www.addys.info www.enjarecords.com/bio.php www.hamid-baroudi.com www.houssainekili.com www.oscarandrade.cl (nur auf Spanisch) www.santino-debartolo.de (in Vorbereitung) www.trilokgurtu.net www.willyschwarz.de |
(Auswahl)
Rabih Abou-Khalil: Morton’s Foot |
Trilok Gurtu unterwegs: 05.11.05: Vlotho, Kulturfabrik Rabih Abou-Khalil unterwegs: 09.12.05: Braunschweig, Nord LB (mit Joachim Kühn) 11.12.05: Bonn, Oper (tbc) |
Europas Weltmusikhauptstädte sind Paris und London, dort leben viele Weltmusikstars, dort entstehen die meisten Aufnahmen und wird auch das meiste Geld mit Weltmusik umgesetzt. Dorthin, so möchte man meinen, zieht es wegen des attraktiven Marktes, der Kontakte und der damit verbundenen Möglichkeiten einen jeden Weltmusiker, der seine Karriere in Europa vorantreiben will. Doch es gibt auch einige Szenegrößen, die - zum Teil schon sehr lange - in Deutschland leben. Acht von ihnen gaben Auskunft über ihre Standortentscheidung, die Arbeitsmöglichkeiten hier, Heimatgefühle und das Spannungsfeld Kulturkontakt.
Von Sabine Froese
Wenn sich ein Weltmusiker Deutschland als Lebensmittelpunkt aussucht, müsste eigentlich alles für Berlin sprechen, denn schließlich hat sich die Spree-Metropole in den letzten Jahren zur deutschen Musikhauptstadt gemausert und eine stark wachsende internationale, kreative Szene angezogen. Und günstig leben lässt es sich dort auch. Doch ausgerechnet die 200.000-Einwohner-Stadt Kassel wurde zur Wahlheimat für gleich zwei Sänger und Multiinstrumentalisten der Weltmusikszene: den Marokkaner El Houssaine Kili und Hamid Baroudi aus Algerien. Willy Schwarz, Singer/Songwriter aus den USA, lebt in Bremen, der italienische Gitarrist und Sänger Santino de Bartolo in einem Dorf im Rheinländischen und der Inder Trilok Gurtu, bekannt für seine grenzüberschreitende Experimentierfreude, die er innovativ mit Gesang, Tabla, Schlagzeug und Percussion auslebt, in Henstedt-Rhen bei Hamburg. Die kubanische Sängerin Addys D’Mercedes pendelt zwischen Düsseldorf und Spanien und der Sänger Oscar Andrade zwischen Chile und einem kleinen Ort in der Nähe des Bodensees. Rabih Abou-Khalil schließlich, Oudspieler und Sänger aus dem Libanon, wohnt schon seit Ewigkeiten in München. War das bei allen Absicht?
Ja und nein. Keiner der acht Künstler hat sich gezielt für Deutschland oder die Provinz entschieden, weil er sich hier etwa ideale Arbeitsbedingungen versprochen hätte. Es waren vielmehr die konkreten, individuellen Lebensumstände, die den Ausschlag gaben - keine lang voraus ersonnene Planung, sondern eher die Haken, die eine ungewöhnliche Biographie schlägt: Rabih Abou-Khalil verließ den Libanon wegen des Bürgerkrieges und konnte bei einem Freund andocken, der bereits in Deutschland war. El Houssaine Kili brachte seine Arbeit mit Embryo und den Dissidenten nach Deutschland, Santino de Bartolo aus Kalabrien folgte seinen beiden Brüdern nach und Willy Schwarz seiner Liebe. Hamid Baroudi, der sich hierzulande bereits vor seiner Solokarriere einen Namen als Frontmann bei den Dissidenten machte, verband die Neugier auf andere Länder mit der Forderung der Eltern nach einer soliden Ausbildung und kam nach Kassel, um dort Kunst zu studieren. Heute schätzt er die zentrale Lage mit der Nähe zum Frankfurter Flughafen - und andererseits die Stille dort, die viel Raum schafft für Kreativität. Auch Trilok Gurtu fühlt sich, umgeben von viel Ruhe und ausgesprochen freundlichen Nachbarn, pudelwohl fernab von metropolischer Hektik.
Wer die Alben der acht interviewten Künstler mit ihren so verschiedenen Lebensläufen und musikalischen Stilrichtungen im Plattenladen sucht, wird sie dort sehr wahrscheinlich unter dem Stichwort „Weltmusik“ einsortiert finden. In den 80er Jahren aus der Verlegenheit des Einzelhandels entstanden, der für die zunehmend aus Afrika, Lateinamerika und dem Orient in Europa erscheinende Musik ein extra Fach brauchte, hat sich der Begriff trotz vieler kritischer Diskussionen bis heute gehalten - und auch dieser Artikel kommt nicht an ihm vorbei. „Weltmusik“ stand zunächst als Oberbegriff für Musik aus außereuropäischen Ländern, die mehr oder weniger deutlich mit den Musiktraditionen verschiedener Kulturen verbandelt war. Zum Teil gab es Überschneidungen mit dem Etikett „Folklore“, das bei vielen Käufern Assoziationen von Verstaubtheit weckte und unmodern wirkte. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, ordnete man der Weltmusik auch europäische Stilrichtungen wie Klezmer oder Fado zu. Auch wenn der Begriff „Weltmusik“ inzwischen als Wirtschaftsfaktor in der Musikindustrie, beim Handel und beim Käufer etabliert ist, führt die Schattenseite dieses unscharfen, schillernden Sammelbegriffs oft dazu, dass Künstler eher nach ihrer Herkunft als nach ihrem Musikstil in die Genreboxen eingeordnet werden. So hat etwa ein Soulalbum aus dem Benin gute Chancen, in der Weltmusikabteilung zu landen.
Für Künstler, die grenzüberschreitend denken, leben und arbeiten, sind solche Kategorisierungen einengend. Addys D’Mercedes sieht die deutsche Weltmusik-Schublade, in der sie gelandet ist, „im besten Fall als ein wohlwollendes Missverständnis“. Für Willy Schwarz ist „Weltmusik“ ein äußerst eurozentrischer Begriff, der auf Exotik als verkaufsfördernde Note abhebt. Trilok Gurtu, dessen Musik auch im Jazzfach zu finden ist, fühlt sich mit beiden Einordnungen nicht wohl und sagt: „Ich bin einfach ein Musiker.“ Ähnlich sieht es Oscar Andrade: „Die Musik lebt außerhalb dieser Kategorien. Das Label selbst kann keine Einengung sein, weil die Musik dem kreativen Prozess folgt - der überschreitet räumliche, kulturelle und manchmal auch zeitliche Grenzen.“ Hamid Baroudi schließlich deutet den Begriff einfach um und entscheidet sich für eine Definition, die keine für sich stehende Kategorie beschreibt, sondern zum Oberbegriff wird: „Weltmusik“ ist für ihn die Freiheit, jede Art von Musik zu machen. Und deshalb ist er stolz zu sagen: „Ich bin Weltmusiker - ich gehöre der ganzen Welt.“
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