www.caetanoveloso.com.br (auch auf Englisch) |
(Auswahl)
Domingo (Polygram, 1967) |
Er ist eine Kultfigur im brasilianischen Künstlerolymp: begnadeter Komponist und Songwriter, Autor diverser Gedichtbände und Bücher, Maler, Videoregisseur, Schöpfer berühmter Filmmusiken, Schauspieler und Förderer junger Talente. 63 Jahre alt ist Caetano Veloso mittlerweile und nicht mehr ganz so wild wie in jungen Jahren. Doch seinen Überzeugungen ist er treu geblieben: Ihm ist egal, was andere von ihm denken, er lässt sich vor keinen ideologischen Karren spannen, und er liebt die Provokation.
Von Suzanne Cords
Der Mann sieht aus, als sei er Novize im Priesterseminar. Schwarze Hose, schwarzer Pulli über weißem Stehkragenhemd, polierte dunkle Lackschuhe. Rhythmisch scharren die Füße über den Boden, langsam und bedächtig - Fahrradfahren in Zeitlupe. Dann winkelt er die Unterarme an, schiebt sie langsam vor und zurück. Vor, zurück. Roboterhafte, mechanische Bewegungen, die befremdlich wirken: Stellt man sich in Europa so die Show eines brasilianischen Superstars vor? Das Publikum ist sichtlich irritiert, doch Caetano Veloso ficht das nicht an. Er sitzt auf einem Stuhl und haucht mit seiner unverwechselbaren, seidenweichen Stimme leise Worte ins Mikrophon - englische Worte.
Der Protest im Kölner Konzertsaal lässt nicht lange auf sich warten. Pfiffe und Buhrufe übertönen die zarten Klänge. „Você esqueceu que é brasileiro? Canta portugues, purra! - Hast Du vergessen, dass du Brasilianer bist? Sing gefälligst auf Portugiesisch!“, schreit eine Frau erbost, unverkennbar eine Landsmännin des Genies. Dessen Miene versteinert und mit Eiseskälte knurrt er ins Mikrophon: „Es war von Anfang an klar, dass ich in dieser Show auf Englisch singe, das steht auf jedem Plakat. Wenn dir das nicht passt, dann verzieh dich.“
Zunächst verstummt der Protest. Die älteren Brasilianer im Saal applaudieren höflich, ein Genie bleibt ein Genie, egal, was es macht, man darf es nicht verstimmen.
Und doch sind diese aufgewärmten englischen Songs vergangener Jahrzehnte nicht jedermanns Sache. Klar wusste man im Vorfeld, dass der Meister die Lieder seines neuesten Albums A Foreign Sound singen wird, aber die zahlreich vertretenen heimwehkranken Exilbrasilianer wollen seine portugiesischen Hits hören oder zumindest neue Texte in ihrer Muttersprache. Und seien wir ehrlich: Auch die Deutschen, die der saudade, der Sehnsucht nach jenem fernen Land und seiner Kultur verfallen sind, brauchen keinen Neuaufguss amerikanischer Schnulzen, auch sie wollen brasilianische Lieder. Und da stellt sich die Frage: Sollte ein Star dem Publikum geben, was es hören will, weil dieses ihn schließlich groß gemacht hat und jetzt viel Geld für Eintrittskarten hinblättern muss? Oder darf dieser Star stur sein Ding durchziehen - in diesem Fall englische Lieder, die kaum einer hören will? Solche Gewissensfragen hat sich Caetano nie gestellt, in dieser Beziehung lässt sich der Egozentriker nicht erweichen, der Quergeist ist schon immer seinen eigenen Weg gegangen. So war es auch in den Geburtsstunden des Tropicalismo, jenes Musikstils, den er in den 60er Jahren zusammen mit seinem Freund Gilberto Gil kreierte. Heute ein Synonym für beste Musikqualität, damals von vielen Brasilianern als Affront gegen ihren Nationalstolz interpretiert.
Rückblick: Caetano Emanuel Vianna Telles Veloso wird im August 1942 als fünftes von sieben Kindern in der Kleinstadt Santo Amaro da Purificação geboren, nicht weit entfernt von der quirligen Hafenmetropole Salvador da Bahia im brasilianische Nordosten. Hier steht die Wiege brasilianischer Kultur, hier verschmelzen afrikanische, europäische und amerikanische Rhythmen zu neuen Klängen, und Caetano saugt das reiche musikalische Erbe seiner Vorfahren begierig auf. Anfang der 60er Jahre folgt er seiner Schwester Maria Bethânia, die sich damals schon einen Namen als Sängerin gemacht hatte, nach Rio de Janeiro. Mit dem Lied „Um Dia“ präsentiert er sich bei einem lokalen Wettbewerb, gewinnt den ersten Platz und damit auch einen Plattenvertrag. Und dann trifft er Gilberto Gil, den gleichaltrigen Rebellen, der wie er von neuen musikalischen Pfaden träumt, um die starren Musiktraditionen der Heimat aufzulockern. Zusammen erfinden die beiden den Tropicalismo, die Antwort Brasiliens auf die Beatles und die Rolling Stones. „Wir liebten Tom Jobim ebenso wie João Gilberto, wir verehrten den Forró und die Samba, aber unser Herz schlug auch für englischen Beat und amerikanischen Rock und Cool Jazz“, erinnert sich Caetano. „Wir haben das alles zusammengewürfelt, mischten Amirock mit schwarzen Afroxétrommeln, Fahrradklingeln mit Pop und sakraler Musik. Wir hatten vor nichts Respekt, alles war erlaubt, ob Kunst oder Kitsch, es war eine phantastische Herausforderung an unsere Kreativität.“
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