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Ferner liefen...

Entnazifizierung, Gewissensprüfung, Volkszählung, § 88a - kennen wir schon, hatten wir schon, next question. Kommt aber in variablen Intervallen immer wieder neu. Noch sind der Islamisten-Schwabenspiegel und das hessische Fangfragen-Stadt-Land-Fluss ein Trivial Pursuit für Einwanderungswillige. Kommt aber erst der Schnüffelstaat auf Bundesebene, dann weiß der Schäuble, wer diese Gesinnungsbögen sonst noch alles ausfüllen darf! Da fällt mir übrigens der alte Akademikerwitz ein: Trifft ein Professor zwei Examenskandidaten, einen Philosophie-, einen Medizinstudenten. Beiden reicht er zum Auswendiglernen ein Telefonbuch. Fragt der Philosophiestudent: „Warum?” Fragt der Mediziner: „Bis wann?”

Antragsteller aus Kameltreiberstaaten konfrontiert man in den 44 baden-württembergischen Einwanderungsbüros mit einer Dreißiger-Liste. Nichts Kniffliges, nichts, was man nicht aus Führerscheinprüfungen kennt oder sich im Ernstfall („Moment, mein Handy klingelt!”) zusimsen lassen könnte. Etwa No. 22: „Sie erfahren, dass Leute aus Ihrer Nachbarschaft oder aus Ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis einen terroristischen Anschlag begangen haben oder planen. Wie verhalten Sie sich? Was tun sie?” Ich muss doch sehr bitten! Mein Bekanntenkreis schrumpft mit jedem Pumpversuch, drei Häuser weiter wohnt der Sohn von Heinrich Böll (Hessen No. 82, Literaturnobelpreisträger), der einst „unter dem Pseudonym Katharina Blüm ein Buch geschrieben hat, das eine Rechtfertigung von Gewalt darstellt”, weshalb Karl Carstens 1974 die Bevölkerung aufforderte, sich von ihm und der Terrortätigkeit zu distanzieren (Hessen No. 61, Amtsbezeichnung des Staatsoberhauptes).

Baden-Württemberg No. 2 nimmt kein Formblatt vor den Mund: „Die Menschheit hat noch nie eine so dunkle Phase wie unter [!] der Demokratie erlebt. Damit der Mensch sich von der Demokratie befreien kann, muss er zuerst begreifen, dass die Demokratie den Menschen nichts Gutes geben kann ... Entsprechen diese Grundsätze Ihren persönlichen Vorstellungen?” Nee, nee, dieses Haupt- und Staatsproblem darf natürlich nicht rundheraus mit „Ja“ bejaht werden. Ich nehme alles zurück und behaupte vielmehr das platte Gegenteil! Vielleicht mach’ ich mein Kreuzchen bei „Demokratie ist die schlechteste Regierungsform, die wir haben” - Hätten Sie wohl mal einen Radiergummi für mich? Danke! - , „aber die beste, die es gibt ...”

Baden-Württemberg No. 3 ist identisch mit Hessen No. 43: „In Filmen, Theaterstücken und Büchern werden manchmal die religiösen Gefühle von Menschen der unterschiedlichen Glaubensrichtungen verletzt.” Mag ja sein, aber greift da nicht jedesmal die Schmutz-und-Schund-Taskforce des Obermullahs in Rom bzw. seiner Kalifen von der Bischofskonferenz ein? „Welche Mittel darf der Einzelne Ihrer Meinung nach anwenden, um sich gegen solche Verletzungen seines Glaubens zu wehren, und welche nicht?” Die Entscheidung fällt schwer: Botschaft anzünden? Fähnchen verbrennen? Oder reicht ein Handelsembargo auf original bulgarischen Dänenschafskäse? Unterstellen wir mal (mit Baden-Württemberg No. 17), Ihre „volljährige Tochter/Ihre Frau möchte sich gerne so kleiden wie andere deutsche Mädchen und Frauen auch. Würden Sie versuchen, das zu verhindern? Wenn ja: Mit welchen Mitteln?” Rat wissen eventuell die „homosexuellen Politiker”, die in Deutschland zwar keine volljährigen Mädchen, aber „öffentliche Ämter bekleiden” (No. 30). Am besten „die Tochter einschließen”, bevor sie Ihnen „Schande macht“ (No. 7) und mit einem von denen durchbrennt! No. 6: „Wie stehen Sie zu der Aussage, dass die Frau ihrem Ehemann gehorchen soll und dass dieser sie schlagen darf, wenn sie ihm nicht gehorsam ist?” Na ja, wenn sie sich (No. 12) im „Notfall, Schichtwechsel im Krankenhaus, von einem Arzt (Einbürgerungsbewerberin) untersuchen oder operieren” lässt ...

