Wie heißt der junge Mann? Jes? Lues? Nein, die CD ist signiert von ADRIAN
ILS: Liebe, Tod und Heimarbeit (kip 6029; 14 Tracks, 40:28, mit
Texten). Und wie soll das erst enden, wenn dem Ersttitel
„Schreibhemmung“ gleich ein Instrumentalstück folgt? Dass hier keine
Publikumsscheu herrscht, beweist die heißbeklatschte Liveaufnahme mit
Ballhaus Nuevo („Ich bin verrückt nach deinen Ohren“). Sonst spielt der
Multiinstrumental-Sänger lieber mit sich selbst. Solche Overdub-Onanie
wirkt, trotz Mike Oldfield und Paul McCartney, selten befruchtend; bei Ils
aber walten weder Sozialisationsschäden noch Trennungsneurose vor, und man
verzichtet gern auf die Kumpelseligkeit der Truppe angesichts klug
durchdachter Lieder mit gelungen-ernsten, seltener ironischen Texten („Ich
möchte ums Verrecken nicht mehr Bundeskanzler sein“, „Kurorthasser“). -
Freiwillige Schlichtheit möchte man nicht erwarten von KONSTANTIN WECKER:
Am Flussufer (BMG Globeart Musicon 82876 67491 2; 13 Tracks, 54:40,
mit Texten). Und trotzdem: Adrian Ills eindrucksvolle „Flaschenpost“ ist
bei Konstantin Wecker angekommen, der sie mit einer eigenen, durchaus nicht
besseren, aber auch nicht üblen Vertonung eingespielt hat: Der Dialog eines
verzweifelten Vaters, der Müll fürs Flaschenkleingeld sammelt, während sein
Sohn die Utopie an den Horizont malt und ein Boot zimmert. Weckers eigene
Lieder beschwören wie stets die Ekstase, mit der Hemmnisse des Alltags -
„Bürokraten, Akten und Devisen“ - überwunden werden sollen. Diese Inbrunst
hat etwas Verkrampftes, es fehlt der Mut zur Lücke, zum Weglassen, manches
Lied könnte ein schönes Ende nehmen, ließe der Maestro nicht doch noch ein
paar Klavierklimperer nachtremolieren und klappte seine große Metaphernkiste
zu. Ein Achtung gebietendes, nur mit der Brel-Elle zu messendes Chanson ist
„Dem Mond entgegen“, das noch einmal an die expressionistische Lyrik rührt,
der sich Wecker in seiner Frühzeit verbunden fühlte. Kurz und gut ist auch
„Das ganze schrecklich schöne Leben“. - Einiges Rhythm-&-Blues-Mäßiges
in bairischer Mundart enthält, als Beifang zu einer Fernsehproduktion, auch
KONSTANTIN WECKER: Apollonia - Soundtrack des „Alpendramas“ (SPV
085-78212; 18 Tracks, 51:08). - Östlich von München residiert
FASCHINGS KUCHLRADIO LIVE: Der König von Amstetten
(kuchlradio@gmx.at, 15 Tracks, 67:49). Andreas Julius Fasching empfiehlt
sich als kakanischer Esoteriker („Atmen mit Franziska“), Verkäufer
elektrischer Rheumadecken und naturkundlich beflissener Voyeur. Seine „Band
aus da Provinz“ liefert mit Bluesgitarre und Akkordeon die richtige
Grundlage für skurrilen bis hin zu rabenschwarzem Humor, der sich würdig in
die Tradition Qualtingers und Artmanns einreiht - Mitlesen der (in
Komplementärkontrastfarben und Zwergenschrift gedruckten) Texte lohnt sich!
