großstädte sind Hochburgen des organisierten Verbrechens, werden von ihm wie ein Parallelstaat neofeudal regiert.
Wer gewisse sozialromantische Vorstellungen über Brasilien kultiviert, könnte sie auf den so genannten Bailes Funk, gewalttätig-machohaften Rap- und HipHop-Massenfeten, verlieren. Denn dort singen nicht selten gleich Tausende von tanzenden jungen Leuten diese viehischen Hits lauthals und begeistert mit, identifizieren sich offen mit dem PCC. In den Hallenecken wird mit Kokain und Crack gedealt, der DJ bellt ein Rapstakkato mit finsterem Höllenecho in die Menge: „Vai dançar!“ „Du wirst tanzen“, heißt das mechanisch-harmlos übersetzt. Doch jedermann versteht es im Slangsinne: „Du wirst sterben, gekillt werden, Blei fressen!“ „Tudo mundo vai dançar - Alle sind dran!“
São Paulo - Die City São Paulos - Straßenhändler verkaufen Gangsta-Rap-CDs alle paar Meter. |
Der PCC veranstaltet einen Großteil der Bailes Funk in São Paulo und seinen Satellitenstädten, das populäre DJ-Duo Renatinho e Alemão komponiert und produziert einen Gangsta-Rap nach dem anderen. „Im Morgengrauen singt das MG, startet ein Kommando neue Aktionen“, heißt es. „Messer an die Kehle, Schuss ins Genick, Hochspannung, Terror, Kopf ab - der Unterdrückte gegen die Unterdrückung.“ Und immer wieder der PCC-Held Bin Laden in den Texten: „Ich plane mit dem Kopf Aktionen nach Art Bin Ladens, zeige so meine Macht. / Ich gehöre zur terroristischen Organisation, bin Terrorist, bin Taliban ...“ Kein Problem für das Duo, gelegentlich auch Che Guevara, Saddam Hussein und Jesus Christus als PCC-Vorbilder in einem Rap zu bejubeln. Hohe Politiker, darunter der Gouverneur São Paulos, werden als Attentatsziele konkret genannt.
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