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Trophäe Karneval der Kulturen

Karneval der Kulturen

Die wahre Love Parade

Mit dem Erfolg kommen die Gefahren - die Berliner Megaveranstaltung ist in die kritische Phase eingetreten

An Zuschauervolumen innerhalb von acht Jahren um das knapp 40-Fache gewachsen, steht der Berliner Karneval der Kulturen vor ersten Richtungsentscheidungen. Noch ist alles - außer dem Wetter - eitel Sonnenschein beim friedlichen Volksfest mitten im Kiez. Doch ziehen am Horizont bereits erste Wölkchen auf. Und es könnten schnell ein paar mehr werden ...

Von Christian Beck

Alles über die veranstaltende Werkstatt der Kulturen unter go! www.werkstatt-der-kulturen.de; alles über den Karneval der Kulturen unter go! www.karneval-berlin.de; dort unter Medien/Presse alle Fakten, beispielsweise über Teilnehmer und Gewinner des Paradewettbewerbs, als PDFs/zum Download; Hintergründe und weiterführende Infos auch unter go! de.wikipedia.org/wiki/Karneval_der_Kulturen.

Die Geschichte bewegt sich in Wellen. Auf und ab. Als sich an Christi Himmelfahrt 1996 2.200 Teilnehmer und 50.000 Besucher zum ersten Karneval der Kulturen in den Berliner Problembezirken Neukölln und Kreuzberg trafen, waren sie im Vergleich zu den 750.000 Ravern, die zwei Monate später aus mittlerweile aller Herren Länder zur Loveparade in den Berliner Tiergarten und die angrenzenden Stadtteile einfielen, eine verschwindende Minderheit.

Karneval der Kulturen
Karneval der Kulturen
Karneval der Kulturen
Karneval der Kulturen
Karneval der Kulturen

2003 hatte sich das Verhältnis umgekehrt. 500.000 Raver bei der Loveparade, 800 Musiker, 4.200 Umzugsteilnehmer und 1,5 Millionen Besucher am Pfingstwochenende fünf Wochen zuvor beim Karneval der Kulturen. Zahlen, die mit 1,8 Millionen im Jahr eins nach der Loveparade alter Prägung, 2004, sogar noch getoppt und auch beim gerade zum elften Mal über die Bühne gegangenen Karneval der Kulturen 2006 wieder annähernd erreicht wurden. Von 1,3 Millionen wie im Jahr zuvor sprachen die ersten Meldungen am Tag danach, die vom Anwohner gefühlten Dimensionen liegen deutlich darüber.

Mit der Stabilisierung der Teilnehmerzahlen auf einem derart hohen Niveau hat Berlin innerhalb nur eines Jahrzehnts auf dem Gebiet des Karnevals mit den diesbezüglichen Hochburgen Brasiliens und Englands gleichgezogen: Nichts geht über die Mutter aller Karnevals in Rio de Janeiro, wenig über den Notting Hill Carnival in London - aber der Karneval der Kulturen muss sich vor den beiden größten Straßenfesten der Welt nicht verstecken.

Integrationswerkstatt Berlin

Darf er auch gar nicht. Und will er natürlich auch nicht - dazu war und ist er vom Moment seiner Erfindung an viel zu politisch. „Die Gründungssituation“, antwortete die Ethnologin und Karnevalsforscherin Dr. Michi Knecht im Gespräch mit der taz auf die Frage nach den Umständen, welche die Gründung des Karnevals einst möglich, ja fast nötig gemacht hatten: „Deutschland war damals wiedervereinigt, Berlin wurde Hauptstadt, es gab Ausschreitungen und im Ausland Ängste vor dem deutschen Nationalismus. Da hatte sowohl die liberale, alternative Szene als auch die etablierte Politik ein ganz großes Bedürfnis, ein anderes Berlinbild zu produzieren. Daraus entstand die Idee des Karnevals. Natürlich sollte auch ein anderes Kreuzbergbild entworfen werden: Weg von all den Problemen, vom Ghetto, von der Randale am ersten Mai. Kreuzberg sollte Vorbild sein für ein multikulturelles Friedensszenario, das metaphorisch für die ganze Hauptstadt und ganz Deutschland verlängert wurde. Der Karneval, das ist Politik durch Performance im öffentlichen Raum.“

Oder mit den Worten der veranstaltenden Werkstatt der Kulturen selbst: „Der ‚Karneval der Kulturen‘ entwickelte sich vor dem Hintergrund der wachsenden Internationalität Berlins und als Konsequenz der verstärkten Zuwanderung von Menschen aus allen Weltregionen. Die Weltstadt Berlin ist heute ethnisch, religiös und kulturell heterogen geprägt und ist nach der deutschen Vereinigung in den Mittelpunkt des internationalen Interesses gerückt, auch als Symbol für den Weg zu einem vereinten Europa. Zeichen für einen aufkommenden Nationalismus und Rassismus werden seismographisch genau registriert, aber auch klare Parteinahmen für eine auf Akzeptanz und Toleranz aufgebaute Gesellschaft. Als Stadt mit der höchsten Ausländerzahl (ca. 450.000) in Deutschland hat Berlin die Rolle einer ‚Integrationswerkstatt‘. Integration jedoch kann nur gelingen, wenn kulturelle Vielfalt, gegenseitiger Respekt und Toleranz tatsächlich erlebbar und erfahrbar sind. Berlin kann seine Internationalität als Chance begreifen und seine Rolle als Vermittler aktiv gestalten.“


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