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White Bicycles

Von Pink Floyd bis Nick Drake

Der Produzent und Manager Joe Boyd hat seine Memoiren geschrieben

Buchtipp:

Joe Boyd.
White Bicycles -
Making Music In The 1960s.

 
London: Serpent’s Tail, 2006, 224 S.
ISBN-1-85242-910-0

White Bicycles -
Making Music In The 1960s.

Joe Boyd hatte schon vor Jahren angekündigt, „sein“ Buch zu schreiben. Mit White Bicycles - Making Music In The 1960s hat er es jetzt endlich vorgelegt. Als Plattenproduzent hat der 1942 in Boston geborene und in Princeton aufgewachsene Boyd ganze Generationen von Musikern beeinflusst. Zu den Künstlern, mit denen er gearbeitet hat, gehören Cyril Tawney, Eric Clapton & The Powerhouse, Pink Floyd, Fairport Convention, Nick Drake, Chris McGregor’s Brotherhood of Breath, Nico, die gerade wiederentdeckte Sängerin Vashti Bunyan sowie Maria Muldaur, Kate & Anna McGarrigle und Márta Sebestyén. Interviews hat Joe Boyd in der Vergangenheit oft abgelehnt, weil er sich seine Erinnerungen und Erfahrungen für sein Buch aufbewahren wollte. Das war einmal. Jetzt ist heute. Und jetzt will er von der Vergangenheit sprechen. Gewissermaßen als „Soundtrack“ zum Buch ist auf Fledg’ling Records eine CD mit Ausschnitten von Titeln u. a. von Clapton, Pink Floyd, der Incredible String Band, Soft Machine, Dudu Pukwana & Spear (bisher unveröffentlicht), The New Nadir (bisher unveröffentlicht) und The Purple Gang erschienen. Diese heißt ebenfalls White Bicycles und enthält zu jedem Track mit dem jeweiligen Song verbundene Erinnerungen Boyds. Alles im Buch und auf der CD dreht sich um die 60er Jahre und es gibt viele Einblicke in die Mythologie dieses Jahrzehnts. So war Joe Boyd dabei, als Bob Dylan 1965 beim Newport Folk Festival seine Gitarre elektrifizierte und Pete Seeger deswegen zum Beil griff (um das Warum und den „folk myth“ zu verstehen, muss man Boyds Buch lesen). Er räumt mit allerlei Arten solcher Legenden auf.

Von Ken Hunt

Hat Joe Boyd eine Autobiographie geschrieben?

Na ja, ich würde dieses Buch lieber nicht als Autobiographie bezeichnen. Ich würde es eher so ausdrücken: Ich habe meine Memoiren geschrieben über das, was ich gemacht habe. Es geht nicht um meine Person. Ich hoffe sehr, dass beim Lesen nicht der Eindruck entsteht, dass es hier um die „innere Folter eines Plattenproduzenten“ geht.

Wenn man zurückblickt, gibt es wirklich einschneidende Momente in einer musikalischen Karriere, die ein Leben von Grund auf verändern? Ein Beispiel: Nachdem Cecil Sharp Ende 1898 in einem Dorf in der Grafschaft Oxfordshire zum ersten Mal Morris dancing erlebt hatte, änderte sich sein Leben völlig. Gibt es so etwas auch bei Joe Boyd?

