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Regierungsamt als Abenteuer

Gilberto Gil - Weltmusik-Star und Kulturminister

Mit Klampfe und Ministerkoffer im Sauseschritt rund um die Welt

go!  www.gilbertogil.com.br

Der zweiundsechzigjährige Musiker und gelernte Unternehmensadministrator Gilberto Gil versucht derzeit beinahe Unmögliches - in einer neoliberalen Mitte-Rechts-Regierung, mit knappsten Mitteln den elitären Kulturbetrieb umzukrempeln, zu demokratisieren, die von den Amtsvorgängern arg vernachlässigte Musica Popular Brasileira zu fördern, in einer Krisenphase den Musikexport anzukurbeln. Seine genialste Idee: Der Samba soll Kulturerbe der Menschheit werden. Nach fast zwei Amtsjahren bescheinigt ihm die Musikszene erstaunliche, bewundernswerte Hartnäckigkeit, Feuereifer, Enthusiasmus - Rückschläge und schmerzhafte Kompromisse bleiben nicht aus.

Von Klaus Hart

"Alle wissen, wie schwierig es ist, Absichten und Worte in Realität umzusetzen - besonders in der Staatsbürokratie", erklärt Minister Gil inzwischen bei fast jeder Gelegenheit ironisch - mit Rastafari-Locken, im eleganten, immer noch ungewohnten Anzug. "Früher war ich der Steinewerfer - jetzt bin ich auf einmal der im Glashaus!" Weil politische Rücksichten zu nehmen sind, wird er lieber nicht deutlicher. Das tut seine rechte Hand, Assessor Luis Turiba, gegenüber Folker!: "Gilberto Gil treibt hier eine Revolution voran, definiert Kultur völlig neu. Aber zwischen Diskussion, Projekteerarbeitung und Realisierung vergeht furchtbar viel Zeit, das dauert ewig, ist elend schwierig, überall Hindernisse. Und wir haben nur ganz wenig Mittel!" Am Start, vor bald zwei Jahren, protestiert Gil deshalb heftig bei Staatschef Luiz Inàcio Lula da Silva, lässt sich nicht gefallen, dass sein Ressort nur 0,2 Prozent der Haushaltsgelder bekommt. Ein Prozent müsste mindestens drin sein - "oder mein Ministerium bleibt nur Dekoration". 2004 hat er zwar nicht einmal ein halbes Prozent - aber sich mit der Finanzlage abgefunden, denn bei den Sozialausgaben wurde ja ebenfalls wider Erwarten kräftig gespart. Gil geht notgedrungen bei potentiellen Sponsoren hausieren, spannt vor allem Brasiliens größtes Staatsunternehmen, den Ölkonzern Petrobras, ein, der glücklicherweise noch nicht privatisiert wurde und so schwerlich Nein sagen kann. "Wir haben eine ganze Serie von Aktionsprogrammen zur Musikförderung angeschoben", so Minister Gil gegenüber Folker!, auf dem Weg zwischen zwei Terminen. "Einiges davon läuft bereits. Und damit brasilianische Musik endlich international besser verbreitet wird, haben wir die Ministerien für Industrie und Außenhandel eingeschaltet." Gils genialste Idee - der Samba soll 2005 als Musik und Tanz von der UNESCO zum Kulturerbe der Menschheit erklärt werden. Im Mai verhandelte er in Paris darüber mit dem UNESCO-Generalsekretär, ein umfangreiches Dossier ist fast fertig. "Für mich ist das internationale Kulturpolitik - ganz wichtig, den Samba als markanten Ausdruck unserer Identität herauszustellen." Jubel bei Brasiliens Sambistas. "Unsere Musik wurde anfangs sehr verfolgt, weil es ein Volksrhythmus der Schwarzen ist", so Dona Ivone Lara, Rios große alte Dame des Samba. "Patrimonio da Humanidade - das wäre ein Geschenk des Himmels!" Ihr Kollege Walter Alfaiate im Überschwang: "Wenn alle Welt Samba hören und tanzen würde, gäbe es weder Krieg noch Zerstörung. Unsere Musik ist doch Synonym für Frieden!" Und nicht zufällig bastelt Gil derzeit an einer Samba-CD: "Zehn Stücke habe ich schon zusammen." Meist ältere Werke, denn zum Komponieren kommt er kaum noch. Tochter Preta, eines von sieben Kindern aus drei Ehen, gegenüber Folker! (s. Porträt in diesem Heft): "Ich bin schockiert - er hat sein Leben total verändert, schreibt nichts mehr, die Zahl seiner Konzerte ist gegenüber den Vorjahren um neunzig Prozent geschrumpft!"

