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Hüsch in den 1950ern

Hannsdampf in allen Kanälen

Hanns Dieter Hüsch und sein Nachleben

Interviewauszüge von 1992

CD-Tipp:

Gesellschaftsabend 1 (Conträr, 2000)
Gesellschaftsabend 2
(Conträr, 2005)
Werkschau mit Hüsch-Klassikern und
unveröffentlichtem Material aus 30 Jahren,
mit Gästen

Von Nikolaus Gatter

Hier sei nicht zum x-ten Mal der Psalmist im Clownskostüm beschworen, der Weltweise vom Niederrhein, der seelenvolle Wortakrobat. Nicht der „Mahatma Gandhi der Poesie“, wie es in einer von über 400 Kondolenzen auf Michael Gneitings rühmenswerter Webseite heißt (http://hüsch.info), auch nicht das schwarze Schaf. Hier ist die Rede von der Rampensau, dem Adabei und Workaholic auf allen Kanälen: kein Medienformat, das Hannsdampf Hüsch nicht auf sich zugeschnitten, akribisch vervollkommnet und ausgereizt hätte. Dazu zählen gehobene Gassenhauer. „Zuerst mehr ein Liederschreiber“, habe er, um sich und seine Kleinfamilie durchzubringen, „Chansons und Sprechgesänge“ verfasst - anfangs für Unischwoof und Zimmertheater, seit 1950 für den SWF: monatlich drei Texte oder Lieder im Peter-Igelhoff-Swing, vorzüglich artikuliert, von Profis begleitet (nachzuhören auf Kabarett-Chansons der frühen Jahre, Conträr, 1999). Und wie jeder, der die Augen und das Maul aufmacht, erlag er schließlich der Zensur, als derselbe Sender seine Carmina Urana - Gesänge gegen die Bombe 1959 nicht aufführen wollte.

Doch das war bald verziehen. Wenig später waren die Unterhaltungsredaktionen im Südwesten, im Saarland und am Rhein auf ihn eingeschworen, Hamburg und Berlin kamen hinzu. Vom Chansonnier zum Hanns Dieter Hüsch 1992 Conférencier, vom Teamworker zum Alleinunterhalter, vom Protestsänger zum Kirchentagsprediger: Wegmarken, die Hüsch nicht nacheinander, sondern parallel und oft vor- wie rückwärts abgeschritten hat. Nach dem Eklat auf der Waldeck, einer traumatisierenden Debatte mit dogmatischen Kulissenrevoluzzern, schien Opas Kabarett ausgespielt zu haben. Hüsch hielt am experimentellen Minimalismus fest, überwinterte in guter Gesellschaft von Steve Reich und Thomas Bernhard. Ende der 1970er fand er - einer Mahnung seines Kollegen Wolfgang Neuss folgend, der ihm den Spitznamen „Plüsch“ gab - endlich zum Ruhm. Er wurde Volkskomiker, und als solcher ein Publikumsliebling.

Dann kam die Kohl-Ära, als das Kabarettistische zur Umgangsform, der Sarkasmus zum guten Ton wurde, als der „satirische Schlenker“ (wieder Neuss) selbst in keiner Politikerrede fehlen durfte. Mit der Konstruktion der Niederrhein-Folklore entdeckte Hüsch - was nur wenige seiner Weggefährten begreifen konnten - das Christentum als Resonanzboden einer neuen Ernsthaftigkeit. Was ihm an Unverständnis, Häme und Missgunst entgegenschlug, wusste der Friedfertige durchaus zu parieren: sei es im Frühwerk „Jugend heraus“ („Zupfhansel flattert voran, Zupfgretel dito“), in der Volksliedparodie „Es waren drei Reiter“, im Beisein von zwei Katzen aus dem Volksmund herausgebrochen, oder mit dem unvergesslichen Karl-Gustav, der jetzt auch „polit-gynäkologische Lieder“ sang, während die Songgruppe Stachelbeere aus der Fabrik auf die Straße zurückkam und Ekkehard in Bottrop die bolivianische Krise entlarvte.

Was noch vor vier Jahrzehnten laut, schrill und durch doppelbödige Sprachkunst provozierte, wurde mit der Zeit zum Wohlfühlprogramm. Austauschbare Appelle, serielle Sentenzen brachten Gutmenschenbehaglichkeit in jedes Haus. Und wie oft hat sich Hüsch - seien wir so ehrlich, wie er’s mit uns war - verhoben: Künftig gebe es nur noch gesungene Flugblätter, proklamierte er bei den Essener Songtagen 1968; 1986, im Studiotalk mit Rudolf Jürgen Bartsch, rümpfte er über das Politkabarett hörbar die Nase. Sein Fernsehauftritt als Preußenkönig Frédéric war eine schläfrige Katastrophe, und spielte er auf das Unbeschreibliche des NS-Völkermords an, triefte es vor Larmoyanz. Von solchen Ausrutschern abgesehen, hielt ihn die Sprachsensibilität in Schach; da entschlüpfte ihm kein falscher Ton, kein überflüssiges Wort, kein ungerader Satz. Der Lyriker, der an ihm verloren ging, wird vielleicht noch gefunden, wenn seine Sachen von anderen gesprochen, gesungen und gedeutet werden.