Ja sicher. So einen Moment gab es 1961, als ich Lonnie Johnson angerufen und gebucht habe. Mein Bruder Warren, Geoff Muldaur und ich waren damals wie die meisten Fans: Du stellst dir eine imaginäre Welt mit den Musikern vor. Sie befindet sich irgendwo da drüben, hinter den Lautsprechern, weit entfernt. Man sitzt im Wohnzimmer und hört zu. Es ist aber etwas ganz anderes, wenn du einem Musiker aus Fleisch und Blut gegenübersitzt. Nun war Joe Boydes nicht so, als ob ich Künstler nie live gesehen hätte. Aber Lonnie Johnson anzurufen, ihn zu erreichen, und dass er 50 Dollar - 1961 war das ein Haufen Geld - akzeptierte, das war für mich einfach unglaublich. Wir holten ihn in Philadelphia ab - eine Legende, die mit Duke Ellington und Louis Armstrong gespielt hatte, ein Typ der alles überlebt hatte, mehr als man sich vorstellen konnte -, fuhren durch Bucks County in Pennsylvania im Rambler [amerikanische Automarke; Anm. d. Red.] von Geoff Muldaurs Vater und plauderten mit Johnson. Nachher bekam er 100 Dollar Gage. Es war so als ob man mit einem einfachen Handschlag etwas Großes bewegen konnte. Unsere Freunde haben bezahlt, obwohl sie keinen blassen Schimmer hatten, wer Lonnie Johnson war. Sie alle waren wie gebannt. Das war so ein Moment für mich. Sie kamen meinetwegen und Johnson bekam 100 Dollar, die er dringend brauchte. Du bekommst ein Gefühl von Macht. Dass du etwas bewirken kannst. Es war ein großer Augenblick. Musikalische Höhepunkte gab es viele. So fühle ich mich glücklich, 1963 Mississippi John Hurt gesehen zu haben. Das war ein Lonnie-Johnson-Moment. Es hieß, er sei schon tot. Völlig verrückt. Auf einmal stand er da.

Der gebürtige Niederländer und in London lebende Schriftsteller Ian Buruma hat einmal eine interessante Beobachtung geschildert. Er verglich des Anglophils Los mit dem des maoischen Sinophils als man „the real thing“ begegnete. Boyd hat eine andere, aber durchaus ähnliche Erfahrung gemacht.

Meine Offenbarung war, als ich 1964 in England erlebte, wie ein weißes Publikum sich drängte, um schwarzen Blues zu hören. In den Staaten gab es das damals nicht. Brownie McGhee und Sonny Terry, Josh White, Leon Bibb oder Jackie Washington waren die einzigen in der Szene, die in den USA etwas Geld verdienten. Mir schien der Grund für diesen Umstand zu sein, dass sie mit ihrer Musik und Kultur Kompromisse eingegangen waren, um sie seicht und für Weiße akzeptabeler zu machen. Es war etwas ganz anderes nach England zu kommen und Engländer zu erleben, die genau wussten wer John Lee Hooker war und die Konzerte besuchten, um Muddy Waters zu sehen. Als wir in Paris waren kamen französische Jazzkritiker, um Sister Rosetta Tharpe zu interviewen, und sie haben sie verehrt. Man fragte sich: „Was mache ich eigentlich in Amerika?“ Europäer nahmen die schwarze Kultur ernsthafter wahr als die Amerikaner selbst. Das war für mich wichtig. Im Winter 1963/64 habe ich dann ein erfolgreiches Off-Broadway-Schauspiel in New York mit dem Titel Black Nativity gesehen. Es war eine Hommage an schwarze Gospelmusik, wenn auch ausgerichtet auf ein weißes Publikum. Und mittlerweile denke ich anders. Mir wurde klar, dass die britische und europäische Akzeptanz von Schwarzen und ihrer Kultur damit zusammenhing, dass es dabei um ausländische Musiker ging und nicht um Einheimische. Doch damals in meiner Naivität schien mir das alles sehr aufgeschlossen und offenherzig.

Und warum hat Joe Boyd seine „Memoiren“ geschrieben?

Da kommen wohl mehrere Ursachen zusammen. Im Laufe der Jahre war mir bewusst geworden, dass die Künstler, mit denen ich gearbeitet habe, zu historisch wichtigen Faktoren geworden waren. Immer wieder bekam ich Anrufe vom BBC -Rundfunk und Fernsehen -, um über Newport 1965, den von John Hopkins und mir in London gegründeten UFO Club oder was auch immer zu reden. Nach einer Weile dachte ich mir dann aber, das sind doch jedes Mal nur kurze Ausschnitte. Ich wollte das lieber ausführlich beschreiben.

