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Mit den Afro-Cuban All Stars hat er den klassischen kubanischen Bigbandsound auf viele Bühnen der Welt getragen, unter seiner Dirigentschaft eroberte die traditionelle Musik aus dem Oriente mit dem Buena Vista Social Club die Charts und Herzen der Fans in aller Welt.
„Nur wenn wir die Musik der jungen Kubaner vorstellen, können wir das Niveau halten, auf dem die kubanische Musik international angekommen ist“, begründet Juan de Marcos nun sein neues Projekt. Der 50-Jährige mit dem Beret und den mittlerweile leicht angegrauten Rastalocken als Markenzeichen hat sein eigenes Label gegründet, sieht sich als Katalysator für den schier unerschöpflichen musikalischen Fundus der Zuckerrohrinsel.
Von Burkhard Birke
DM Ahora! ist das erste unabhängige Label auf Kuba, verkündet Juan de Marcos, sichtlich stolz. Zwischen Touren und neuen Aufnahmen richtete der Sänger und Tres*-Spieler der legendären Band Sierra Maestra in den letzten Monaten und Jahren sein eigenes Studio ein, gleich neben seinem Vorort-Zuhause im Osten der Hauptstadt Havanna. Jetzt beabsichtigt Juan de Marcos, der studierte Maschinenbauer mit Doktortitel, die zahlreichen internationalen Kontakte zu nutzen, die er durch seine Mitarbeit an den Projekten Nick Golds auf World Circuit gesammelt hat.
So deutlich möchte er es vielleicht nicht sagen: Aber Juan de Marcos will sich selbst einen Teil vom kubanischen Musikkuchen auf dem internationalen Präsentierteller abschneiden - möglichst bevor die Erfolgswelle des Kuba-Sounds abebbt. Deshalb hat er den Familienbetrieb DM Ahora! als Gegenpol zum einzigen staatlichen kubanischen Label, Egrem Records, und zu den internationalen Konzernen gegründet, die bisher das musikalische Erbe der Insel vermarkteten.
Den Blick - oder präziser: das Ohr - richtet Juan de Marcos freilich weniger auf das Erbe, also die Vergangenheit. Für sein eigenes Label interessieren ihn mehr die aktuellen Trends der Musik, zu der die Kubaner derzeit das Tanzbein schwingen. Und da gibt es eine Menge Neues, gelegentlich auch Ungewohntes - zumindest für europäische oder nordamerikanische Ohren - zu hören.
Gefeatured werden vor allem, aber nicht nur junge Künstler. Als Sprachrohre der - wie Juan de Marcos es ausdrückt - einzigartigen Musikkultur Kubas. Step Forward, die Erstlings-CD, beansprucht denn auch für sich, klangliche Reflexion der neuesten Trends aktueller, zeitgenössischer kubanischer Musik zu sein. Herausgekommen ist ein interessanter Soundquerschnitt voller Reichtum und Klangfarbe. Bis auf das traditionelle „Addimu A Chango“ im religiösen kubanischen Batumbata-Rhythmus und den klassischen Son Montuno „Lo Dicen Todas“ von Arsenio Rodriguez, mit dem Juans Vater einst sang, sind alle zwölf Tracks Neukompositionen. Juan de Marcos hat selbst in die Saiten gegriffen und fünf Stücke geschrieben, darunter „Elegia a Rubén González“.
So ganz kann er sich aber doch nicht von seinen früheren Weggefährten des Buena Vista Social Club und ihrer genialen Musik lösen. Sehr jazzig im Arrangement, klingt die Lobeshymne auf den leider verstorbenen Piano-Altmeister des Son, Rubén González, fast schon ein wenig arg verspielt - Musik, die sich durch eine gewisse Beiläufigkeit definiert. Ganz im Kontrast dazu stehen die Timbas! Sie sind der letzte Schrei von der Karibikinsel - und im Original eher etwas für kubanische Ohren, wie Juan de Marcos selbst zugibt. Natürlich gibt es nicht die Timba. Für Ausländer ist diese zeitgenössische kubanische Tanzmusik großer Orchester schlicht „Salsa“, wie Torsten Eßer in seinem Musiklexikon (Kubanische Musik von Rumba bis Techno) schreibt. Und damit trifft er den Nagel eigentlich auf den Kopf. Als simultane Improvisation aller beteiligten Musiker beschreibt Juan de Marcos den Charakter der Timba etwas detaillierter. Ursprünglich, so wird behauptet, sei sie einmal als eine Art kubanisches Gegenprojekt zu den zur „Salsa“ verschmolzenen Son-Interpretationen aus dem musikalischen Schmelztiegel New York initiiert worden.
