von Nikolaus Gatter
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Virtuoso sei er nicht, die Musik käme vom Bauch her und entstehe allabendlich neu, ließ Thomas Felder über sein Schaffen verlauten; doch unter höchsten und tiefsten trifft er in frühlingsblütenglühn (Musik & Wort CD TF 1300, 14 Tracks, 54:46, mit Texten) stets die richtigen Töne: muezzinhaft, brechtisch, mit überschwänglichem Folkholdrioh oder geheimnisvoll wispernd. Und das selbst beim Einstudieren mit Klaus dem Geiger und der Cellistin Eva Dyczynski, die dem in sich gekehrten Solisten dialogischen Widerpart bieten. Die SWR-Produktion bietet Feldersches und lyrische Anleihen bei David, Heine und Babette Dieterich (banal-tolkienhaft), die Deutung des schwer zu vertonenden Hölderlinschen „Schicksalsliedes“ überragt alles mir sonst bekannte. - Falsch wie‘s Grab, heißt es in Bayern, seien Frank‘ und Schwab; so sparsam dieser die Instrumente wählt, desto verschwenderischer mixt, arrangiert, soundcollagiert der Franke Wolfgang Buck, Flusszigeiner (www.wolfgang-buck.de, CAB 514, 12 Tracks, 61:22, mit Texten). Der Bigbandbombast und Drehleier-Felder sind einander ähnlich als fabulierende Sprachmagier, akribische Tonkünstler, heimatkritische Schwärmer. Doch ein „anonymer Homonymiker“ wie Buck rutscht sich und der Welt denselben gern ‘runter und zeigt Sinn für‘s Absurde des Alltags („Hammerned“, „Hulzkulln kullt“). Zu loben ist nicht zuletzt die öko-vorbildliche Gestaltung der CD. - Die gleichfalls hübsche Hülle des Zeichners Ulf K. kann‘s nicht verbergen: die Bindestrichband Nicht-Vor-Den-Kindern, Überm Regenbogen (Valve 1086, 13 Tracks, 51:03) bietet ein Sammelsurium trashig verquietschter, mit neubackenen deutschen Texten übertrüffelter US-Oldies der Film- und Schlagerbranche. Der Titelsong (keine Judy-Garland-Hommage) verheißt nicht das Oz des Zauberers, sondern die Müllhalde im Kölner Südstadthinterhof. Auf diese gehören aber auch Provinzmief, latente Frauenfeindlichkeit und unbearbeitete Analkomplexe. - Cartoonisch von Reinhard Kleist illustriert, lassen Strom & Wasser: Gossenhauer hören (Traumton 4491, 15 Tracks, 57:05, mit Texten). Um des Endreimes willen wird hier ein Surrealist, der mit dem Steiß kämpft, mit Weisheit bepisst. Unreinem Reimzwang folgt das „Schreiben über Scheiden“, und so recht politisch wird es, wenn - hoho! - ein Nazi nur bis zehn zählen kann oder Texter Heinz Ratz einer Bundeskanzlerin den Willy macht ...! Nachdenklicher sind Balladen ohne Brüllwitz wie „Hartschalenkostüm“ oder „Vergissmeinlied“. Einfallsreich klampft Peer Jensen dazu, auch die Frische Mische mischt mit. - Ein ganz Schlimmer, vor allem beim Schokoraspeln zur Cappuccinobereitung, ist Klaus-André Eickhoff, Schafspelz (Cap-Music, CD 07008, 14 Tracks, 52:39, mit Texten), er baut den Applausbefehl ins Finale ein („Meine Masche“). Klischees und Kulissen sind seine Welt, der dicke Auftrag die typische Handbewegung. Arbeitslosigkeit z. B. hat als Sujet von Brecht-Eislers „Kuhle Wampe“ bis Handkes „Tormann“ eine überschaubare Bearbeitungstradition. Hier zieht Enttäuschung über