Dagegen ist das Hessenquiz der 100 Fragen eine Fortbildungsmaßnahme für Günter-Jauch-Kandidaten. Will man in der PISA-Bildungswüste durch gezielte Aufnahme der Doofen einer Übersteigerung des Allgemeinbildungsniveaus vorbeugen? Grad’ will ich erklären, wie lange der Dreißigjährige Krieg gedauert hat, da lese ich No. 18: „Welches Ereignis fand am 20. Juli 1944 statt?“ (Ob es wohl diese Sache vom 20. Juli war?) - Gegenfrage: Was passierte in gut katholischen Bundesländern vom 4. bis 15. Oktober 1582? Haha, reingefallen: nichts. Um das Schalttagchaos zu beseitigen, sagte Papst Gregor XIII. für diesen Zeitraum alle Termine ab, weshalb Dichter Logau den Protestanten verhieß: „Zwölf Tage soll eher in Himmel kummen, / wer neuen Kalender hat angenummen!” Immer wieder liest man sogar, 297 Jahre aus der goldenen karolingischen Ära (bis zur Regierungszeit Karls des Einfältigen) seien von den Kirchenchronisten frei erfunden ... No. 9: „Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚Reformation‘ und wer hat sie eingeleitet?” Das war bestimmt dieser Kanzler mit dem Reformstau, na, wie hieß er gleich, bei der Christiansen hat er auch dauernd rumgequäkt!

Mich erinnert’s an Preisausschreiben in der Markenwerbung. Da wird nach „Sowieso“ gefragt, derselbe Name hundertmal genannt, anschließend soll der dressierte Kunde das Lösungwort ergänzen: „S.w..eso“, kapiert? Als Preis winkt ein Gratispröbchen 76-er Dioxin aus dem norditalienischen Chemiereaktor, nicht teilnahmeberechtigt sind Angehörige des Unternehmens und der Redakteur der Rätselseite, der Rechtsweg ist ausgeschlossen. - Laut Frage No. 81 „gelten” z. B. der hessische Landsmann Goethe und der aus Württemberg geflüchtete, in Rheinland-Pfalz und Thüringen Asyl suchende Schiller „als Deutschlands berühmteste Dichter”; jedenfalls nach Hörensagen der Deutschländermacher. „Nennen Sie jeweils ein Werk der beiden Dichter!“ Und 50 % der Antwort stehen zwei Hausnummern weiter: „Welcher Deutsche komponierte in seiner 9. Sinfonie am Schluss die berühmte ‚Ode an die Freude‘?“ Come on, Chuck, the one you and John Lennon once rolled over ... Aber Moment mal, hatte Beethoven nicht längst die österreichische Staatsbürgerschaft beantragt, als er die Neunte notierte? So wie der Schauspieler mit Hitlerbärtchen und überschnappender Bruno-Ganz-Keifstimme, der gar keinen Personalausweis hatte, im Nachhinein für einen Deutschen gehalten wird. Ehrenhalber sozusagen.

30 Fragen gehen noch eben, bei 60, 65 verläppert es irgendwann, 100 überstrapazieren den Kanon historischer Relevanz. No. 93: „Was hat Johannes Gutenberg erfunden?“ Man könnte auch gut ein ‚Wer‘ davorsetzen. No. 90: „Auf welches sportliche Ereignis nimmt der Film ‚Das Wunder von Bern‘ Bezug?“ Ist das Wirtschaftswunder aus No. 25 gemeint? No. 98: „Welche Farben hat die deutsche Bundesflagge, und wie sind sie angeordnet?“ Da jubiliert der frischgebackene Neubürger mit dem Deutschlandflüchtling Heine: „Theure Farben! Schwarz-roth-goldgelb! / Diese Affensteißcouleuren, / Sie erinnern mich mit Wehmuth / An das Banner Barbarossas.” Und wer den Test besteht, darf am Schluss das WM-Stadion auskehren.

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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Die Kolumne
im Folker! 3/2006