Eine erste Gelegenheit ergab sich im Oktober 1988 als die Zeitschrift Record Collector einen Artikel über Sandy Denny veröffentlichte - mit einigen Fehlern, die ich in einer im darauf folgenden Januar abgedruckten Entgegnung richtig stellte. Die nächste Möglichkeit ergab sich, als Anfang der 90er Jahre in der englischen Tageszeitung The Guardian ein Artikel unter dieser Überschrift erschien: „Oh Gott, Sharon Stone, Tom Cruise und John Travolta sind Scientologen. Hilfe! Die Scientologen kommen!“ Es war ein langer Beitrag darüber, wer dabei war und wer nicht. Er erklärte aber noch nicht einmal, was Scientology überhaupt ist. Wegen meiner Erfahrungen mit der Incredible String Band und ihrer Zeit bei den Scientologen wusste ich ganz viel darüber. Ich war dort, hatte das „Auditioning“ erlebt und mich ihnen angeschlossen, um ihre „dunklen Geheimnisse“ herauszufinden.

Also rief ich Richard Williams vom Guardian an und meinte, ich würde gerne einen Artikel darüber schreiben, wer und was Scientology wirklich war. Das sei großartig, meinte er. Wobei er nicht versprechen könne, ob er es auch verwenden werde. Ich sollte es auf jeden Fall kurz machen - etwa 1.000 Wörter. Als ich in Urlaub fuhr, nahm ich meinen Computer mit und fing an zu schreiben. Ich konnte mich kaum bremsen. Ich habe die ganze Geschichte darüber beschrieben, wie die Incredible String Band zu Scientologen wurde. Am Ende waren es etwa 5.000 Wörter. Nach Hause zurückgekehrt, teilte ich Richard mit, dass es mir nicht gelungen war, mich kurz zu fassen. Kurz danach bekam ich einen Anruf vom Guardian, ob 1.500 Pfund genügen würden. Sie wollten meinen Artikel verwenden. Das war vielleicht Ende 1994. Er kam sehr gut an. Im Grunde ist es das Material, das ich auch im Buch verarbeitet habe. Ich dachte mir, „Ist ja kinderleicht! Eines Tages schreibe ich ein Buch.“

Ich hatte noch ein anderes Erlebnis, das mich zum Schreiben motivierte. Der englische Schriftsteller und Journalist Patrick Humphries besuchte mich, Joe Boyd um ein Interview über Richard Thompson für seine 1996 erschienene Biographie Strange Affair zu machen. Nach dem Gespräch meinte er vor dem Verlassen des Hauses, dass er wohl wiederkommen werde, um mit mir über ein weiteres Buch zu reden, dass er über Nick Drake schreiben wolle [Nick Drake: The Biography, 1997; Anm. d. Red.]. Danach rief ich sofort Nicks Schwester Gabrielle Drake an. Das mit Patrick sei großartig. Seit langem sei er ein Anhänger von Nick und ein feiner Journalist. Er ist aber nun mal ein Musikjournalist und für mich hatte Nick Drake kein „Musikerleben“ gehabt. Er hatte kein Rock-’n’-Roll-Leben geführt. Er hatte keine Gigs besucht. Das hatte er nie getan. Sein Leben war völlig anders. Auch darüber wollte ich schreiben.

2001 war es dann plötzlich aus mit meiner Plattenfirma Hannibal. Zuerst dachte ich: „Okay, gründe ich einfach eine neue Plattenfirma.“ Doch ich kehrte schnell zur Realität zurück. Vor fünf Jahren war kaum die beste Zeit, um ein Plattenlabel zu gründen. Daher fing ich an zu schreiben. Dabei hatte ich im Hinterkopf immer den Gedanken, wie kinderleicht es doch mit dem Guardian-Artikel gewesen war. Natürlich kam es anders. Es war viel schwieriger. Verlage lehnten das Manuskript ab, und immer wieder habe ich Kapitel umgeschrieben. Es hat lange gedauert. Wir haben jetzt 2006. Die Idee zu dem Buch hatte ich vor über vier Jahren. Manchmal war es richtig frustrierend. Doch die Mühe hat sich gelohnt. Und ich habe dabei viel gelernt.


Eine Liste der exklusiv auf der Folker!-Webseite erschienenen Artikel findet ihr im go! Archiv.


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