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Portugal - kein Hort der Melancholie!

Neue Gesichter und Stimmen aus dem Südwesten Europas

Links zu den Künstlern:
go! camaleaoazul.com.sapo.pt/
go! terrakota.home.sapo.pt/
www.gproducoes.pt/pedro_joia.htm
go! www.gaiteirosdelisboa.com
go! www.mesa.pt
Discographie
(Auswahl)

Camaleão Azul: O Sul
   (Zona Música/Galileo MC, 2002)
Terrakota: Terrakota
   (Zona Música/Galileo MC, 2002)
Terrakota: Humus Sapiens
   (Zona Música/Galileo MC, 2004)
Manecas Costa: Paraíso Di Gumbe
   (Wrasse/Helikon Harmonia Mundi, 2003)
Gaiteiros De Lisboa: Macaréu
   (Aduf Edições, 2002)
Pedro Jóia: Jacaranda
   (Zona Música/Galileo MC, 2004)
Mesa: Mesa (EMI Portugal, 2003)

Portwein, sonnige Algarve-Strände und der bittersüße Fado - die Klischees des atlantischen Landes im Südwesten Europas sind schnell aufgezählt und wurden im Sommer des vergangenen Jahres in den Medien während der Fußball-EM wieder allzu oft breitgetreten. Portugal hat sich aber längst von seiner ungewollten Rolle als Hort der Melancholie befreit. Ein modernes, multikulturelles Gesicht zeigt sich in den unterschiedlichsten Musikströmungen zwischen keltischem Norden, den von Emigrantenszenen und Elektro-Pop geprägten urbanen Zentren und der maurisch angehauchten Südküste. Jenseits von Amália und Madredeus wollen wir ein paar progressive Tendenzen aus der portugiesischen Szene vorstellen, die sich gleichwohl mit traditionellem Material auseinander setzen.

Von Stefan Franzen

Camaleao Azul

Beats von der Algarve

Schon an der südlichen Urlaubsküste, der Algarve, stößt man musikalisch auf überraschendes Neuland. Mit dem Projekt Camaleão Azul ("blaues Chamäleon") siedelt hier eine der bemerkenswertesten Bands Portugals, die im Ausland noch völlig unbekannt ist. Vom Fischerstädtchen Olhão aus basteln Sängerin Viviane Guereido und Multi-Instrumentalist Tó Viegas an einem wohl einmaligen Mix: Lichtdurchflutete Poesie des Algarve-Dichters Fernando Cabrita wird mit poppigen Rhythmen gekoppelt, die Inspiration nährt sich aus der idyllischen Umgebung. "Wir leben auf dem Land, das ist sehr wichtig für uns", bekräftigt Viviane. "Unser Studio liegt mitten in der Natur und so transportieren einige der Stücke Ruhe und Frieden. Das spiegelt sich auch in der Poesie von Cabrita wider. Unser Ziel ist es, einen wirklichen Dialog zwischen Musik und Lyrik herzustellen." Und letztere ergeht sich in feinsinnigen Naturbildern, die vom wechselnden Licht über dem Meer, von den Gestirnen, vom vergehenden Sommer und alten Fischerhäusern erzählt. Eine Kostprobe: "In dieser zarten Stunde, in der die Sonne schwach ist wie eine Lilie und sich in Jade hüllt, zerstreut das Licht den Nachmittag in einem Delirium." Wer dazu allerdings melancholische Klangnebel erwartet oder Gaiteiros de Lisboa Kammerfolk à la Madredeus, der wird eines Besseren belehrt. In den Arrangements von Camaleão Azul gibt es neben Akkordeon, viola braguesa und Adufe-Trommel auch programmierte Beats und Samples. Viviane ist auf die Breitenwirkung stolz: "Unsere Musik ist so gebaut, dass sie an jedem beliebigen Ort gespielt werden kann, in Clubs, in Bars, in Diskotheken oder auch zu Hause nach einem anstrengenden Arbeitstag zur Entspannung. Die Kombination der traditionelleren mit den elektronischen Elementen interessiert vor allem die Jugend an der Algarve sehr." Und die Nähe zum afrikanischen Kontinent klingt auch durch: Arabische Lauten und arabeske Melodien fangen die Nähe zum Maghreb ein.