Stand ihm die Perfektion im Weg? Die Selbstporträts als altes Kind, Narr mit der Kappe, Einzelgänger mit der Dornenkrone u. v. a. formulierten ihm den Nachruf im Voraus und verstellen den Blick. Die Memoiren (Du kommst auch drin vor, München: Kindler, 1990) zeigen ihn von einer anderen, menschlichen Seite: Ärger, Neid und Einsamkeit sind nicht verschwiegen, die nach dem Vorhang durchzechten und verhurten Nächte, die Krisen und Selbstzweifel, die Flüchtigkeit der Beziehungen in seiner, unserer Szene. Aber es steht auch drin, „dass Arbeit Leben und Leben Arbeit sein kann und diese krasse Unterscheidung zwischen Job und Freizeit auf die Dauer eigentlich unkreativ und tödlich ist“. Möge ihm der Urlaub, den er endlich doch einmal antreten musste, leicht sein.

In einem großenteils unveröffentlichten Interview, das Margit Hähner mit ihm 1992 führte, äußerte sich Hanns Dieter Hüsch über seinen Glauben, seine Wahrnehmung des Publikums und sein Berufsethos. Der Folker! dokumentiert Auszüge:

„Also, mein ganzes Kirche-Sein beruht auf Korinther 1, 13: ‚... und wenn Ihr mit Engelszungen redetet und der Liebe nicht hättet.’ Da ist die Liebe alleroberstes Gesetz, und es wird ganz eindeutig beschrieben, wie diese Liebe aussieht: Sie rechnet nichts zu, sie addiert nichts Böses. Das heißt, jede Retourkutsche fällt weg, und das ist es, was mich fasziniert, was mir keine Partei, keine Gewerkschaft, fast nicht einmal die Freunde bieten. Ich habe manchmal große Schwierigkeiten mit Kollegen, die über mein Tun und Lassen, nicht bösartig, aber ein bisschen ironisch, die Nase rümpfen, und ich sage: Macht nichts, macht ihr dies, ich mache jenes. Das kann man nicht erklären. [...]

Nach meiner Konfirmation war ich eigentlich ein laxer Junge, mit In-die-Kirche-Gehen war überhaupt nichts. Dann hatte ich meine große Nietzsche-Phase, Gott gibt es keinen. Ich bin dann erst auf Umwegen dazu gekommen, dass man auch anerkennt, da ist noch jemand, das weiß ich nicht genau, aber der weiter ist, größer ist als ich. Der mich aber auch - und das muss natürlich geglaubt werden, und wir leben ja in einem Zeitalter, in dem man immer Beweise führen muss - am Schluss in die Arme nimmt. Ich kann nicht sagen, warum ich dieses Bild vor Augen habe und warum einer der wichtigsten Sätze „Ich bin bei euch alle Tage“ ist. Gestern ging mir das durch den Kopf, ganz unabhängig von unseren Überlegungen hier, warum kommst du auf diesen Satz? Verlassen kann ich mich nur auf etwas, woran ich glaube, und dieser Glaube ist bei mir ganz stark und heftig und ganz tief, z. B. auch zu denken, Gott lässt dich nicht im Stich. Du musst zwar auch selbst etwas dafür tun, nach dem alten banalen Satz: ‚Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!’ Du musst ihm praktisch auch die Chancen und Möglichkeiten einräumen, er kann ja nicht überall sein. Das sage ich immer zu den Tauben - ‚Täubelein, Täubelein, der liebe Gott kann nicht überall sein ...’ - wenn die da ins Auto rasen usw. Aber Sie sehen, dass ich da ganz kindlich rangehe. [...]

Ich lebe ja in einer Szene, die eigentlich insgesamt - leider Gottes, möchte ich sagen - ganz antiklerikal eingestellt ist. Es ist auch gut, dass Kritik geübt wird, aber sie wollen ja auch vom lieben Gott nichts wissen und von Jesus Christus auch nichts. Wenn man einwendet, man kann ja trotzdem Christ sein, da ist nichts mehr. Das sind ‚aufgeklärte’ Leute. Das sage ich Hanns Dieter Hüsch 1997 mit einem leichten Gänsefuß. ‚Aufgeklärte’ Leute sind das. ‚Lässig-psychologisch’ habe ich das irgendwann genannt, so fortschrittlich, ein bisschen aufgeblasen. Sie können alles erklären. Ich muss gestehen, ich kann überhaupt nichts erklären. Ich kann es mir für mich ganz intuitiv zusammensetzen, zusammendenken und zusammenfügen. Aber ich weiß es eigentlich nicht und bin darauf angewiesen. Für mich heißt Gott die versammelte Großzügigkeit. Ich bin darauf angewiesen, immer wieder auf großzügige Menschen zu treffen. Nachsicht - die Lieblingsvokabel von mir -, großzügig, nachsichtig, geduldig, höflich, freundlich - das sind für mich Tugenden, die an erster Stelle stehen, wenn ich mir klar werden will, was ich denn überhaupt als Christ nach außen hin tun will in dieser Zeit, die ja so unfreundlich, unhöflich und ungeduldig ist, gar nicht großzügig oder gelassen, im Grunde genommen gar nicht selbstbewusst und wenn selbstbewusst, dann roh bis grausam.