eine Bewerbungsabsage („Feines Gift“) den folgenden Metaphernreigen nach sich: Sie „wirft aus der Bahn“, „peitscht wie Wüstenwind“, der Boden schwankt, scheinbar dickes Eis bricht, eng ist der Pfad und schmal der Grat, der „Sturz“ ist abzusehen, aber was gewonnen? „Worthülsen verebben angesichts des Schreckens“, heißt es in „Sehr viel mehr Fragen“ (können Hülsen verebben?). Selbsterkenntnis ist der erste Weg zum Besseren. - Die Schlichtversion solcher Gleichnisseritis bietet Torsten Riemann, Endlos Leben (AMA 626655, 17 Tracks, 54:29, mit Texten), AMIGA-Preisträger von 1985. Hier veranlasst eine unbefriedigend endende Liebesbeziehung, dass Eis bricht, ein Kartenhaus einfällt, Trauer über Bord geworfen wird usw. - Beide, Riemann und Eickhoff, sind immerhin fähige Musiker mit guttranierten Stimmen, was die Leute kaum sagen werden von Heiko Werning, Was die Leute sagen (www.reptiphon.de, 15 Tracks, 59:43, mit Texten). Der Freundin früh um 6.14 Uhr ein Stellenangebot auszureden, um die gefürchtete Seemannsehe zu vermeiden („Geh nicht nach Stuttgart“), entbehrt nicht der Ironie - Kunststück, wenn die mitsingenden Nachbarn Maurenbrecher und Dziuk heißen ... Alle übrigen Werningschen Weiberaffären (oder ist es nur eine in Etappen?) sind strapaziös, untertourig geleiert und zu lang. - „Lust auf andere Frauen“ hat der schlaflose Christian Redl, Das wilde Herz (Freiland F 08, 12 Tracks, 36:30), aber die sind einander täuschend ähnlich: sanfte, dem Meer entstiegene Tiere, wundersame Engel, unnahbar, wild und schön; ein veritables Klischeewörterbuch hat der TV-Hammermörder da zusammengeklopft. „Irgendwie ist es klar, dass so ein Mensch auch Lieder schreibt“‘”, steht im Waschzettel, aber muss er sie auch noch ins Mikro ächzen (man kriegt Halsweh vom Hören), zu CDs brennen und „den Frauen, die es mit mir ausgehalten haben“, widmen? - Liebes Tagebuch, die Sissi Perlinger hat mir auf Singledämmerung (Tacheles/Indigo 65152, 11 Tracks, 34:58) erzählt, sie wolle sich jetzt erst mal selber finden, damit sie nicht immer an ihren Ex-Lover denken muss, wenn sie ins Bad geht („Fliesen“). Sie parodiert mit Chorus-line-Soul gleich mehrere Sängerinnen der Neuen Deutschen Welle, und singt sie „Ich bin wie ‘ne Gitarre“, wer möchte da nicht in die Saiten greifen? - Aber singen können, das verlangt das Publikum heute nicht mehr; als Dame reicht es, auf sinnliche Weise keine Stimme zu haben. Gesine Heinrich, ich male herzen (www.gesine-heinrich.de, 6 Tracks, 23:26) beherrscht viele Register und wird gitarrenmeisterlich begleitet; vom Reim verführt, lässt sie sich auf skurrilste Um- und Abwege ein. Ihre romantische Linie überzeugt; doch mit fünfeinhalb Minuten überschreitet der „Fieber“-Tango die Witzgrenze; ins Fach der komischen Soubrette, für das ihre Stimme geschaffen ist, wächst sie noch hinein. - Perfekt beherrscht es Popette Betancor, die ihren prénom de guerre loswerden und der Betancorband, hispanoid (Traumton 4487, 18 Tracks, 59:50, mit Texten) ein seriöseres Profil geben will. Experimenteller als Perlinger, frecher als Gesine Heinrich, leicht