back Ferner liefen...

... nicht nur Keller, Straßen und Stadien im Süden der USA voll, sondern den Reportern vor der Kamera der Mund über. Joschka hat Recht, die Playback-Generation ist am Zug. Diese Leute haben nie an Lagerfeuern geklampft. Einer der beliebtesten Schmachtfetzen unserer Jugend muss für sie umgeschrieben werden. Ich meine nicht „Lady In Black“, nicht „La Poupée Qui Fait Non“, noch „Smoke On The Water“, die nach Überwindung des Barré-Starrkrampfs mit drei Griffen abzumachen sind. Ich meine das aus dem Kurs für Fortgeschrittene. Das mit dem vierten Akkord: „The House Of The Rising Sun“.

Angefangen hat das Unheil mit Bill Clinton. Als der ins Weiße Haus übersiedelte, war die deutsch-amerikanische Freundschaft o. k. - bzw. in Ordnung. Eisenhauer und Busch, das klang kerndeutsch wie Kruppstahl, auch Kennedy, Johnson und Nixon waren keine Zungenbrecher. Die Regulatoren wirkten noch in Arkansas, was von Gerstäcker-Lesern nicht anders ausgesprochen wird als Texas und Kansas, Pankraz und Panhas. Und nun? Wie hieß diese komische Gegend, von der man noch nie gehört hatte und wo Mr. President zuvor als Gouverneur, wenn nicht gar als „Gawöner“ tätig gewesen war? Quer durch die ARD quälten sich Nachrichtensprecher mit einem geknödelten „Ohrk’nsoar“ ab. Als wolle uns ein rachitischer Lausitzer mitteilen, der Wein werde ihm unterm „Korken sauer“.

Kommen Sie mir jetzt nicht mit der Helsinki-Schlussakte! Es ist doch geradezu eine Aufwertung jeder Ortschaft, wenn ihr Name im Ausland so berühmt ist, dass er der Fremdlautung anbequemt wird. Sagen die Franzosen zu Köln, Aachen und Brüssel etwa nicht „Cologne“, „Aix-la-Chapelle“ und „Bruxelles“, wozu Niederländer „Keulen“ und „Aken“ und „Brussels“ sagen (und letzteres reimt im Englischen wahrhaftig auf „muscles“, wie wir aus diesem Men-at-Work-Hit wissen - „six foot four and full of muscles“). Deshalb heißen bei mir - jedenfalls in mündlicher Rede - Kraków, Wroclaw oder Jelenia Góra ewiggestrig Krakau und Warschau und Hirschberg und ggf. Niederhermsdorf bei Neiße, wo sich mein Urgroßvater, der schlesische Heimatdichter, mit der Glaskrächze den Rücken verdarb.

Neben der Neigung zu sprachpolitischer Hyperkorrektion eignet dem Deutschen die altgermanische Betonung der Anfangssilbe. Wie die Nibelungen (Niiii..., verdammt!) gehen sie gern in den sicheren Untergang - Hauptsache, der Nebel ist nicht Auftakt für die Lungen. Das wurde am 26. April 1986 deutlich, als Europa von einer schlimmeren Katastrophe bedroht war als Katrina (nicht: „Kathreiner“) es je sein könnte. Anfangs wurde der Unglücksreaktor in der Oblast Kiew auf der ersten Silbe betont, bis der damalige WDR-Chefsprecher, ein gefürchteter Perfektionist, das Lexikon aufschlug. Rita Süssmuth übte noch demonstrativen Konsum und knabberte vor laufender Kamera auf dem Bonner Markt am Salatblatt, bei Aldi wurden die Regale mit China-Champignons leergehamstert, da spaltete sich das Land in zwei Lager (die wiederum zerfielen wie Cäsium in Sektionen, welche eine Halbwertszeit lang um „ukreinisch“ und „ukra-ihnisch“ zanken werden). „Beim Russlandhoch von Tschérnobühl, / Der Regen strahlend niederfiel“, sangen die Nachbarskinder im Sandkasten, und die konkurrierende Streetgang respondierte: „Wenn ich die Geigerzahl verdobbel, / Steh’ ich im Fall-out von Tschernóbbel“ - bis sie allesamt von Müttern heimgezerrt und stundenlang unter der Dusche abgeschrubbt wurden.

Dabei schien seit B. Travens Erfolgsschmöker Das Totenschiff (1930) metrisch alles klar: „Mädel, heul’ doch nicht so sehr“, singt da ein Seemann, „wart auf mich am Jackson Square, / Im sonn’gen New Orleans, im schönen Louisiana.“ Der Stadtname muss anapästisch betont werden, da-da-damm. Ebenso bei den Animals: Die machten anno 1966 die Moritat über das in der St. Louis Street zwischen 1862 und 1873 von einer gewissen „Marianne LeSoleil Levant“ geführte Bordell weltberühmt. Im Internet kursiert sogar eine tschechische Übersetzung des Songs; „I’m going back to ...“ heißt „Já jak v snách bych sel do New Orleans“ (na, wer spricht das mal richtig aus?). Neu bei den Animals: Nicht der Schatten junger Mädchenblüte verblasst in der aufgehenden Sonne, vielmehr treiben die Stundenhotelpreise den arglosen Sohn einer Jeanswirkerin und eines versoffenen Spielers in den Ruin. 1971 grüßte Steve Goodman mit „Good morning, America, how are you“, dem von Frühstücksmoderatoren so gern abgenudelten Hallo-Wach-Schlager (auf den ein vieltausendstimmig zurückgebrülltes „Beschissen wär’ geprahlt!“ die einzig ehrliche Antwort wäre). Hier fährt ein Fernzug namens „City of New Orleans“ der „Risin’ Sun“ entgegen und wird eindeutig als Jambus behandelt: da-damm-da. Apropos, bei uns gab’s einst Intercitys (korrekt: ...cities) wie „Ossietzky“ (ebenfalls jambisch) - die werden heute vor lauter Angst, sich politisch zu verfransen, wenn überhaupt, nur noch nach Städten benannt.

Und so ist es nur konsequent, wenn ich Komponierwilligen folgende Neubearbeitung offeriere (Mundartler mit Tendenz zu subkomplexer Artikulation von Gutturrallauten, bitte die Backentaschen mit Kleenex ausstopfen): „Es steht noch ein Haus in New Orleans, / Da pokert und säuft man bis morjeans. / Steigt die Flut ans Geländer / Vor der morschen Werända, / Gib acht, dass du dich nicht zu weit vorleanst!“ Denn, so die aktuelle Moral: An den Akzent von Eric Burdon / legt man heut’ viel höhere Hurdon ...

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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Die Kolumne
im Folker! 6/2005