von Nikolaus Gatter
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Weihnachten ist vorbei. Was nicht unter den Gabentisch fallen sollte, ist z. B. SCARLETT O’ & JÜRGEN EHLE, Gans ohne Tannenbaum (electrocadero elt 001, 2 CDs, CD 1 16 Tracks, 68:51, CD 2 8 Tracks, 69:24, mit Texten und Infos). Die Zweit-CD füllen Erzählungen von Böll, Brecht, Eco, Mensching u. a. sowie amüsante Internetfunde („Des Forschers Heiligabend“, „Weihnachtsbeleuchtung“). Ein Rezitationsgenie wird man nicht entdecken, das eher übertrieben schmunzelbedachtsame Aufsagen erinnert an Angela Merkels Regierungserklärung. Ihr reiches Ausdrucksregister entfaltet Scarlett O’ vielmehr in der Abteilung Lieder: den frommen Gospelton beherrscht sie so gut wie Folk, Kinderlied, Gefühlschanson, Blues, wohlmodulierte Mehrstimmigkeit in schönen Gesangssätzen. Musikkritiker (Gerd Heger, Ken Hunt) und andere Päpste (Pius IX.) sind die Schöpfer von manchen der unverbrauchten Songs. - Kein „Liebling des Glücks“, nach Themen und Texten zu schließen, ist TOM DUERNER: Heilige Nacht auf der Pflegestation (www.tom-duerner.de, 13 Tracks, 38:22). Vater ließ einen Arm bei Stalingrad, Sohnemannn sitzt im „Stressexpress“, der inkontinenten Frieda B. wird der Weihnachtswunsch erfüllt, endlich sterben zu dürfen - „... im März schmilzt die Sonne den Schnee und das Gras wird ganz grün“, freilich sollte sich auf „Juli“ nicht gerade „Energie“ oder „Allergie“ reimen müssen. - Noch schlimmer treibt es CHRISTIAN SCHMIEDT, der einen „Clown“ (und so geht es ja nun nicht!) von Hexen „verhohnt“ sein lässt: Zum zweiten Mal geboren (christian.schmiedt@gmx.de, 12 Tracks, 37:20). Auch die Forderung „Gib uns sämtliches Gewicht“ ist sprachlich unausgereift. Sonst widmet sich der Barde den Gezeiten, der Natur, dem Wasser und der Erde, aus welcher Nebel quillt und leider meist ins Hirn einzieht. Nicht ganz verkorkst ist der originelle Auftakt zum „Tanz“ und ein (seit 1180 durch die Lande vagierender) „Troubadour“, der wenigstens auf pathetisches Klangkino verzichtet. - In ihrem Schlafzimmer ging es (eine Zeit lang) rund, denn BETTINA SCHELKER hieß darin ihre Band und die Studiotechnik Willkommen (foundagirl/rough trade MZ 040462, 11 Tracks, 45:09). Trotzdem - eindrucksvoller noch ist die Liveeinspielung am Schluss. Unsere schwerfällige Sprache sucht die Schweizerin bei lasziver Grundhaltung („So schön“) und Faible für Verlierer („Weinen tut gut“) zu flüssigem Rhythm ’n’ Blues zu kneten. - Live im Leipziger Loft, mit Kontrabass, Schlagzeug und Enrico Wirth am Flügel agiert hingegen JOHANNES KIRCHBERG: Der Himmel macht blau (www.dermenschistgut.de 42600 22890508, 15 Tracks, 58:10). Dieser ausgezeichnete, trocken artikulierende Sänger übernimmt nicht nur das Errrrr-be der Tradition Brels, sondern auch als Kulturkritiker, Moralist und Alltagsromantiker dessen toxischen Humor („Die jungen Dinger“). Bis auf das eindrucksvolle „Du bist weg“ sind die Texte von Tom Reichel oder in Zusammenarbeit mit ihm entstanden. - Mit dem Original versuchen es MAEGIE KOREEN und HANS KELLER und singen Brel (www.chanson-cafe.de CWB 1398, 16 Tracks, 55:59): Herz