beschickert die Endsilben wegschluckend, eine Dodo Hug mit D-Kennzeichen, mixt sie eine spanisch-deutsche Olla Potrida und grundiert mit diskreten Rocksoundmustern ihre Alltagskonflikte („Sitzclub“; „Hausverbot bei H&M“). - „Sie ist sauber und hat Abitur“, heißt es von Kitty Hoff und Forêt-Noire, Rauschen (EMI 3344610, 12 Tracks, 47:22, mit Texten); wenigstens steht es so in einem teilautobiographischen Lied. Kitty ist Inhaberin zweier Bundesgesangsmedaillen und eines Studiostipendiums und „singelingelingt einen schönen Ton“, nicht weit vom Schlager und allzu nah an der Beliebigkeit, darunter viel Plattgeschalltes („weiter, weiter, Hauptsache weiter, denn der Weg ist das Ziel“). Die Combo spielt gepflegte Nachtclubmusik, und laut Beiheft haben alle Beteiligten der CD ihren Eltern und allen möglichen netten Menschen viel zu verdanken. - Gleiches gilt für die Letzte Instanz, Ins Licht (Drakkar/Sony BMG 82876 766-482, 13 Tracks, 50:36, mit Texten): Holly, Oli, Specki und Fish, die haben Bärte, die spielen (notfalls als Gastsänger) mit. Über den Wall-of-sound-Tsunami des metallverarbeitenden und lärmprogrammierenden Gewerbes hinweg grummeln beleidigte Nachwuchschöre (eigentlich sind es zwei Hollies, dieser Bandname war aber schon vergeben). Der Cellist heißt Cellini, der Bassist Michael Ende, der Reichspropagandaminister von Phantasién schrieb den PR-Text und platziert das „wichtigste deutschsprachige Album“ bzw. seine Macher „entgültig“ [!] zwischen Rammstein und Schandmaul. - Die Gothic-Welle, die ins 18. Jahrhundert zurückreicht, schwappt gar nicht weit von Fredmans (vergleichsweise unbeschwerten) Gesängen und Episteln: Petter Udland Johansen/Ensemble Pratum Musicum, Carl Michael Bellmann. Lieder von Liebe, Wein und Tod (2 CDs, Quantaphon/Swisspan SP 51718, CD 1: 11 Tracks, 42:28; CD 2: 9 Tracks, 43:43; mit Texten und Infos). Trotz Süverkrüp war ein Bellmann (1740-1795) auf Deutsch mal wieder überfällig, schließlich zählt der Stockholmer Saufaus zum Songwriter-Urgestein. Seine Themen sind Rauschmittel aller Art in flüssiger Darreichungsform, käufliche und minstrelkeusche Liebe und der eigene Leibesverfall. Respektvolle Interpretationen legt hier ein norwegischer Schweizer vor, der ohne Klamauk und Lallen die gestischen Möglichkeiten z. B. der berühmten dritten Epistel (aus der Sommernacht anno 1786, als Fredmann vor der Schenke Kriech-herein lag) nutzt. Fürs historische Gewand sorgen u. a. Cister und Traverslaute mit seriellen Melodiemotiven, die das (nur fragmentarisch überlieferte) Notenmaterial nicht überfordern. Außerdem eingetroffen:Hubert Burghardt, Schuld sind immer die Andern! ( www.hubert-burghardt.de, 15 Tracks, 79:53) Diverse, Kleinkunstpreis Baden-Württemberg. Spott-Lights Vol. 1 (Staatliche Toto-Lotto GmbH Baden Württemberg/Merkton, 16 Tracks, 65:00) Konstantin Wecker, Am Flußufer (2 CDs, Sony/BMG 82876 73718 2, CD 1: 18 Tracks, 76:03; CD 2: 14 Tracks, 78:03; mit 3 Texten) Jochen Wiegandt, Ebbe un Floot (Early Bird Records 223656-210, 13 Tracks, 43:47, mit Texten) |
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