Manecas Costa

Der Blick nach Afrika

Dass Portugal auch immer nach Afrika schaut, zeigt sich heute in der vielfarbig ausgeprägten Weltmusik-Szene Lissabons. Kapverdier, Angolaner und andere Emigranten der Ex-Kolonien produzieren hier ihre CDs, und auf den ersten Blick beherrscht ein kommerzieller Afro-Pop den Markt. Doch es gibt Beispiele, die aus diesem "World-Mainstream" ausscheren. Manecas Costa ist die Lichtgestalt eines kulturell wiedererstehenden Guinea-Bissau und kehrt mit seinem Album Paraíso Di Gumbe auf traditionelleres Terrain zurück - produziert von der englischen Musikethnologin Lucy Duran. "Musik spielte Mesa in letzter Zeit keine Rolle in meiner Heimat", sagt Costa und sehnt sich nach der goldenen Zeit kurz nach der Unabhängigkeit zurück. "Mein Land wurde durch Armut und Korruption 'versenkt', deshalb gibt es so viele Musiker, die emigrieren und hier in Portugal ihre Chancen auf ein besseres Leben und für künstlerische Freiheit wahrnehmen wollen. Lissabon hat mein Leben markant verändert, hier habe ich meine beiden ersten Alben aufgenommen. Aber mein Traum wäre es, eines Tages wieder zurückzukehren." Musikalisch hat er den ersten Schritt in diese Richtung bereits getan. Sein aktuelles Opus ist die erste CD, die seit langem in Guinea-Bissau produziert wurde. Sie koppelt elegante Vokalstücke mit unbekannten Rhythmen Bissaus. "Ich kämpfe für ein positives Bild meines Landes", unterstreicht Costa. "Mein Album ist eine Hommage an die traditionelle Musik Guinea-Bissaus und würdigt die lokalen Musiker für das Ausland."

Pedro Joia Musikalische Emigranten finden sich in Lissabon allerdings auch auf der Gegenfahrbahn. Terrakota, die hierzulande schon bei der Weltnacht Bielefeld aufgetreten sind, stehen für eine junge, experimentierfreudige Generation portugiesischer Künstler, die sich bewusst den Einflüssen des Schwarzen Kontinents aussetzen und vor Ort neue Ideen absorbieren. Perkussionist Umberto Tomás erinnert sich: "1999 bereisten wir die Elfenbeinküste, Burkina Faso, Mali und Senegal. Wir jammten mit den lokalen Musikern, hörten viel zu, wohnten Beerdigungen und Hochzeiten bei. Als wir zurückkamen, war unser Kopf voller neuer Rhythmen." Aus den Bereichen Jazz und kubanische Musik nahmen sie zusätzliche Musiker auf, um die gewonnenen Erfahrungen Terrakota stilistisch noch breiter aufzufächern. Eine Mestizo-Philosophie auf mehreren Ebenen wird hier praktiziert: Die Texte ertönen auf Mandinka, Wolof und Djola genauso wie auf Spanisch, Italienisch, Englisch und Französisch, attackieren die Kreuzzüge der USA und greifen die Probleme der Emigranten auf. "Unsere Sängerin Romi kommt ursprünglich aus Angola und hatte enorme Probleme, ihre portugiesische Staatsbürgerschaft zu erlangen", erläutert Tomás. "Andere Emigranten enden als Putzkräfte und Bauarbeiter, leben hier in einer Art moderner Sklaverei. Themen wie diese greifen wir auf, verpacken politische Botschaften in tanzbare Arrangements." Und die speisen sich aus Reggae, Ska, Soukous und Gnawa-Musik. "Was in der portugiesischen Musik stets im Hintergrund steht", so Tomás weiter, "ist die Sensibilität gegenüber Rhythmen. Deshalb fahren wir die 600 Kilometer nach Marokko und entdecken dort diese ganzen erdigen Grooves." Erdige Verwurzelung steckt auch im Namen: Terrakota steht einerseits für die bekannten Tonwaren, aber es bedeutet auch "weise Erde". "Ein Appell, die Natur mehr zu respektieren und ein verwurzelteres Leben zu führen", so Gitarrist Alexandre Louza.


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im Folker! 1/2005