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Noten ohne Quoten

Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Nikolaus Gatter


Wie heißt der junge Mann? Jes? Lues? Nein, die CD ist signiert von ADRIAN ILS: Liebe, Tod und Heimarbeit (kip 6029; 14 Tracks, 40:28, mit Texten). Und wie soll das erst enden, wenn dem Ersttitel „Schreibhemmung“ gleich ein Instrumentalstück folgt? Dass hier keine Publikumsscheu herrscht, beweist die heißbeklatschte Liveaufnahme mit Ballhaus Nuevo („Ich bin verrückt nach deinen Ohren“). Sonst spielt der Multiinstrumental-Sänger lieber mit sich selbst. Solche Overdub-Onanie wirkt, trotz Mike Oldfield und Paul McCartney, selten befruchtend; bei Ils aber walten weder Sozialisationsschäden noch Trennungsneurose vor, und man verzichtet gern auf die Kumpelseligkeit der Truppe angesichts klug durchdachter Lieder mit gelungen-ernsten, seltener ironischen Texten („Ich möchte ums Verrecken nicht mehr Bundeskanzler sein“, „Kurorthasser“). - Freiwillige Schlichtheit möchte man nicht erwarten von KONSTANTIN WECKER: Am Flussufer (BMG Globeart Musicon 82876 67491 2; 13 Tracks, 54:40, mit Texten). Und trotzdem: Adrian Ills eindrucksvolle „Flaschenpost“ ist bei Konstantin Wecker angekommen, der sie mit einer eigenen, durchaus nicht besseren, aber auch nicht üblen Vertonung eingespielt hat: Der Dialog eines verzweifelten Vaters, der Müll fürs Flaschenkleingeld sammelt, während sein Sohn die Utopie an den Horizont malt und ein Boot zimmert. Weckers eigene Lieder beschwören wie stets die Ekstase, mit der Hemmnisse des Alltags - „Bürokraten, Akten und Devisen“ - überwunden werden sollen. Diese Inbrunst hat etwas Verkrampftes, es fehlt der Mut zur Lücke, zum Weglassen, manches Lied könnte ein schönes Ende nehmen, ließe der Maestro nicht doch noch ein paar Klavierklimperer nachtremolieren und klappte seine große Metaphernkiste zu. Ein Achtung gebietendes, nur mit der Brel-Elle zu messendes Chanson ist „Dem Mond entgegen“, das noch einmal an die expressionistische Lyrik rührt, der sich Wecker in seiner Frühzeit verbunden fühlte. Kurz und gut ist auch „Das ganze schrecklich schöne Leben“. - Einiges Rhythm-&-Blues-Mäßiges in bairischer Mundart enthält, als Beifang zu einer Fernsehproduktion, auch KONSTANTIN WECKER: Apollonia - Soundtrack des „Alpendramas“ (SPV 085-78212; 18 Tracks, 51:08). - Östlich von München residiert FASCHINGS KUCHLRADIO LIVE: Der König von Amstetten (kuchlradio@gmx.at, 15 Tracks, 67:49). Andreas Julius Fasching empfiehlt sich als kakanischer Esoteriker („Atmen mit Franziska“), Verkäufer elektrischer Rheumadecken und naturkundlich beflissener Voyeur. Seine „Band aus da Provinz“ liefert mit Bluesgitarre und Akkordeon die richtige Grundlage für skurrilen bis hin zu rabenschwarzem Humor, der sich würdig in die Tradition Qualtingers und Artmanns einreiht - Mitlesen der (in Komplementärkontrastfarben und Zwergenschrift gedruckten) Texte lohnt sich! - Nördlich der Mainlinie ebenfalls fremd-mund-artig spielt DIE COUPLET-AG: Pressack Royal. Live in der Drehleier (www.couplet-ag.de, 71875 07160 2; 22 Tracks, 69:41, mit Texten). Eine Mischung aus Kabarett, überkandidelten Witzen, parodistisch durchgequirlter Volksmusik; dem spontanen Auftrittsapplaus nach zu schließen ist das Programm auch optisch erfreulich. - Er will Tyrann und Dissident, Anpasser und Abweichler zugleich sein, Rock ’n’ Roller, dem die Muttis noch in der Schlagerparade zujubeln: HEINZ RUDOLF KUNZE: Das Original (BMG 82876 66849 2; 14 Tracks, 56:38, mit Texten). Welcher Stilberater hat ihm die verspätete Lederjacke und das Bodo-Hombach-Halskettchen aufgeschwatzt? Von den gehbehinderten Texten einmal abgesehen, wo mitunter „gesext“, „Nein und Amen“ gesungen und im BILD-Jargon („Das Rätsel aus Prag“) Kafkas Oeuvre zum Buchtitel-Potpourri eingedampft wird. Als eine der überreichlichen Dylan-Watchtower-Adaptionen weckt das „Lied für einen dünnen Mann“ höchstens Sammlerinteresse für eine Trikont-Produktion nach Art der La-Paloma-Anthologie. Die CD wurde übrigens im Madagaskar-Studio zu Wedemark eingespielt, wohin sich Kunze wohl rechtzeitig vor der „Vernichtung des Falsch bestehenden nicht durch Kritik ..., sondern durch Schöpfung“ (Vorsicht Bildungstrümmer: Botho-Strauß-Zitat aus dem Beiheft!) deportieren ließ. - Unter Ausnutzung des Raumklangs im Triebwagen 105 entstand die folgende CD in einem Straßenbahnmuseum: SASCHA GUTZEIT: unten am depot (Meteor MTR03-0004; 15 Tracks, 56:14). Das hörenswerte Hörwerk bietet melancholische Tagebuchsongs mit einem jugendtypischen Schuss Selbstironie. Neben dem Sound ist die lässige Schlagzeug- und Bläserbegleitung zu loben; gesangstechnisch wäre noch eine Fortbildungsmaßnahme angemessen. - Eine fünfköpfige Band, zu der sich ein rundes Dutzend Tresenhocker gesellt hat, ist DER SINGENDE TRESEN: Sperrstundenmusik (Raumer Records RR 16505; 13 Tracks, 49:15); sie spielen „Tresenlieder“ einer gewissen Manja Präkels ein, zu dessen Kneipenbekanntschaften auch Lexa Thomas, Holger Huff und Jens-Paul Wollenberg zählen. - Ebenfalls mit Promi-Bonus: KONNIE KELLER: Trommelrufe (www.konniekeller.de; 13 Tracks, 51:23, mit Texten). Mit parodistisch-spielerischer Distanz und ohne nostalgische präsentiert die Sängerin eine hübsche Auswahl vergessener oder selten eingespielter Kabarettchansons, rhythmisch ausgefeilt, raffiniert instrumentiert und stimmlich tadellos. Unbegreiflich und geradezu Eifersucht erregend ist nur, dass sie einmal den Fernsehgötzen Alsmann („meine Muse“) als hilflosen Brummbär und gottlob mehr redend als singend ins Lied reinnimmt. - Chansonfrauen, die von banausischen Blindscouts der Plattenfirmen nicht wahrgenommen werden, tendieren - wie die resolut-professionelle Maegie Koreen - zur Gründung eigener Labels. Viele von ihnen sind im PROFOLK-Sampler Sirens of Berlin (Bluebird Café Records CD 05-0018; 17 Tracks, 67:56, mit Texten) repräsentiert; eine, die dort fehlt, nennt sich KLEINGELDPRINZESSIN: Taschentöne live (www.kleingeldprinzessin.de; 19 Tracks, 75:22, mit Texten) und sei hier noch kurz empfohlen: Sie heißt im Leben Dota Kehr und ist eine nimmer ermüdende Sprachspielerin, lässt sich von Reim zu Reim, vom Scherz zum Ernst und vom Ernst zum Jandl treiben (das Beiheft dürfte übersichtlicher sein und enthält leider nur eine Auswahl der schönen Lyrics). Sie flaniert auch mal beim Chat-Gesang vorbei und hat ihr zauberhaftes Hörwerk mit virtuosen Jazzern, u. a. mit dem schnellfingrigen Percussionisten Janis Görlich und Sebastian Vogel am Kontrabass, realisiert.

