www.janreichow.de (Dort findet sich auch der Wortlaut des Vortrags, den Jan Reichow zum Thema Globalisierung und musikalisches Bewusstsein unter der Überschrift „Was wird von der Vielfalt bleiben?“ beim TFF.Rudolstadt im vergangenen Jahr gehalten hat.) |
Der WDR feiert sich. In der Jubiläumsausgabe von WDR Print, der Zeitung des Westdeutschen Rundfunks, zu „50 Jahre WDR“ jagt ein Superlativ den anderen. „Quote? Qualität!“ So einfach lautet das Urteil des früheren Intendanten Friedrich Nowottny. Und unter der Überschrift „Hier spielt die Musik“ darf Franz Xaver Ohnesorg, der Gründungsintendant der Kölner Philharmonie, die Kulturarbeit in den Hörfunk- und Fernsehprogrammen des Senders würdigen. Dass dabei die Musikfarben, über die der Folker! berichtet, keinerlei Erwähnung finden, ist nicht überraschend. Als „alternativen“ Jubiläumsbeitrag dokumentiert der Folker! deshalb ein Gespräch mit Jan Reichow, dem Ende vergangenen Jahres in den Ruhestand getretenen Leiter der „Volksmusik“ im WDR-Hörfunk (s. Folker! Heft 02/2006). Der in Solingen lebende Folkspezialist erzählt von den Veränderungen in der Rundfunklandschaft, vom richtigen Hören und seinen Zukunftsplänen.
Von Michael Kleff
Es gab im WDR doch auch einmal den Ansatz, für unsere Ohren nicht so eingängige Musiktraditionen in einer Weise zu präsentieren, dass sie auch für jemanden interessant wurden, dessen Fachgebiet das nicht war. Zum Beispiel durch Gespräche mit Studiogästen, die, ohne in Musiktheorie einzutauchen, musikalische und gesellschaftliche Hintergründe so erläuterten, dass ungewohnte Klänge eingängiger wurden.
Das war in der Sendung Zwischen Bosporus und Gibraltar. Das war eine Spezialität. Da gab es auch keine stilistische Festlegung. Da konnte man Popularmusik - auch Popmusik - genauso spielen wie Dorfmusik. Durch die besondere Präsentation wurde einem nicht nur die Musik, sondern auch die Welt nahe gebracht, aus der die Musik kam.
Eigentlich war das dann ja eine optimale Form, Weltmusik mit Inhalt zu füllen. Warum ist dieses Konzept dann komplett aufgegeben worden?
Eine Programmreform war dafür verantwortlich. Die integrative Idee dieser Sendung durch den täglichen Themenwechsel wurde nicht richtig erkannt. Es waren ja eigentlich alle Kulturregionen vertreten. Das hatte aber Mitte der 90er Jahre noch nicht den politischen Stellenwert, den es später bekommen hat. Und was letztendlich zur Einrichtung des sechsten Senders, Funkhaus Europa, geführt hat. Die Vorgängersendung hatte jedoch nicht die stilistische Einengung, die jetzt im Funkhaus Europa herrscht, wo alles auf Easy Listening und tanzbare Musik hinausläuft. Und wo eigentlich auch das, was ich für anspruchsvolle und befruchtende Momente in der Musik anderer Völker halte, gar nicht vorkommt. Also, die große improvisierte Musik und die intensiv durchdringende, hartnäckig bleibende und sich ausdehnende Musik, die nicht unseren Popkriterien untergeordnet werden kann. Die eben Zeit braucht. Die hat da keinen Platz. Und das finde ich eigentlich unverzeihlich, denn genau das gehört mit zur integrierenden Bewegung. Zur Begegnung mit den anderen Völkern.
Das ist interessant, da offensichtlich zu einem Zeitpunkt, zu dem die Marktbegriffe „World Music“ und „Weltmusik“ noch gar keine Rolle spielten, das Spektrum im Programmangebot größer war als heute, wo der Begriff weltumspannend ist.
Im Grunde genommen herrschte damals eigentlich mehr Wildwuchs. Wir haben beispielsweise die Matinee der Liedersänger auch als Experimentierfeld dafür betrachtet, was man beim WDR Folk- und dann Weltmusikfestival nebeneinander präsentieren kann, und sind da erst mit der Zeit immer mutiger geworden. Bis sich dann irgendwann dieses Formatdenken durchzusetzen begann, wie ein Programm, eine Programmfarbe auszusehen hat. Plötzlich hatte man beim Hören bestimmter Sendungen, die man guten Willens zusammengestellt hatte, ein schlechtes Gewissen. Wenn das zufällig ein Chef hört, der schreit auf der Stelle, das passt doch nicht zur Farbe des Programms!