- Nördlich der Mainlinie ebenfalls fremd-mund-artig spielt DIE
COUPLET-AG: Pressack Royal. Live in der Drehleier (www.couplet-ag.de,
71875 07160 2; 22 Tracks, 69:41, mit Texten). Eine Mischung aus
Kabarett, überkandidelten Witzen, parodistisch durchgequirlter Volksmusik;
dem spontanen Auftrittsapplaus nach zu schließen ist das Programm auch
optisch erfreulich. - Er will Tyrann und Dissident, Anpasser und Abweichler
zugleich sein, Rock ’n’ Roller, dem die Muttis noch in der Schlagerparade
zujubeln: HEINZ RUDOLF KUNZE: Das Original (BMG 82876 66849 2; 14
Tracks, 56:38, mit Texten). Welcher Stilberater hat ihm die verspätete
Lederjacke und das Bodo-Hombach-Halskettchen aufgeschwatzt? Von den
gehbehinderten Texten einmal abgesehen, wo mitunter „gesext“, „Nein und
Amen“ gesungen und im BILD-Jargon („Das Rätsel aus Prag“) Kafkas Oeuvre zum
Buchtitel-Potpourri eingedampft wird. Als eine der überreichlichen
Dylan-Watchtower-Adaptionen weckt das „Lied für einen dünnen Mann“ höchstens
Sammlerinteresse für eine Trikont-Produktion nach Art der
La-Paloma-Anthologie. Die CD wurde übrigens im Madagaskar-Studio zu Wedemark
eingespielt, wohin sich Kunze wohl rechtzeitig vor der „Vernichtung des
Falsch bestehenden nicht durch Kritik ..., sondern durch Schöpfung“ (Vorsicht
Bildungstrümmer: Botho-Strauß-Zitat aus dem Beiheft!) deportieren ließ. -
Unter Ausnutzung des Raumklangs im Triebwagen 105 entstand die folgende CD
in einem Straßenbahnmuseum: SASCHA GUTZEIT: unten am depot (Meteor
MTR03-0004; 15 Tracks, 56:14). Das hörenswerte Hörwerk bietet
melancholische Tagebuchsongs mit einem jugendtypischen Schuss Selbstironie.
Neben dem Sound ist die lässige Schlagzeug- und Bläserbegleitung zu loben;
gesangstechnisch wäre noch eine Fortbildungsmaßnahme angemessen. - Eine
fünfköpfige Band, zu der sich ein rundes Dutzend Tresenhocker gesellt hat,
ist DER SINGENDE TRESEN: Sperrstundenmusik (Raumer Records RR
16505; 13 Tracks, 49:15); sie spielen „Tresenlieder“ einer gewissen
Manja Präkels ein, zu dessen Kneipenbekanntschaften auch Lexa Thomas, Holger
Huff und Jens-Paul Wollenberg zählen. - Ebenfalls mit Promi-Bonus: KONNIE
KELLER: Trommelrufe (www.konniekeller.de; 13 Tracks, 51:23, mit
Texten). Mit parodistisch-spielerischer Distanz und ohne nostalgische
präsentiert die Sängerin eine hübsche Auswahl vergessener oder selten
eingespielter Kabarettchansons, rhythmisch ausgefeilt, raffiniert
instrumentiert und stimmlich tadellos. Unbegreiflich und geradezu Eifersucht
erregend ist nur, dass sie einmal den Fernsehgötzen Alsmann („meine Muse“)
als hilflosen Brummbär und gottlob mehr redend als singend ins Lied
reinnimmt. - Chansonfrauen, die von banausischen Blindscouts der
Plattenfirmen nicht wahrgenommen werden, tendieren - wie die
resolut-professionelle Maegie Koreen - zur Gründung eigener Labels. Viele
von ihnen sind im PROFOLK-Sampler Sirens of Berlin
(Bluebird Café Records CD 05-0018; 17 Tracks, 67:56, mit Texten)
repräsentiert; eine, die dort fehlt, nennt sich KLEINGELDPRINZESSIN:
Taschentöne live (www.kleingeldprinzessin.de; 19 Tracks, 75:22, mit
Texten) und sei hier noch kurz empfohlen: Sie heißt im Leben Dota Kehr
und ist eine nimmer ermüdende Sprachspielerin, lässt sich von Reim zu Reim,
vom Scherz zum Ernst und vom Ernst zum Jandl treiben (das Beiheft dürfte
übersichtlicher sein und enthält leider nur eine Auswahl der schönen
Lyrics). Sie flaniert auch mal beim Chat-Gesang vorbei und hat ihr
zauberhaftes Hörwerk mit virtuosen Jazzern, u. a. mit dem schnellfingrigen
Percussionisten Janis Görlich und Sebastian Vogel am Kontrabass,
realisiert.
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