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Ohne Scheuklappen

Die Incredible String Band -
Erfinder des psychedelischen Folk

Ein Interview mit Mike Heron

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Die Incredible String Band war eine der sonderbarsten Pflanzen der wilden 60er Jahre. Die Gruppe von Mike Heron und Robin Williamson gilt heute als Urheber des Acid Folk. Sie sprengten die konventionelle Songstruktur und verschmolzen märchenhafte Folkmelodien, Incredible String Band damals psychedelische Sounds, Blues und Weltmusikklänge zu einem abenteuerlichen Mix.

Von Christoph Wagner

Die Incredible String Band entstand Mitte der 60er Jahre in Schottland und nahm unter der Regie von Joe Boyd eine Reihe von Alben auf, die heute als Meilensteine der Popmusik betrachtet werden. 1969 war die Band auf dem Woodstock-Festival zu hören, hatte allerdings keinen guten Tag. Anfang der 70er traten die Musiker L. Ron Hubbards Scientology-Sekte bei, was der Kreativität weniger gut bekam. 1974 waren die Gemeinsamkeiten aufgebraucht und die Gruppe löste sich auf. Seither verfolgten Robin Williamson und Mike Heron eigene Projekte. In den 90er Jahren gab es Versuche einer Neuformierung. Doch erwiesen sich die musikalischen Differenzen als zu groß. Robin Williamson wollte neues Material erkunden, während Mike Heron lieber die alten Klassiker aufführen wollte. So geht heute jeder weiterhin seine eigenen Wege. Robin Williamson hat als Solist für ECM Records in den letzten Jahren ein paar Alben eingespielt, während Mike Heron mit Clive Palmer - einem anderen Gründungsmitglied - die Incredible String Band zu neuem Leben Incredible String Band heute erweckte. Man tourt regelmäßig und legte letztes Jahr ein neues Livealbum vor.

Die Incredible String Band entstand in den 60er Jahren. Wie kam es zur Gründung?

Robin Williamson und Clive Palmer waren in der schottischen Folkszene aktiv. Ihre Freunde waren Davey Graham, Bert Jansch, Hamish Imlach und Archie Fisher. Das waren alles Beatniks. Robin und Clive organisierten einen Heron und Williamson Folkclub in der Crown Bar in Edinburgh - jeden Dienstagabend. Neben einheimischen Musikern traten Gastsänger auf, und das Eintrittsgeld wurde einfach geteilt. Robin Williamson und Clive Palmer spielten dort im Duo englische Folksongs, aber mit Banjo und Fiddle im Zigeunerstil. Auch hatten sie Nummern amerikanischer Jugbands im Programm, sowie Bluestitel und solche Sachen, ähnlich wie Bert Jansch und Davey Graham. Ihr Repertoire war eine Mischung verschiedener Stile. Die Folknacht war sehr beliebt, immer voll, und jeder Musiker erhielt vielleicht zehn Pfund am Abend, was nicht schlecht war für einen Beatnik, der sonst nichts verdiente. Die beiden wollten einen Gitarristen dazunehmen, der Rhythmus spielen sollte, um den Melodien eine festere Grundlage zu geben. Zwei Leute fielen ihnen ein, und der eine, den sie fragten, lehnte ab, also bekam ich den Job. Sie kannten mich, weil ich ein Fan war und jeden Dienstag im Folkclub herumhing. Wir wurden also ein Trio, und Clive Palmer kam mit dem Namen Incredible String Band daher. Später organisierten wir einen ähnlichen Folkclub in Glasgow, wo Leute wie John Martyn auftraten. Der heute berühmte Komiker und Schauspieler Billy Connolly war ein regelmäßiger Besucher. Er spielte Banjo und bewunderte Mike Heron Clive Palmer, der ein hervorragender Banjospieler war.

Die Incredible String Band war keine gewöhnliche Folkband, sondern klang völlig eigenständig. Wie kam die Musik zustande?