Gilberto Gil

Rapper und Repentistas, Kulturzentren und Karnevalsmuseum

Samba als Weltkulturerbe - längst nicht alles: Sechsunddreißig populäre Sänger und Bands treten 2004 in einunddreißig Städten zu absoluten Minipreisen auf - umgerechnet keinen halben Euro - gesponsert von Petrobras. Rapper aus Großstädten wie Rio und Sao Paulo arbeiten erstmals mit den famosen traditionellen Repentista-Duos des Nordostens zusammen, die gereimten Wechselgesang aus dem Stegreif abfeuern. In Amazonien werden CDs von Künstlern produziert und vertrieben, die andernfalls keinerlei Marktchancen hätten. Brasilien soll endlich ein Karnevalsmuseum erhalten - kaum zu glauben, dass nicht einmal in Rio de Janeiro eines existiert. Noch in diesem Jahr sollen zudem aus Fertigbauteilen in Armenvierteln die ersten zwanzig Kulturzentren namens BAC errichtet werden. Ein ziemlich fürchterlicher Name - denn BAC heißt Base de Apoio à Cultura, Basis zur Unterstützung der Kultur. Und kostete Gil beinahe das Amt: Bei der Projektvergabe kungelten, mauschelten leitende Mitarbeiter, langjährige Freunde Gils, hinter dessen Rücken um materielle Vorteile, kam es zu unerquicklichen Machtkämpfen. Was ihn zwang, beinahe das gesamte, mühsam aufgebaute Führungsteam zu ersetzen, seinen Posten zur Disposition zu stellen. Für Monate blieb das Kulturressort deshalb quasi gelähmt und auch Mitte 2004 ist die Krise noch nicht ganz überwunden.

Und schließlich auch diese Gil-Idee: Als erster brasilianischer Komponist erlaubt er die freie unentgeltliche Nutzung eines Liedes ("Oslodum"), weitere sollen folgen. Gil tritt die Rechte an die weltweite Bewegung "Creative Commons" ab, will damit ein Beispiel geben.

Auf all solche Initiativen hatten Brasiliens Musiker seit Jahrzehnten gewartet, Gil nach dem Amtsantritt entsprechend bombardiert und die fehlende Exportförderung schlichtweg unbegreiflich, unentschuldbar genannt. Großbritannien beispielsweise hole über die Musikausfuhr mehr Devisen herein als über Stahl. "Die Stärke Brasiliens ist seine originelle Musik - sowas will doch die Welt", wird immer wieder argumentiert. "Die Leute sind satt vom Immergleichen, das den internationalen Musikmarkt verstopft." Den Brasiliens nicht - dort hält Einheimisches bequem einen Anteil von über achtzig Prozent, anglo-amerikanische Songs, CDs sind nur ganz selten unter den ersten Zehn der Hitparaden.

Auch die USA fördern seit jeher bekanntlich gezielt ihren kulturellen (Massen-) Export, schalten aufwendig jeden neuen Trend weltweit durch, dass die Kassen nur so klingeln. Doch Brasilien wandte im ersten Amtsjahr umgerechnet nicht einmal zwei Millionen Euro für die Musikpromotion im Ausland auf - die meisten Botschaften haben gar keine Kulturabteilung. Gilberto Gil fordert, das rasch zu ändern.

Gilberto Gil

Termine rund um den Erdball - Der "Ministro carismatico" singt und tanzt protokollwidrig

Den Imagewerber, den ersten Verkäufer der Musica Popular Brasileira spielt Gil derzeit natürlich selber - niemand im Tropenland könnte es besser, immer noch so jungenhaft, mit dieser Leichtheit, Lebendigkeit, Alegria auf der Bühne, die man bei den anderen Dreien der legendären Tropicalia-Band "Doces Bárbaros" (Süße Barbaren) - Caetano Veloso, Maria Bethânia und Gal Costa, kaum noch spürt. Keine Reise Gils zu UNO und Weltbank, nach Asien, Australien, Afrika oder Europa ohne die Gitarre im Gepäck. Fast immer wiederholt sich dann das gleiche Schema: Zuerst führt der Minister Verhandlungen, unterzeichnet Protokolle und Abkommen, hält Reden, weiht irgendetwas ein. Bis ausländische Staatschefs, Minister, Banker oder das einfache Volk an den Absperrungen sagen - gut und schön, aber du bist auch Gilberto Gil, der Sänger, wir wollen dich hören. Gil ist längst auf Spontanauftritte jeder Art vorbereitet, hat die Gitarre stets in Reichweite.


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im Folker! 6/2004