Anfang Mai versammelten sich Dylanologen in Frankfurt/Main, um drei Tage lang ihr Idol anlässlich seines 65. Geburtstags von allen möglichen Seiten unter die Lupe zu nehmen: Von Politik und Recht bis zu Religion, Sprache, Kulturindustrie, Poesie und natürlich Musik reichte das Spektrum der Themen, die auf dem ersten Bob-Dylan-Kongress in Deutschland auf Einladung des Instituts für Sozialforschung und des Hessischen Rundfunks diskutiert wurden - auf hohem theoretischen Niveau, versteht sich. Entsprechend fielen auch die Berichte in Zeitungen wie u. a. dem Freitag, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder der Süddeutschen Zeitung aus, die per Mausklick über Google nachzulesen sind.
Für alle, die immer noch nicht genug von der so genannten „Ikone der Protestbewegung“ haben, sei darauf hingewiesen, dass man trotz jüngster Pleiten auf diesem Gebiet (Musicals über Elton John und die Beach Boys wurden nach wenigen Wochen abgesetzt) demnächst Bob Dylans Leben auch auf dem Broadway erleben kann - unter dem Titel The Times They Are A-Changin’ choreographiert von Twyla Tharp. Und auch die Dreharbeiten zu einer Verfilmung unter dem Titel I’m Not There sollen in diesen Tagen beginnen - u. a. mit Richard Gere, Colin Farrell und Cate Blanchett). Wer so lange nicht warten kann, dem sei Dylans wöchentliche XM-Satellitenradioshow in den USA empfohlen, in der er, über alles Mögliche plaudernd, seine Lieblingsplatten auflegt. Unser Beitrag zum Dylan-Geburtstag ist ein Folker!-Gespräch mit Richard Goldstein, der sich ausgesprochen kritisch über die aktuelle Dylan-Rezeption äußert. Der Journalist und Autor, einer der Väter der „Rockkritik“ in den USA, war 30 Jahre lang Redakteur der angesehenen Alternativzeitschrift The Village Voice und schreibt heute u. a. für die politische Wochenzeitschrift The Nation.
Von Michael Kleff
Wo steht Bob Dylan Ihrer Ansicht nach in seiner Bedeutung für die populäre Kultur?
Ich denke, Bob Dylan hat als Meister lyrischer Strophen einen großen Beitrag für die populäre Kultur geleistet. Er hat die Beschränkung von Texten in der Popmusik gesprengt. Durch ihn wurden sie kunst- und ausdrucksvoller. Er hat ihnen eine Bedeutung verliehen, die sie vorher nicht besaßen. Dabei wandte er eine Technik an, die er beim Lesen von Lyrik gelernt hatte. Das hat er mit seinem Wissen um die amerikanischen Musiktraditionen verbunden. So hat er eine neue Art entwickelt, einen Song zu schreiben. Das gehört heute zu den Grundlagen amerikanischen Songwritings. Darin liegt sein größter Beitrag. Damit ist aber überhaupt nichts Mystisches verbunden. Die Annahme, dass Dylan einen größeren philosophischen oder ästhetischen Einfluss auf die Kultur hätte, ist falsch.
Warum ist diese Annahme falsch? Vielleicht können Sie das etwas erläutern.
Nur wenige Künstler sind von seiner Sichtweise geprägt, nur wenige schreiben Musik so wie er. Die Ideen, die er heute vertritt, sind ausgesprochen reaktionär. Die Menschen, die sich ihm als Philosoph oder Ästhet verpflichtet fühlen, teilen seine Verbitterung über das moderne Leben. Darunter sind übrigens nicht viele junge Menschen. Junge Leute interessieren sich für sein frühes Werk, für die Songs, die er geschrieben hat, als er jünger war. Darin steckte ein Gefühl von Hoffnung und von Wut. An seine Stelle ist heute eine beschränkte, selbstgerechte und manchmal auch verächtliche Sicht der Dinge getreten. Es ist sicherlich nicht gerade hip, so etwas zu sagen. Ich glaube aber, dass diese erschreckenden moralischen Aspekte in Dylans Musik wichtig sind. Es ist ein Fehler, das zu übersehen und sich im syntaktischen Zauber seiner Formulierungen zu verlieren.
Wenn man zurückdenkt an 1963, damals stand Bob Dylan mit Joan Baez u. a. beim Marsch auf Washington mit auf der Bühne. Und heute fehlt seine Stimme bei der politischen Auseinandersetzung.
Dylan beschäftigt sich durchaus mit der Politik dieses Landes - aber mit einer rechten Gesinnung. Er ist immer noch ein sehr fundamentalistischer Künstler. Seine Ansichten über die Geschlechter sind rechts. Sie sind traditionell geprägt und beschränken Frauen auf ihre Rolle im Haus. Andere Frauen in seinen Songs beschreibt er als schamlos, böse, nicht vertrauenswürdig oder als gefährlich. Die guten Frauen in seinen Liedern sind die, die zu Hause sind und sich um ihre Männer kümmern. Das ist nur ein Beispiel für Dylans konservative politische Ansichten. Er spielt also eine Rolle für die Politik. Er steht für eine Gruppe von Menschen, deren Verbitterung über die sozialen Veränderungen in Amerika in den letzten 30 Jahren groß ist. Aus lauter Verehrung wird über diesen Aspekt, diese magische Verbindung zwischen Dylan und seinen Fans und Schülern, die seine Einstellungen teilen, nicht geredet. Nur die Komplexität seiner Texte wird herangezogen, obwohl es doch auch gerade seine Einstellung ist, die viele fasziniert. Ich finde, auch damit muss man sich auseinander setzen.
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