am rechten Fleck, Stimme tief im Bier, frisch von der flotten Maegie und ihrem Freund Hans serviert, singt man vom Bourgeois und seinen Schweinereien und der Glut, in der man 20 wird. Streckenweise brillante Nachdichtungen machen aus Brel einen Westfalen, dem die Eleganz des Französischen abgehen muss, wie immer bei solchen Überführungen entsteht etwas Neues, Eigenes. - Brel gecovert (nämlich das urlaubsgenervte „Vesoul“) haben einst auch die Wuchtbrummen von QUEEN BEE: Abseits ist, wenn keiner pfeift (tacheles!/ROOF RD 2533258, 2 CDs, CD 1 17 Tracks, 61:02, CD 2 1 Track, ca. 25:00). Laut Beiheft verabschiedet sich das Duo nach elf Tourneejahren mit Alexandra, Van Morrison & Co., mit ironisch zugespitzten Varianten und kabarettistischen Zwischendialogen. Endlich darf die angeschmachtete Cellistin das Konzert-Stalking Udo Lindenbergs aus ihrer Sicht kommentieren. Die Bonus-VCD bietet eine Folge von nicht immer vorteilhaften Backstage-Filmschnipseln. - MARTIN HEIM, Erika Manns „Pfeffermühle“ - Auf den Spuren des legendären Exilkabaretts 1933-1937 (duophon /Edition Berliner Musenkinder spezial 06 26 3, 17 Tracks, 54:45, mit Informationen). 20 Tage vor Hitlers Machtergreifung eröffnete das Geschwisterpaar Erika und Klaus Mann mit der unsterblichen Therese Giehse ein Kabarett, das mit Peitschennummern und gruseligen Domina-Krankenschwestern provozierte und literarisch anspruchsvoll blieb. Martin Heim berichtet im Beiheft von Archivfunden und singt im Brecht-Predigerton, begleitet vom Ensemble Odeon Central unter der Leitung von Alex Goretzki. - Bei LINARD BARDILL, Han di gära wie du wirsch (Sound Service 100905-2, 12 Tracks, 45:11) führt der Untertitel „Liebeslieder us em Landesinnere“ in die Irre, denn besungen wird großteils (Titelsong, „Weisch, was i an dier so mag“ u. a.) eine Dame namens Helvetia, welche die eidgenössische Konföderation verkörpert. Weitere Themen sind Schöpfungsmythen von Genesis bis Däniken und das Zubereiten eines Latte macchiato (nach der Halblitertasse hat der Sänger lange suchen müssen). - WENZEL singt Maschas Kinderlieder (Conträr 6093-2, 28 Tracks, 47:11, mit Texten) und spielt dazu, nebst verschiedenen anderen Instrumenten wie „Hände, Tischkante, Zahnputzbecher“ und „Gurke“, auf der Kindergitarre der dreijährigen Mascha. Der Mitsingbarkeit zuliebe wird auf Modernisierungen ganz verzichtet. Dem Volksgut stehen Klassiker aus der Feder von Matthias Claudius („Der Mond ist aufgegangen“), Wilhelm Hey („Weißt du wieviel Sternlein stehen“) und Heinrich „Hoffman“ [!] von Fallersleben gegenüber. Ein ansprechendes, mit Scherenschnitten geschmücktes Beiheft verzeichnet alle Texte. - Diverse, auf „Berliner Lesebühnen“ zu bestaunende Künstler stellen sich mit je zwei Tracks als LIEDERSACHER vor: mit denPferden (www.denpferden.de/Reptiphon 16 Tracks, 53:47, mit Infos). Einer namens Ahne fällt durch minimalistischen Vortrag und Dada-Humor auf, Maurenbrecher überzeugt durch Professionalität und ironische Altersweisheit, die übrigen machen klassische Berliner Ulknudel-Comedy. ... außerdem eingetroffen: |
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