Unsere Einflüsse kamen von allen Seiten. Wir hörten uns alle möglichen Arten von Musik an und waren nicht auf Folk festgelegt. Als Ravi Shankar in Edinburgh gastierte, gingen wir hin. Wir hatten viele merkwürdige Platten Robin Williamson mit traditioneller Musik aus Bulgarien und sonst woher. Wir mochten all diese Musiken. Wir saßen herum, rauchten Marihuana und zogen uns diese verrückten Klänge rein. Die Popmusik begann uns erst mit dem Sgt. Pepper’s-Album der Beatles zu interessieren. Der Rock ’n’ Roll davor ließ uns kalt, weil er textlich nichts zu bieten hatte. Im Gegensatz dazu waren im Folk Texte und Inhalte äußerst wichtig.

Wie es scheint, war das Publikum damals sehr aufgeschlossen gegenüber vielerlei Arten von Musik?

Das stimmt. Die Leute waren stilistisch nicht so festgelegt. Wenn man sich besuchte, rauchte man einen Joint, trank Tee und spielte sich außergewöhnliche Schallplatten vor. Wir waren an vielem interessiert: Blues, ethnische Musik, Bluegrass, Gospel.


Kommentierte Discographie:
(Zusammengestellt von Nikolaus Gatter)


The Incredible String Band (1966)
Elektra EKS-7322

Das Debüt: Katapultiert die Folkrocker vom Schrottplatz in die Royal Albert Hall. Mike sehnt sich nach einer Braut, die bei kniffligen Balkanrhythmen mitschnipsen kann. Robins Tin Whistle hat den Blues (das geht!); sein „October Song“ ist für Bob Dylan Lieblingslied des Jahres. Namensgeber Clive Palmer verlässt im Anschluss die Band und kehrt erst 1997 zum Revival zurück, Producer Joe Boyd bleibt der unsichtbare Dritte, wie George Martin bei Lennon/McCartney.

 


The 5000 Spirits Or The Layers Of The Onion (1967)
Elektra K 42001 (EKS-74010)

Der Durchbruch: Flower-Power vom West-östlichen Divan; gestrichene Gimbri macht den Auftakt („Chinese White“). Williamson profiliert sich mit Muezzingesang als Mystobold Allegorowitsch („My Name Is Death“, „The Eyes Of Fate“); Mike Heron bleibt weltzugewandte Frohnatur mit Comedytalent („Little Cloud“; „The Hedgehog’s Song“). Caroline McKechnie (genannt Licorice oder Likky) übernimmt tollkühn die Zweitstimme.

 

The 5000 Spirits Or The Layers Of The Onion


The Hangman’s Beautiful Daughter (1968)
Elektra/Asylum K 42002 (EKS-74021)

Der Bestseller: Platz 5 der Britpop-Charts; Einstiegsdroge für Graswurzelrevoluzzer und Landkommunarden. Zu Panflöte, Sitar, Hammondorgel, Cembalo u. v. a. werden windgebeutelte Hexenhüte, der Walzer des Neumonds, die Elternangst vor dem Erlkönig („Swift As The Wind“) und der Selfmade-Sex der Amöben besungen. Dazu intonieren The Pinder Family „We Bid You Goodnight“ (Gospel und Grateful-Dead-Zugabe). Mit dabei auch Herons Freundin Rose Simpson, spätere Bürgermeisterin von Aberystwyth. Zwei Tänzerinnen namens Mimi und Mouse bereichern die Bühnenshow und machen Robin beim „Minotaur’s Song“ den Stier.

 

The Hangman’s Beautiful Daughter


Wee Tam & The Big Huge (1968)
2 LPs Elektra K 4021/4022 (EKS-74036/37), auch einzeln veröffentlicht

Der Höhepunkt: Alles wird mit allem klanglich verschwistert, Choral und Koran, Cajun und Kinderlied. Zum verquasten spirituellen Eklektizismus aus ägyptischem Totenbuch, Kabbala, I Ging und Wiedergeburtsmagie („Jesus and Hitler and Richard the Lionheart, / Three kings and Moses and Queen Cleopatra ...“ etc.) gesellen sich Scientology-Sympathien (1974 dann Beteiligung am Tribute To Ron Hubbard mit Chick Corea).

 

Wee Tam

The Big Huge


Changing Horses (1969)
Elektra EKS-74057

Der Durchhänger: Ein Auftritt beim legendären Woodstock-Festival floppt; der Pferdewechsel bringt Tendenzen zu Viertelstundensongs, elektrischer Verstärkung und improvisatorischer Beliebigkeit mit sich.