Das war einmal! Längst gibt es auch in der Timba die verschiedensten Spielarten, von denen Juan de Marcos auf Step Forward gleich zwei präsentiert: Guaguanco-Timba und Ballad-Timba. „Adivinador“ und „Barbaridad“, so die Titel, sind adaptiert und können auch dem deutschen, französischen und amerikanischen Publikum zugemutet werden, meint Juan de Marcos. Die Musik- und Rhythmusexplosion, die Polyrhythmik, die Vermischung verschiedener Rhythmen der Timba also sind für ihn dabei wegweisend. Bigbandsound oder Funk im Stil aktueller amerikanischer Jazzbands, schnelle Sätze mit wenigen Akkorden, die nur in Takten mit Pausen gespielt werden: Das sei das eine Kennzeichen der Timba, die andere Charakteristik sei die Wiederholung von verschiedenen „Mambos“ (= Montunos, d. h. improvisierte Teile des Son), nicht die für Kuba typischen vier, sondern acht oder sogar zwölf. Hinzu kommt ein harmonisches System, das sich an den zeitgenössischen Jazz anlehnt und besonders schwierige Tumbaos (rhythmische Muster, bei dem die Töne jeweils vor dem eigentlichen Schlag vorgezogen werden) für den Pianisten oder den Tres-Spieler einbaut. „Und vor allem singen die Sänger immer mit Wut im Bauch, mit einer unglaublichen Kraft, und sie geben diese Kraft und Brutalität weiter nach außen!“, betont Juan de Marcos.
Noch Fragen? Im musiktheoretischen Exkurs ist Juan de Marcos stark. Er geht auch und gerade an die Musik mit wissenschaftlichem Esprit heran. „Das habe ich durch mein Studium gelernt, das hilft mir viel“, betont er im Interview. Dabei hat er eigentlich nur studiert, weil Musiker für seinen Vater kein vernünftiger Beruf war. Er wollte, dass sein Sohn etwas Ordentliches lernt! Das hat Juan de Marcos sehr wohl und ... ist am Ende auch beruflich bei seiner Leidenschaft gelandet, seinem Ein und Alles - der Musik
Auch als Student und Wissenschaftler hatte er die Musik nie aufgegeben und in den 70er Jahren mit Sierra Maestra noch als Student eine der erfolgreichsten Nachwuchsbands der Zuckerrohrinsel gegründet. Eben jene Erfolgschancen, die er sich als Sänger und Tres-Spieler mit Sierra Maestra erarbeitete, will Juan de Marcos jetzt der nachwachsenden, vor Talent strotzenden jungen Musikergeneration auch mit seinem Label eröffnen.
Er träumt von „echtem“ kubanischen HipHop, einem, der vollends auf Harmonie und Rhythmuselementen von der Insel aufbaut und nicht nur Teile mit amerikanischen R’n’B verschmilzt, etwa indem ein klassischer Son-Sänger das harmonische, vokale Grundgerüst für einen Rap liefert! Aber das ist im wahrsten Sinne des Wortes Zukunftsmusik. Die Erstausgabe seines Labels bietet einen anderen Querschnitt, von Afro-Cuban Jam über Son Montuno, Danzon und Bolero, Guaracha-Son bis hin zu Ballad-Son. Das Ganze klingt mit den für europäische Ohren adaptierten Timbas insgesamt doch noch sehr traditionell!
Puristen kubanischer Musik kommen überdies ein wenig ins Staunen - über französische Töne! „On The Road Again“ wird vom Altbarden Bernard Lavilliers interpretiert. „Der war gerade auf Jamaika, um ein bisschen Reggae aufzunehmen, da haben wir ihn mit Hilfe eines französischen Freundes kurzerhand für einen Tag nach Havanna einfliegen lassen“, erzählt Juan de Marcos, nicht ohne ein süffisantes Grinsen. „Ich habe tagsüber im Studio alles vorbereitet und die Klangteppiche aufgenommen. Bernard brauchte abends dann nur noch im Studio seinen Text herunterzusingen!“
Nicht alles lief derart reibungslos und unkompliziert. 50 Musiker, fünf verschiedene Arrangeure mussten für die zwölf Tracks nach und nach ins Studio gebracht werden. Und - vielleicht etwas untypisch für einen Kubaner - erweckt Juan de Marcos den Eindruck eines Perfektionisten, zumindest was Arrangements, Aufnahmetechnik und Produktion angeht. Der Aufnahme hat dies hörbar nicht geschadet. Auch nach mehrmaligem Anhören freilich wird noch nicht so ganz klar, ob und wie weit der Schritt nach vorn geht. Step Forward ist aber auf jeden Fall ein Schritt weg von den klassischen, traditionellen kubanischen Stücken hin zu neuen Kompositionen, zur zeitgenössischen Musik. Und die hat sicher noch Einiges mehr zu bieten!
Wie heißt es so schön: Konkurrenz belebt das Geschäft! In diesem Sinne darf man dem neuen Label DM Ahora! eigentlich nur viel Erfolg wünschen ...
* Gitarre mit drei Doppelsaiten
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