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Ballade für ein verloren gegangenes Land

Tom Russell

„Wir können uns doch nicht alle Songs wegnehmen lassen“

go! www.tomrussell.com
Discographie
(Auswahl)

Cowboy Mambo (with Barrence Whitfield;
   East Side Digital/Roundtower, 1994)
The Man From God Knows Where
   (Hightone, 1999)
Borderland (Hightone, 2001)
Modern Art (Hightone, 2003)
Indians Cowboys Horses Dogs
   (Hightone, 2004)
Hotwalker (Hightone, 2005)

unterwegs:
(mit Andrew Hardin)
15.06.05: Langenau, Pflegehhofsaal
16.06.05: Winterthur (CH),
   Coal Mine Book Bar
17.06.05: Schwarzenegg (CH),
   Dream Valley Saloon
18.06.05: Feuerthalen (CH),
   Dolder 2
19.06.05: Zürich (CH), El Lokal

Anfang der 80er war Tom Russell in New York Taxifahrer. Nach zwei LPs mit der Pianistin und Sängerin Patricia Hardin und einer gescheiterten Ehe ging Russell für eine Weile auf Distanz zur Musik. Eigentlich war er ja nach New York gekommen, um Schriftsteller zu werden, doch das ging auch nicht von heute auf morgen. Eines Nachts stieg Robert Hunter, der Texter von Grateful Dead, zu Russell ins Taxi. „Ich bin auch Songschreiber!“, gestand ihm der Verlegenheits-Driver. „Ja, sicher, Junge. Dann sing mal was.“ Und Russell, der nichts zu verlieren hatte, sang die vollen siebeneinhalb Minuten seiner Ballade „Gallo del Cielo“. Hunter kam für die Extra-Taxirunden auf und bat Russell beim nächsten New Yorker Gig der legendären Kultband auf die Bühne. Der Rest ist Songwriter-Geschichte.

Tom Russell

Von Susanne Loacker

Nach 18 Alben mit eigenen Songs hat Tom Russell nun einen ernsthaften Annäherungsversuch an seine große heimliche Liebe, die Literatur, gewagt. Entstanden ist so seine jüngste CD Hotwalker. „Sie ist gewissermassen Teil zwei einer amerikanischen Trilogie. Teil eins war Man From God Knows Where, die vertonte Geschichte meiner weit verzweigten Familie, die teils aus Irland, teils aus Schottland nach Amerika kam“, erzählt der Musiker. Von der sanften und ergreifenden Innerlichkeit, die das vor sechs Jahren erschienene Album prägt, ist auf Hotwalker nichts mehr zu spüren. Ein Wandel in Stil und Ausdruck, für den es Gründe gibt, die weit reichen.

1967 lebte Tom Russell in Los Angeles. Seine damalige Freundin war Krankenschwester. Während sie arbeitete, verbrachte Russell seine Freizeit in den Parks der Stadt und las. Dort sprach ihn eines Tages ein Journalist an, der auf der Suche nach einer Bar war. Die beiden plauderten eine Weile, und zum Abschied gab der Journalist Tom Russell ein paar Exemplare seiner Zeitung, des Lokalblattes Open City. Russell entdeckte darin die Kolumnen eines gewissen Charles Bukowski: „Notes of a dirty old man“. Tom Russell wurde schnell ihr eifrigster Leser und Sammler. Nach etwa 30 Tom Russell Bukowski-Nummern ging Open City leider ein. „Ich fand diese Kolumnen einfach großartig. Sie waren witzig, mutig, ehrlich und stinkfrech“, erinnert sich Russell. Bukowski, ursprünglich aus dem deutschen Andernach stammender Beat-Poet, war damals noch völlig unbekannt und arbeitete bei der Post.

Korrespondenz mit Bukowski

Jahre später lernte Tom Russell einen Journalisten kennen, der an einer Bukowski-Bibliographie arbeitete. Russell erwähnte die gesammelten Kolumnen Tom Russell Band - und der Journalist bekam große Augen. Ob Russell die Sammlung nicht an Bukowski schicken könne, der würde gerne ein Buch aus den Texten machen, habe sie aber selbst nicht aufbewahrt. Russell schickte die Kolumnen, Bukowski schrieb ihm einen Dankesbrief. Von 1982 an bis zu Bukowskis Tod ging diese Korrespondenz weiter. „Ich habe Bukowski auch ein paar Mal interviewt“, erzählt Russell, „meist für europäische Kunstmagazine.“ Bukowski bedankte sich für „schmerzlose“ Interviews. Lange Zeit lagen die Briefe säuberlich gebündelt in Tom Russells Schreibtisch.


TOM RUSSELL
Hotwalker

(Hightone/Fenn HCD 8177)
19 Tracks, 71:30

Zirkusmusik, Jazz, Mariachi - Hotwalker ist von der musikalischen Komposition her weder Country noch Americana. Am ehesten träfe die Bezeichnung Folk - kurz für Folklore als Gefäß für die Geschichte eines Volkes. Die musikalische Collage reicht von einer klavierbegleiteten Gedichtlesung Jack Kerouacs über alte Gospelsounds bis hin zu dem, was man heute unter „Americana“ versteht. Viel Musik, aber nur drei konventionell gestaltete Songs gibt es zu hören, der spektakulärste davon „Grapevine“. Ergänzt werden Tom Russell und sein lebenslanger Begleiter Andy Hardin vom großartigen Gitarristen Redd Volkaert. Der fetzt für den Song - eine Reverenz an den Sound von Merle Haggard und Buck Owens - ein Telecaster-Solo hin, das alle „gone Americans“ von Bukowski bis Kerouac wieder aus ihren Gräbern zur Auferstehung ruft.

Für Radioleute ist die CD nicht sehr handlich. Durch bloßes Anspielen der Nummern ist wenig zu gewinnen: kein Zusammenhang, kein Eindruck, kein Sinn. Wer kann, sollte sich das Album am Stück und mit Kopfhörern anhören, das erleichtert und vertieft das Verständnis. Wer zu wenig Englisch versteht, verliert zwar Einiges von den Textpassagen Little Jack Hortons, dafür sind die Ausschnitte aus Lesungen von Kerouac, Bukowski und anderen Autoren so gewählt, dass sie ohne große Einbuße verständlich sind. Kein Album also, das im Auto so nebenbei für gute Laune sorgt, sondern eines, dessen Anliegen, Nuancen und Pointen jedes Wiederhören zu einer Expedition ins „verlorene Amerika“ macht. Es müsste einen Grammy für die mutigste Schallplatte des Jahres geben.

sl

 


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Mehr über Tom Russell
im Folker! 3/2005