 

Changing Horses


I Looked Up (1970)
Elektra EKS-74601

Der Klassiker: Fasst die bisherigen Themen, Motive und Stile noch mal zusammen. Mike dominiert mit dem dialogischen Liebeslied „This Moment“ und Fiddle-Folk („Black Jack Davy“); Robin erinnert sich seiner Geburt kurz nach Hinrichtung im früheren Leben als eingekerkerter Lord Randall („Pictures In A Mirror“).

 

U (1970)
2 LPs, Elektra 7E-2002

Das Spektakel: Mike ist nicht so fürs Multimediale, aber sein Partner gönnt sich „A Surreal Parable In Song And Dance“ mit der Mimentruppe Stone Monkey: Gaukler, Piraten, Allegorie auf die Allmacht der Zeit, laszive Tänzerinnen. Robins Braut Janet Shankman trällert als Cowgirl in „Bad Sadie Lee“ so schräg, dass es wieder komisch ist; seine Ex Likky wird dafür mit einem Solo entschädigt („I Know You“).

 

U


Be Glad For The Song Has No Ending (1970)
Island ILPS 9140

Der Soundtrack: Zum gleichnamigen Zelluloid-Tohuwabohu von Regisseur Peter Neal, dazu weitere Williamson-Wiedergeburtstagslieder („Vishangro“; „Waiting For You“), letztmalig mit Rose.

 

Liquid Acrobat As Regards The Air (1971)
Island ILPS 9172

Der Umbruch: Abschied von Elektra und Boyd. Kurze, plastisch erzählte Songs suchen Anschluss an den Mainstream. Letztmalig mit Lakritz-McKechnie („Cosmic Boy“); fortan mischt - neben Gelegenheitsjobbern - der Stone-Monkey-Schauspieler Malcolm LeMaistre musikalisch mit.

 

Relics Of The Incredible String Band (1971)
2 LPs, Elektra ELK 62 008/1-2

Der Rückblick: Sampler mit Glanzlichtern aus bisherigen Schaffensphasen, während Mike (Smiling Men With Bad Reputations) und Robin (Myrrh) ersten Soloprojekten nachgehen.

 

Relics Of The Incredible String Band


Earthspan (1972)
Island ILPS 86429

Der Irrweg: Die Stringband wird u. a. zur Bläsercombo und probiert’s mit Popsong-Populismus.

 

No Ruinous Feud (1973)
Island ILPS 9229

Das „Ende eines Zyklus“ (Mike Heron): Jigs und Gassenhauer werden aufgefrischt; Robin ist nur noch im Hintergrund tätig, Malcolm etabliert sich als Songwriter („Down Before Cathay“, „At
 

No Ruinous Feud


Hard Rope & Silken Twine (1974)
Island ILPS 9270

Der Niedergang: Wird besiegelt mit Schnulzen wie „Maker Of Islands“ (Heron) und „Glancing Love“ (LeMaistre), trotz des veritablen Protestsongs „Cold February“ (Williamson) fällt nun alles auseinander.

 

Hard Rope & Silken Twine


Seasons They Change (1976)
Island ILPS 28500

Der Abschied: Wie Relics eine Best Of, diesmal von Island-Produktionen.

 

The Chelsea Sessions 1967 (1997)
Mooncrest CRESTCD 031

Live In Concert (1997)
Strange Fruit SFRSCD 033

On Air (1997)
Strange Fruit SFRSCD 034

Die Archivalien: Anlässlich der Edinburgher Reunion von 1997, das ohne Oldies enttäuschen musste, wurden BBC-Demotapes von 1970-72 wiederentdeckt.

 

Bloomsbury (2001)
Pig’s Whisker Musik PWMD 5024

Der Flashback: Konzertmitschnitt aus dem Londoner Bloomsbury Theatre, 17./18. August 2000, mit Clive, Robin und Mike (plus Lawson Dando und Bina Williamson).

 

Nebulous Nearnesses (2004)
Amoeba AR 002

Die Live-Mogelpackung: Entstand vor bestelltem Publikum in Peter Gabriels Real-World-Studio, ohne die Williamsons, dafür mit dem isländischen Percussionisten Steini Gudmundsson und Gavin Dickie.

 

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