„Wecker, Wader, Busch - Fasia, Haigis, Hüsch - Bayer, Ape, Stütz -
Schmeckenbecher, Friz - Bärengässlin, Süverkrüp - Liederjan und Hölzerlips
...“ - Abzählreim für den Nachwuchs. Künstler/innen, die in den 70er Jahren
der Linken Prominenz und Stimmen liehen, paradieren beim Marsch der
Minderheit. 40 Jahre deutsches Lied bei pläne (pläne 88916/17, 2 CDs: 17
Tracks, 56:35/14 Tracks, 61:29, mit Infos). Löblicherweise lässt
Friedrich Liedtke persönliche Geschmackspräferenz walten: Geheimtipps,
Nebensachen, von gängigeren Titeln unbekanntere Versionen. Keine „Neuen
Männer“ von Ina Deter, von Floh de Cologne nicht „He, hallo Stift“, von
Degenhardt das Spartakus-Straßenkampflied „In Hamburg fiel der erste Schuss“
u. v. a. m. - Als der Pulverdampf sich legte, hatte das Kapital kapiert und
setzte die Bewusstseinsindustrie unter Dampf. Politkonflikte wurden
kohlgemütlich personalisiert, intelligente Protestformen durch fromme
Lichterprozessionen ersetzt, demonstrierende Sangesvielfalt auf dem
Hofgarten zu Bonn übertönt mit portablen Kassettenrecordern, aus denen die
brunzdummen Parolen der Botsenclowns schallten. Und die Liedermacher? Der
eine, dem sogar das Abflusswasser nach Wein schmeckte, schnüffelte Schnee
vom vorletzten Entzugsversuch, der andere als beauftragter Stasi-Dummie
ernstzunehmenden Kollegen hinterher, und gemeinsam wärmen sie ihren Quark
jubiläumsweise wieder auf: Befreit! Lieder und Texte nach dem 8.
Mai (SPV 085-78202 CD-E, 12 Tracks + 1 Videotrack, 59:11, mit
Infos). Ob der Sänger mit den besseren Liedern, der als „IM Willy“
zuletzt mit fremder (Mielkes) Feder dichtete, seinen „Bella Ciao“-Abklatsch
vom Streichorchester-Spülicht des (leider) Michael Letz einseifen lässt, ob
Willy Brandt und Tatort-Schimanski die windelwasserweiche SPD-Hymne aufsagen
(klingt wie das Funkkolleg „Lernt Dummdeutsch mit dem Ehrenvorsitzenden“,
urteilte TITANIC damals), ob sodann der Sodann und dann die Dahn und
voll Hochmut der Hochhuth und all die anderen sozialdemokraturkompatiblen
Prommies ihre gesammelten Statements zur gematechnischen Zweit-, Dritt- und
Endverwertung dem Dehm über-, und vom Mangelsdorff überblasen lassen - laut
Beiheft muss ich „nicht mit jeder und jedem in allen Fragen übereinstimmen“,
Ende des Abzählreims, danke und raus bist du. - Da erscheint das Häuflein
DKP-Aufrechter fast appetitlicher, zu dem KATJA EBSTEIN zählt:
Witkiewicz (EMI 724386036629, 13 Tracks, 49:29, mit Texten). Der
CD-Titel offenbart ihren Klarnamen; heute sucht die - nach
Talkshowbekenntnis ungeliftete, ausschließlich mit Eigenurin behandelte -
Schlagerecholette Anschluss ans literarische Chanson, bietet aber bloß den
nachtprogrammtauglichen Breitwand-Klangfilm des German Pop Orchestra.
Klangvoller die Namen ihrer Texter: Demmler, Pe Werner, Fendrich,
Maurenbrecher, „Jacques Romain Georges Brel“ und Heine. Den drei (!)
Schöpfern der Metaphernblüte „Ladung Spaß, Ladung Hass, Ladung Wunder auf
die Festplatte runtergebrannt“ sollte jemand das Benutzerhandbuch ihrer PCs
verklickern, damit sie beim Runterladen der festlichen Platte am kalten
Büffet nichts anbrennen lassen. - Wesentlich näher kommt der Kleinkunst in
ihrer Brettlhaftigkeit SIMONE DANAYLOWA: Salome. Songs, Chansons,
Tangos, Lieder, Collagen, Geschichten, Balladen (Löwenzahn/R.U.M.
Records LZ 20051, 16 Tracks, 55:07). Schwungvolle Rhythmen,
Stimmakrobatik, Klavier, Percussion und Akkordeon, Textereien und Hexereien
besorgt sie allein - ob die Partner dieser Bühnendomina, Matthias Zeller und
René Richter, zum Zuge kommen? Selbst aus dem alten Brecht klopft sie ein
paar höchst undamenhafte Lacher heraus, die wir so von ihm nicht kannten
(„Good bye Frank“). - Den eher unterkomplexen, besoffen-leiernden,
aufrauenden und -reizenden Sound der Gruppe Pankraz ließ sich (wie in
Folker! 02/2005 berichtet) der frühverrentete Autobahnbandleader
gefallen: BERNIE CONRADS & PANKRAZ: Drei Flaschen Mondschein
(Conträr/Indigo 42, 12 Tracks, 46:40, mit Texten). Die Pankraze
bereichern ihren herben Minimalstil durch unvermutete harmonische Wendungen;
Bernies freiwillige Schlichtpoesie, die nostalgische Farbtöne aus
Zirkusplakat, Eisdielentapete und Märchenwalddeko saugt, findet hier ein
passenderes Medium als Stoppoks unterkühlten Pflastertreter-Blues. - Brav
und bieder singen GANZ SCHÖN FEIST: Hüa! (ROOF Records RD 2533242,
13 Tracks, 48:07) von Enten ohne Ohren, von Weibern, die’s einem auch
nie recht machen, reimen humorig „Hüa!“ auf „früher“ und spielen auf die
weniger fußlahme Konkurrenz an („Sinn vom Sein!“ als Pigor-Anleihe). Nichts
gegen den Wohllaut des Vortrags: Von so schönen Stimmen erwartet man
ausgefallenere Geschichten. - Solche bietet MATHILDA: supersexy
rational (pläne 88908, 14 Tracks, 51:31, mit Texten). Dass
Hanns-Seidel-Preisträger bei pläne veröffentlichen, sagt etwas aus über den
politischen Wandel. Unbestechliche, (wenn auch verhalten) sozialkritische
Momentaufnahmen der Jetztgesellschaft und ihrer Un-Welt sind - ganz in der
pläne-Tradition - auch die Alltags- und Herzschmerztexte des Florian Bald,
die von Anika Mauer gesungen und von einer fünfköpfigen Combo begleitet
werden. Durch diese Produktion weht ein poetischer Ernst, den die versnobten
Blödelbarden aus dem Barbershop vermissen lassen.
|
|