Die meisten meiner Kollegen meinen, Satire darf alles, sie darf sogar beleidigen, sie darf sogar geschmacklos sein, ungerecht, ätzend, sie muss den anderen in die Fresse hauen - wer das tun will, soll es tun. Aber ich mache das nicht, und insofern tauchen da schon Zweifel auf, ob ich überhaupt Kabarettist bin ... Die Kabarettisten beschäftigen sich mit Helmut Kohl, und ich weiß nicht, was soll ich mich mit diesem Mann beschäftigen, der hält mich auf, dafür sind mir meine Gedanken zu schade. Mir geht es um die Leute, die an dem Abend da sind, und nicht um Politiker, die ganz weit weg wohnen und sich auch gar nicht wehren können. Damit will ich nicht sagen, dass mir die Leute sympathisch sind. Aber eigentlich finde ich es zu einfach, darüber herzufallen. Die Leute haben das gerne und dem Publikum ist es auch lieber, wenn Helmut Kohl auf die Schippe genommen wird. [...]

Die Wirkung bei meinen Sachen fällt meistens sehr pauschal aus. Manche bedanken sich auch schon ‚... für die vielen, vielen Abende, die wir schon mit Ihnen erleben durften, über teilweise 20, 30 Jahre hinweg, Sie haben uns immer sehr gut getan, und wir wünschen uns, dass Sie ihre Arbeit noch lange fortsetzen können, und werden immer zu Ihren treuen Hörern gehören ...’ Aber es kommt auch vor, dass jemand zu mir kommt und sagt: ‚Jetzt muss ich Ihnen endlich mal gestehen, dass Sie unsere Ehe gekittet haben. Denn ich habe meinen Mann erst durch Ihre Schallplatte kennen gelernt. Das war eine Niederrheinschallplatte!’ Das freut mich wahnsinnig, das freut mich mehr, als wenn Sie mit 3.000 Leuten vor ausverkauftem Haus spielen ... Es gibt ja furchtbar viele Niederrheiner, die man draußen antrifft, die eingeheiratet sind, vier oder fünf sitzen immer im Publikum, auch wenn es im tiefsten Süden ist. Wenn ich open air gespielt habe, was ich ja in letzter Zeit weniger mache, weil die Szene ja so nicht mehr existiert, das waren immer sehr schwierige Veranstaltungen. 10.000 junge Leute, das heißt: 2.000 schmusen, 2.000 trinken Rotwein, 2.000 holen sich Cola und Schwenkbraten, bleiben 4.000 über und davon gefällt es 2.000 nicht - dann hat man noch 2.000 Zuhörer, das ist open air für mich. Jedenfalls, wenn man nicht wie die ganzen Rockgrößen eine Band hinter sich weiß, rein akustisch, und Sie sitzen da als kleines Männeken mit ’ner Orgel, das ist schon recht schwierig. Ich habe das auch gemacht, es ging manchmal sehr gut, aber im Großen und Ganzen war es doch so, wie ich es geschildert habe. Wir haben auch schon mal vor 90.000 in Bochum im Fußballstadion gespielt, ‚Künstler für den Frieden’ - eine Riesensache. [...]

Ob ich ein Lebenskünstler bin? Unter Lebenskünstler verstehe ich: ein Mensch, der, sagen wir mal, gut von der Hand in den Mund lebt, der mal da ist und mal da, eine kleine Philosophie hat und mit allem zurechtkommt. Aber auf eine leicht schnorrige Art und Weise. Der Zufall will es und ein andermal will er’s nicht, und dann sagt man ‚Heute habe ich von Bier und Brot gelebt ...’ oder so. Man sieht ihn nie arbeiten, aber Lebenskünstler in dem Sinne bin ich gar nicht. Ich hatte ja geheiratet, 1951 ist meine Tochter geboren, und dann musste ich wirklich meine Familie ernähren. Ich konnte nicht einfach wie im Wolkenkuckucksheim leben und sagen, heute schreibe ich, morgen schreibe ich mal nicht und übermorgen auch nicht. Ich habe ja wirklich einen Brotberuf daraus machen müssen, was wiederum sehr gut war, ich wurde dadurch gezwungen, etwas zu tun. Es gab für mich nie am Monatsersten einen Schalter oder eine Überweisung von irgendeiner Firma, ich musste es mir immer zusammentingeln und zusammenholen. Das hat - toi, toi, toi - eigentlich recht gut geklappt, ich weiß aber nicht, wie.“


Eine Liste der exklusiv auf der Folker!-Webseite erschienenen Artikel findet ihr im go! Archiv.


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