Jeder Mensch ein Künstler, dekretierte der Künstler Joseph Beuys. So zitieren es die Spatzen von allen Museumsdächern. Wirklich? Hieß das nicht vielmehr, „jeder Mensch kann Künstler sein“? Überhaupt; ist denn jeder Künstler Mensch? Man möchte Zweifel hegen, denken wir nur an die geklonte Discopopper-Berufsjugend, an die Terrierfrisur von Helge Schneider oder an den Mehrteiler, der neulich die TV-Kanäle füllte: Speer und Er, ein Dokudrama über den beim Nürnberger Tribunal gerade noch Davongekommenen Reichskuppeltorteneissplitterarchitekten, den Sklaventreiber von Mittelbau Dora, das Nazikunstgenie am Machtpol. Hitlers Liebling wurde Rüstungsminister, log uns von Spandau aus in die Tasche und frisierte, heimgekehrt, seine Memoiren auf inneren Widerstand.
Dass Adolf auf dem Obersalzberg Speers Töchterlein, die grüne Berliner Senatsfrau Hilde Schramm in die Wange kniff und diese fürs bloße „Zurückgeben“ an Überlebende 2004 mit dem Mendelssohn-Preis entlohnt wurde, ist eine weitere, schwer wiederholbare ironische Volte deutschen Geschichtsschwurbels. Zu diesem gehört natürlich auch der Backenzahn, den Lea Rosh heimlich in Belzec aufgelesen hat und in einer der Stelen des Stolz-dass-wir-Schuld-sind-Labyrinths bestatten wollte. Wahrscheinlich stammt der Zahn vom Schäferhund des deutschen Aufsehers, eine DNA-Analyse, die es erweisen könnte, wurde bislang noch vermieden.
Verantwortlicher Regisseur für das Speer-Machwerk war Heinrich Breloer, der vorher die Manns, die RAF, den Wehner und die Guillaume-Affäre verfeatured hatte. Seine nächsten Projekte heißen gerüchteweise Hess und Es, Abs und Paps, Flick und ick, Göring und Hering, Schirach und Schmierarsch oder, um aktuelle, in künftigen Politsoaps zu verfilmende Politprominenz zu bemühen, Rau und Frau, Steinbrück - kein Glück, Clement - Schneemensch, Müntefering - wünsch’ mir Ferien etc. pp.
NRW-Desaster und Bundestagsneuwahl - ich würde sowieso viel lieber wegklicken als wählen. Hier kommt mir mein experimentierfreudiger Wohnort entgegen. Seit einigen Legislaturperioden stehen in Rathäusern, Schulen und Mehrzweckhallen der heiligen Stadt Cöllen versuchsweise Terminals. Da wählt man per Knopfdruck, mit Direktschaltung zu den Prognosecentern großer Fernsehanstalten. Das lästige Auszählen (ggf. auch Ausmisten unerwünschter, das positive demokratische Gesamtbild störender Voten) übernimmt der Rechner. Ein „Urnengang“, wie die Radiosprecher immer sagen, findet allenfalls noch auf dem Gäste-WC in der Stammkneipe statt, wo man anschließend den Kummer über das Ergebnis auskotzt.
Im Prinzip sind die Terminals eine gute Sache. Kein lästiges Blättern, kein unnützes Lesen, kein Gekritzel mit volkseigenen Kulis, alles wartet, dass du endlich die richtige Partei eintippst und deine Auswahl quittierst. Heraus springt eine computergenerierte Regierung. Dann mal los. Wird’s bald? Bei der Rüttgers-Wahl kam ich mir vor wie am Geldautomaten - ungeduldiges Murren und Scharren mit den Füßen hinter mir, während ich vor lauter Nervosität das falsche Knöpfchen drücke und 15.000.000 Euro auf das Konto der Stiftung für die Wiederverwendung arbeitsloser Seniorenpolitiker überweise.
Freilich gibt’s am Terminal keine Verweigerung. Wer in diese Kabine geht, muss wählen oder unverrichteter Dinge abziehen. Früher konnte man immerhin alle Parteien gleichmäßig bedenken und das ganz große Kreuz über den Zettel schlagen. (Geht immer noch, bei Briefwahl. Eine der letzten Landkommunen in der Voreifel nutzt das Verfahren, um Wahlverweigerung aktenkundig zu machen. Da werden Schlagzeilen aus der Zeitung geschnibbelt, hübsche Collagen geklebt, Karikaturen der Kandidaten skizziert. Hinterher steht in der Lokalbeilage des Hückelpieseler Landboten gedruckt: „Besonders viel Mühe machten sich Wahlberechtigte aus Nieder-Hückelpieselshofen, indem sie ...“ - so wird man in aller Anonymität berühmt.)
Da ich mich in der Kabine so schwer tue - gibt es eine echte Wahl zwischen Benno, dem schnauzbärtigen Einzelgänger aus dem Stadtteil Sülz, der Partei Bibeltreuer Christen und der Kölner FDP (Fellatio-für-Detlev-Partei)? -, plädiere ich für Montage einer Randomtaste in die Wahlcomputer. Da hätten sie der Briefwahl echt was voraus. Ich stelle mir ein dreigeteiltes Anzeigenfeld wie am einarmigen Banditen im „Glückstreff“ vor. Zitrone/Joker/Kleeblatt heißen: alles offen, Neustart möglich. Drei rattenschwarze Kreuzbuben: der besonders schwere Ausnahmefehler ist auf Adresse CDU:NRW 2005-2009 aufgetreten. Wollen Sie das Sozialprogramm wirklich löschen? Drei Zitronen: bingo! Gewonnen! Unten klimpert in kleiner Münze ein hübscher kleiner Steuernachlass aus dem Schlitz.
Abschließend, passend zur Jahreszeit, meine Anleitung zum Kleeblattsuchen in beliebigen Wald- und Wiesengründen. Die mit den vier statt drei Blättern entstammen einem Gensprung, eine Laune der Natur gewissermaßen. Den Blättern sind vier Stufen des Entdeckens, ein esoterischer Weg des Wissens zugeordnet (ich hab’s von meinem kalifornischen „Healer“ - er „healt“ die Hand auf): No. 1, „Sampling“, ganz wichtig: Ist die Auswahl nicht reichlich, symmetrisch und vielversprechend, gibt man’s besser gleich auf. Ist euch mal aufgefallen, wer alles am Wegrand stehen bleibt und scheinbar sinn- und ziellos ins Grüne starrt? Damit sind wir bei No. 2, dem „Scanning“, denn bekanntlich schmiegen sich ehrgeizige Dreiblättrige oft aneinander, die dann als Fünf- oder Sechsblättrige gelten wollen. Arbeitsschritte 3 und 4 lassen sich mit „Pluck & Count“ zusammenfassen: Ausreißen und anschließend noch mal genau nachzählen. Wirklich vier? Gratuliere! Sie haben es geschafft. Besonders schmackhaft sind sie im Rucolasalat mit Bärlauch-Schalotten-Vinaigrette, man darf sie aber auch ins Herbarium pressen oder dem klassischen Glückstier, einem aus Mandeln, Puderzucker, Rosenöl und Lebensmittelfarben gekneteten Marzipanschwein in die Pfote stecken. Genau das sollten unsere Regierungspolitiker jetzt tun, allen voran der Gröschraz, der Herausforderer der finstersten Wahlnacht, der größte Schröder aller Zeiten - vier Blätter für ein Halleluja.
Nikolaus Gatter
www.lesefrucht.de
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