Schon als WDR 4 kam und wir da noch Sendungen hatten, merkten wir, dass ein gängiger Begriff wie „Madrigalchor“ auf einmal zum Spottwort wurde. Ein Chor, der alte Musik aufführt, Madrigale, kunstvolle Sachen. Das gehört zum Besten, was Chorgesang sein kann. Auf WDR 4 kam aber der Einwand: Das können wir da nicht gebrauchen. Es muss schon angeswingt sein. Das heißt, es sollte zumindest eine Combo drunter liegen und so ein leichter Beat, sonst sei das nicht für WDR 4 brauchbar. Dieses Denken in Programmfarben verschärfte sich nach der Einführung der Wellen, erforderte ein noch deutlicheres Profil. Die eine Welle sollte sich deutlich „absetzen“ gegen die andere, so lautete das Motto, und in sich hübsch einheitlich bleiben. Damals hörte ich zum ersten Mal die neue Grundregel von einem hörerfreundlichen Programm: Es habe „irritationsfrei“ zu sein. Schlechte Chancen für unsere Musik, deren „Irritationsfreiheit“ niemand von uns hätte garantieren wollen ...
Stichwort „Abbau der Vielfalt“ innerhalb der jeweiligen Programme. Ich habe mir einmal das Büchlein WDR Konzerte für das Jahr 2005/2006 in die Hand genommen. Wenn man da unter Weltmusik nachschlägt, findet man ganze drei Seiten mit öffentlichen Veranstaltungen - die aber alle eher in Richtung Jazz oder Klassik gehen. Oder wenn man an das TFF.Rudolstadt denkt ... Funkhaus Europa, die Welle, die sich die Weltmusik auf die Fahnen geschrieben hat, ist dort nicht vertreten ... Überhaupt finden Farben wie „Folk“, „Singer/Songwriter“ oder „Liedermacher“ im WDR, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, gar nicht mehr statt. Und Funkhaus Europa deckt nur einen ganz bestimmten Teil der so genannten Weltmusik ab.
Funkhaus Europa ist ja eigentlich das Gegenteil von dem, wofür die Abteilung „Volksmusik“ oder „Musikkulturen“ stand. Da sollte möglichst alles an Vielfalt vorkommen, was die Welt bietet. Was wesentlich, irgendwie farbig und darstellbar war, das sollte auch stattfinden. Sofern es jemanden gab, der sich in dem jeweiligen Bereich auskannte und es vermitteln konnte. Das ist aber nun einmal nicht das Ziel dieses Multikultisenders. Vielmehr ist dessen Programm von Popnähe diktiert. Damit wird das Spektrum ganz eng. Alles, was nicht auf der Schiene läuft, sondern sich irgendwie von Pop abgrenzt, wird nicht mehr einbezogen. Wahrscheinlich steht das auch in den Statuten drin. Dass man nicht die Weltmusik meint, nicht die World Music, sondern nur eine bestimmte Weltmusiksszene. Die etabliert ist, die ihre Hitlisten hat und die irgendwie nach den eingefahrenen Regeln abläuft. Nach Regeln, die vom Popmusikmarkt stammen. Nicht aus professionellem Musikverständnis.
Wenn man das jetzt mal vom WDR auf die gesamte Rundfunklandschaft überträgt, beobachtest du da eine allgemeine Entwicklung, dass es weniger Flächen gibt, wo man genau dies erlaubt?
Das kann gut sein. Aber ich glaube, das liegt nicht am bösen Willen, sondern daran, dass es weniger Menschen gibt, die Musik differenziert betrachten wollen. Es sind diejenigen in der Mehrzahl, für die es entweder Klassik oder Pop gibt. Und irgendwann ist Weltmusik als eigene Kategorie dazugekommen. Um hier differenzieren zu können, bedarf es des Hintergrundwissens und sachkundiger Kommentare. Manche Musik versteht sich eben nicht aus sich selbst heraus. Es gibt aber zunehmend Menschen in Entscheidungsfunktionen, die das glauben oder dekretieren. „Wenn die Musik sich nicht von selbst versteht, dann können wir sie auch nicht gebrauchen.“ Daraus folgt eine absolute Reduzierung von Musik. Man will nicht wahrhaben, dass auch klassische Musik vor allem von ihrem Hintergrund lebt, von erlernten Bedeutungen, vom Hintergrundwissen, das man mitbringt. Früher war das viel allgemeiner verbreitet. Man konnte ein Musikstück spielen, und dann hat der Hörer das zeitlich ungefähr eingeordnet und wusste, aha, Schubert ist es wohl nicht. Aber vielleicht 1840 oder so. Schon daraus ergibt sich eine Höreinstellung. Wenn dieses Wissen aber verloren geht, dann muss alles aus dem Kommentar kommen, der natürlich nicht professoral daherkommen darf. Das trifft noch viel mehr zu bei einer Musik, die einem nicht vertraut ist, die aus einer anderen Weltregion stammt. Wo man ohne Hintergrundwissen gewissermaßen im Dunkeln tappt.
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