back Ferner liefen...

Immer diese cineastischen Unterbrechungen zwischen den Nachrichten! Die internationale Öffentlichkeit hat Anspruch auf Berichterstattung. Pressefreiheit ist Menschenrecht - und wichtigste Voraussetzung solider Ferndiagnosen. Mein Vorschlag: Krankheitsverläufe namhafter Persönlichkeiten mit 24-Stunden-Webcam überwachen und weltweit ausstrahlen. Manche könnten dann wohl noch ein schönes Alter erreichen, und das Schmieden von Methusalem-Komplotten würde auch erschwert. Dafür müsste es einen eigenen Sender geben ... Warum ließ die UNO nicht rechtzeitig Terri Schiavo, Papst Johannes Paul II. und Fürst Rainier von Monaco in ein gemeinsames Krankenzimmer verlegen? Keine gute Idee? Man lacht nicht über ein Gebrechen? Na schön, lassen wir’s. Zombiegeschichten sind - nach Ostern - Schnee von gestern. Die Wirklichkeit schreibt sich die besten Glossen ohnehin selbst. Geben wir den Blick auf sie frei.

Bundespräsident Horst Köhler ist, wie man hört, Schirmherr eines Fußballclubs geworden. („Warum sollte ich das nicht tun, wenn ich helfen kann, Deutschland nach vorne zu bringen?“). Der „FC Deutschland 2006“ ist natürlich keine normale Spielvereinigung - in welcher Liga wollte man die wohl noch unterbringen? -, sondern eine GmbH, deren Kerngeschäft das Vermarkten heimischer Imagepflege ist. Wir wissen ja, wie sehr es mit der Leitkultur im Argen liegt, wie arg der Patriotismus versehrt ist. Präsident des FC wird - die Glosse gewinnt allmählich Fahrt -, Mike de Vries, Ex-Manager der grandios gescheiterten Leipziger Olympiabewerbung. Zehn Mio gibt die Regierung frei, zehn weitere Millionen Euro soll „die Wirtschaft“ aufbringen.

Fürs Geldausgeben hat man die Werbeagentur Scholz & Friends herangezogen. Die pickte sich (kreativ, wie man in Berlin nun mal ist) aus Köhlers Antrittsrede den Satz „Deutschland - Land der Ideen“ heraus. Da konnte Köhler nicht nein sagen, und die CDU/CSU, die der Regierung zuvor Schleichwerbung im Bundestagswahlkampf unterstellt hatte, wurde damit ausgebremst. Der Sportminister - immerhin kann sich Deutschland leisten, eine 74-jährige Rotweinnase als solchen zu vereidigen - gab der im April angelaufenen Kampagne seinen Segen. Nein, damit ist nicht der Langstreckenläufer und Demo-Meister im Steinweitwurf von 1969 gemeint („Außen“, wenn auch nicht links), sondern der für Sportfragen zuständige „Innenminster“, der vor allem Schach als Denksport in seinen vier Wänden treibt. Noch unterscheidet ihn etwas vom lieben Gott. Ich darf den Leverkusener Kabarettisten Winfried Schmickler zitieren: „Gott weiß, dass er nicht Schily ist!“

Ideen - das sind bei uns Erfindungen. Das, bitteschön, ist nicht meine Erfindung! Als solche nehmen sie Gestalt an und werden, überdimensional aus wetterfestem Styropor geschnitzelt, vor postkartenträchtige Landschaftspanoramen gestellt. Geplant sind u. a. ein silbernes Auto - wie passend unter der Quadriga mit ihren popeligen Pferdestärken - vor dem Brandenburger Tor sowie Stollenschuhe auf dem Rasen vor dem Reichstag. In den Spielpausen kriegen geschätzte 33 Millionen Zuschauer diese erfreulichen Motive in die Bildröhre. Zugegeben, andere deutsche Erfindungen, denken wir an „Senfgas“, „Blitzkrieg“ oder „Boger-Schaukel“, lassen sich nicht so werbekräftig visualisieren. Passende Orte, wo entsprechende Styropor-Allegorien Platz finden könnten, gäb’s aber genug.

Eine weitere Idee ist die „Freundlichkeits- und Servicekampagne“, die mit alledem einher geht. Schluss mit muffeligen Gesichtern bei Platzordnern, Hooligans, Buchmachermafiosi - bei allen, die mit der WM zu tun haben. Otto Schily will, „dass die Leute so freundlich sind, wie es überhaupt in Deutschland möglich ist“. Da bin ich mal gespannt! Natürlich lockt man Journalisten aus dem Ausland herein, die unsere finsteren Mienen schönschreiben werden. Und weil Deutschland eine so wirtschafts- wie arbeitgeberfreundliche Regierung hat, findet das Konzept auch die Zustimmung des Sportbeauftragten eines großen Chemiekonzerns (kein Mandatsträger): „Es ist richtig, Deutschland im Zuge der WM als Industriestandort zu präsentieren.“ Der ehemalige BDI-Chef Rogowski möchte „eine positive Stimmung für 2006 erzeugen, damit die Sparquote zurück und die Konsumquote etwas hoch geht“. Fußballfans sollen vom Schwarzhandel mit den Tickets absehen, dürfen sich aber individuelle Trikots des deutschen Teams bestellen.

Und jetzt der Clou: Den Slogan „Deutschland - Land der Ideen“ sollen sich Unternehmen für ein rundes Sümmchen lizenzieren lassen und in ihrer Werbung einsetzen. Welches Produkt käme wohl dafür in Frage? Ich denke, hier sind in erster Linie die Schnapsbrennereien gefragt, von denen allerdings viele längst nicht mehr in asbach-uraltdeutscher Hand sind, weil sie von ausländischen Konzernen „geschluckt“ (hihi) wurden. Deutschland, Land der Schnapsideen! Konsum-, statt Sparquote. Und im Fernsehen unterlegen wir das noch mit der offiziellen WM-Hymne: „Ich schnaps mir, was ich schnapsen kann, ja, ich schnaps zu, weil ich das gut kann, Schni-Schna-Schnapsi, das kleine Krokodil ...“

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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