 

ADRIAN ILS - Liebe, Tod und Heimarbeit

KONSTANTIN WECKER - Am Flussufer

KONSTANTIN WECKER - Apollonia - Soundtrack des „Alpendramas“

FASCHINGS KUCHLRADIO LIVE - Der König von Amstetten

DIE COUPLET-AG - Pressack Royal. Live in der Drehleier

HEINZ RUDOLF KUNZE - Das Original

SASCHA GUTZEIT - unten am depot

DER SINGENDE TRESEN - Sperrstundenmusik

DIVERSE - Sirens of Berlin

BACH DREI BARDEN EINE BAND: Der alte Sack (Multikulti MK-3 B 5015; 3 Tracks, 12:54)

ULRIKE DANGENDORF: Spuren/Traces (Westpark Music POB 260 227; 16 Tracks, 44:00)

HANS HARTZ: Nicht käuflich (Allmusica A-HH 2510; 3 Tracks, 10:38)

HANS KELLER: Eine Stunde bis zum Meer. Songs und Lieder (Chanson Café CWB 2042; 14 Tracks, 42:35)

MAEGIE KOREEN: Die Seele des Chansons. Lieder, Menschen, Gefühle (Chanson Café CWB 1298; 16 Tracks, 50:12)

ANGELIKA MANN/FRANK GOLISCHEWSKI: Hier kommt zusammen was zusammen gehört (kip 6028; 18 Tracks, 53: 14, mit Texten)

MARTIN WUNDERLICH: zeitlos (www.musicsupportgroup.com; 10 Tracks, 47:11)


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