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Türkischer Tango, progressiver Klezmer aus Krakau und Chicago, Schmachtsongs aus Rumänien à la Piaf, Son aus dem „Oriente“ Kubas: Die Facetten „östlicher“ Musik sind vielgestaltig, so offenbart es uns der Katalog des Berliner Labels Oriente seit zehn Jahren. Seine Historie allerdings reicht weit in die wilde Zeit der Weltmusikpioniere zurück. Zum runden Geburtstag entrollt sie Geschäftsführer Till Schumann.
Von Stefan Franzen
Es ist nie zu spät! Diese banale Weisheit gilt gerade für die Entdeckung neuer Musikstile im Leben eines Menschen. Dass sich jemand mit 40 die Welt der World Music erschließt, bald darauf gar sein Lebenswerk danach ausrichtet, ist dennoch nicht alltäglich. Till Schumann ging es so, als er seinem bisherigen Beruf als Diplompädagoge in den 90ern Adieu sagte. „Ich war 20 Jahre lang in der Jugendarbeit und politischen Bildung tätig. Irgendwann merkte ich, dass ich zum Berufsjugendlichen wurde. Es war zu dieser Zeit, dass sich mir ganz neue musikalische Dimensionen erschlossen.“ Die Beschäftigung mit Musik an sich war freilich kein Neuland für ihn: Aus einem Clan von Musikwissenschaftlern stammend, hatte sich Schumann vor seiner pädagogischen Karriere pflichtgetreu an Mensuralnotation nebst anderen spröden Disziplinen versucht, die realitätsferne Musikologie aber bald ad acta gelegt. Zu seinen lange gepflegten Vorlieben für Jazz und Rock traten nun Tango, griechische Klänge, Klezmer und Son. Schuld daran: sein Einstieg in den Berliner Plattenladen Canzone, womit sich der Erziehungswissenschaftler a. D. direkt ins Zentrum Berliner Weltmusikgeschichte begab. Der Shop, der als erster in Deutschland seit Mitte der 70er globale Klänge importierte und anbot, war aus einem Buchladen hervorgegangen, die Geschäftsführer Reiner Jordan und Gigi Backes stammten aus der Musikerszene: „Reiner und Gigi spielten in einer legendären Folkformation namens Hampelmuse. Die hatten sich auf die Fahne geschrieben, nicht bloß Musik zu machen, sondern auch immer den tanzpädagogischen Aspekt zu berücksichtigen. Damit hatten sie großen Erfolg.“
Tanz spielte in den frühen Tagen auch bei Canzone eine große Rolle. Denn zunächst machten sich die Ladeninhaber einen Namen als Importeure von Tangoplatten, versorgten die gesamte tanzhungrige Berliner Szene mit bis dato unerreichbaren Perlen aus Argentinien. Im Laufe der Jahre, und besonders seitdem sich der Eiserne Vorhang hob, avancierte der Verkaufsraum zum hochspannenden Umschlagplatz vorrangig für Musik aus Osteuropa. Obskure Kassetten aus Polen, rares Vinyl aus der Sowjetunion wurden über die Berliner Theke gereicht. In diese heiße Phase fällt der Einstieg Schumanns. „Wenn du einen solchen Laden machst“, erinnert sich der neu hinzugekommene dritte Gesellschafter, „dann triffst du immer wieder auf Musik, die spannend und schön und gut und richtig ist, aber entweder gar nicht oder nur in irgendwelchen Ecken der Welt veröffentlicht wird, wo sie von uns aus nicht erreichbar ist. Da kamen zum Beispiel russische Herrschaften zu uns und boten alte Melodia-Platten von Pjotr Leschenko zum Verkauf an. Wir dachten sofort: ‚Wow, das ist ja Wahnsinn, was der macht!’ Und dann erinnere ich mich, wie wir die Aufnahmen einem 75-jährigen Moskauer Musikprofessor vorspielten und der weinend zusammengebrochen ist. Erlebnisse wie diese haben unseren gemeinsamen Entschluss bekräftigt: Ein Label muss her!“
Der Startschuss für Oriente fiel 1995. Während Jordan und Backes sich weiter um den Laden kümmerten, wurde Schumann für den Aufbau des Katalogs auserkoren, Entscheidungen über Neuveröffentlichungen und das Handling der Labelkünstler trug man gemeinsam. „Wir sagten uns von Anfang an: Bei uns soll es keine regionale oder stilistische Festlegung geben. Wenn wir uns mit der Musik identifizieren können, dann hat sie bei uns eine Chance, aufs Label zu kommen. Marktstrategische Überlegungen, sprich ob sich eine Scheibe verkaufen wird, das ist bei uns nachrangig.“ Der Begriff „Oriente“ stand und steht dabei als doppelsinniger Pate: Zum einen verweist er auf die Liebe der drei „Canzonisten“ zur Musik aus verschiedenen Ostgefilden: jüdische, griechische, russische, balkanische Klänge, aber auch der Son des kubanischen Oriente. Zum anderen, und da spicken wir kurz aufs Manifest ihrer Website, steht der Name „auch für Orientierung in einer von Enthusiasmus und Aufgeschlossenheit geprägten Szene, die gleichzeitig von Profilsucht und Verflachung bedroht ist.“ Ein harscher Seitenhieb auf die Majors, die in der Regel seelenlose Kompilationsserien über persönliche, mit Herzblut gepflegte Künstlerkontakte stellen.
Und Letztere gab es bei Oriente von Beginn an. Als Katalognummer 01 hat sich der - auf Kreta lebende und musizierende - Ire Ross Daly ins Repertoire eingeschrieben, den Schumann nach wie vor für einen der begnadetsten Musiker hält. „Leider ist es so, dass die großen griechischen Plattenfirmen wenig Interesse haben, ihre Produkte im Ausland zu vertreiben. Wir hatten bei Canzone immer Platten von Daly importiert, die Kundschaft ist unheimlich drauf abgefahren. Und nun bot sich die Gelegenheit, ihn selbst zu veröffentlichen.“ Schumann organisierte ein Konzert mit dem Wahl-Kreter in Berlin, der Musiker nahm das Engagement des Oriente-Teams positiv auf und fasste Vertrauen. Wenig später war der Deal perfekt und Oriente konnte den europäischen Markt für Daly öffnen.
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