back"Vom Regen zerzaust und trotzdem ein Lichtblick"

Die RUTH 2004 - Der Deutsche Folkpreis

RUTH - Der Deutsche Folkpreis: go! www.folkpreis.de
Die RUTH-Preisträger 2004

Hiss
E-Mail jfkonzerte@aol.com
go! www.hiss.net

Wu Wei
E-Mail wuwei_de@yahoo.de
go! www.wuweimusic.com

Yalla Babo Express Orchestra
E-Mail info@yallababo.de
go! www.yallababo.de

Zoriya
go! www.valentinreinbold.de

Walter Mossmann
go! www.walter-mossmann.de

Es war ein Festival der Wetter-Gegensätze. Stürmischer Regen wechselte mit Sonnenschein. Ähnliches war auch für das Festivalprogramm zu vermelden: viele unbekannte Acts, manches Überflüssige, aber immer wieder Überraschungen - Musik, wo man sagt: he, das ist spannend. Dasselbe traf auf die Folkpreis-Sieger zu. Sehr, sehr unterschiedliche Klänge, jeder für sich ein Erlebnis. Den Newcomer-Preis teilten sich Zoriya und das Yalla Babo Express Orchestra. Die globale RUTH ging an Wu Wei , die deutsche RUTH an Hiss (s. Szene in Folker! 4/2004).

Von Piet Pollack

Der Jury-Vorsitzende, Peter Schneckmann, sagte bei der RUTH-Pressekonferenz: " Die Preisträger wissen vielleicht gar nicht, wie sie zu der Ehre gekommen sind!" Er erläuterte das neue Verfahren für die Preisträger-Ermittlung: Das Wichtigste, man bewirbt sich nicht mehr. HissEin 14-köpfiger Beirat schlägt Nominierungen in den Kategorien "Deutsche Roots" und "Globale Roots" vor. In dem Beirat sind Musiker, Journalisten, Veranstalter und die drei Auslober des Preises vertreten, als da wären der MDR, speziell dessen Kulturradio "Figaro", der Dachverband PROFOLK und der Festivalveranstalter tff Rudolstadt. Diese drei vergeben auch die Ehren-RUTH für das Lebenswerk, die in diesem Jahr an den Liedermacher Walter Mossmann ging. Für die anderen Folkpreise schlägt der Beirat der fünfköpfigen Jury die Kandidaten vor. Bedingungen sind "Lebensmittelpunkt in Deutschland" und der Festivalauftritt, bewertet werden herausragende Leistungen in den letzten 18 Monaten vor der Preisvergabe.
So etwas muss Folgen haben
Laudatio auf Walter Mossmann (Auszüge)
Von Dr. Thomas Rothschild
Wenn Walter Mossmann heute im Rahmen eines Folkfestivals einen Preis für sein Lebenswerk erhält, so bedarf es für die Begründung keiner terminologischen Verrenkungen. Denn viele von Mossmanns Liedern sind zu Volksliedern geworden. Das war kein Zufall und kein Versehen, sondern Absicht. Denn Mossmann hat sich nie in erster Linie als Künstler verstanden mit all den Eitelkeiten, die zu dieser Profession gehören, sondern als Teil politischer Bewegungen, als Teil also dessen, was man so missverständlich das Volk nennt, dem man anonyme Lieder, Volkslieder eben, zuschreibt ...
Wenn Walter Mossmann gemeinhin in einem Atem mit Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp, Hannes Wader und Wolf Biermann genannt wird, so deshalb, weil er jener Generation angehört, die in den heroischen Jahren des politischen Liedes, in den sechziger Jahren, die Szene betrat und bestimmte, weil er mit den Genannten jene Spezies repräsentiert, für die man damals das bescheidene Wort "Liedermacher" prägte. ...
Was ihn mit Degenhardt, Süverkrüp, Biermann von Anfang an verband, war der Wunsch, einzugreifen in die politische Realität und die Überzeugung, dass das mit den Mitteln des Liedes, mit Text, Musik und Vortrag möglich sei ...
Von Mossmann stammt der Begriff "Flugblattlieder", und der war Programm: Wie Flugblätter in der Französischen Revolution und danach weitergegeben wurden, ohne Nennung ihrer Autoren, um Informationen zu verbreiten, um zu Aktionen aufzurufen, um die Welt zu verändern, so sollten seine Lieder der öffentlichen Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Nicht die Regeln des Marktes, nicht eine verkaufsfördernde Warenästhetik interessierten Mossmann, sondern der Gebrauchswert seiner Produkte, die mit ästhetischen Mitteln politisch wirken wollten.
In der Nutzung von ästhetischen Mitteln war Mossmann freilich keineswegs bescheiden. Seine Lieder zeichnen sich aus durch eine Vielfalt von Themen, von Verfahren, von stilistischen Eigentümlichkeiten. Mossmann hat mit Witz und mit Ironie gearbeitet, mit groben plebejischen Kunstmitteln des Spotts und der Satire, und mit raffinierten Verfahren, wie sie die politische Lyrik von Heine bis Tucholsky, von Villon bis Brecht entwickelt hat. Agitprop, also Agitation und Propaganda, war für Mossmann niemals ein Schimpfwort, und seine Lieder über und für die Anti-KKW-Bewegung, für den Häuserkampf, für Solidaritätsinitiativen zugunsten der so genannten Dritten Welt stehen im besten Sinn in der Agitprop-Tradition der Roten Revuen und des linken Kabaretts ...
Mossmann war niemals ein naiver Künstler. Er hat über seine Arbeit - seine politische wie seine künstlerische und seine künstlerische als politische Arbeit - fortgesetzt nachgedacht und die Ergebnisse seiner Überlegungen weitergegeben. Das Buch "Wir haben jetzt die Schnauze voll. Alte und neue politische Lieder", das er mit seinem Freund, dem Musikwissenschaftler Peter Schleuning, geschrieben hat, gehört zum Klügsten, was seit Hanns Eisler zu diesem Thema publiziert wurde ...
Eine heimtückische Krankheit machte es Mossmann unmöglich, weiterhin zu singen. Seine Exkursionen in andere künstlerische Bereiche erleichterten es ihm, nun nach neuen Möglichkeiten des Ausdrucks zu suchen. Denn dass ein so durch und durch politischer Mensch wie Walter Mossmann verstummen würde, war nicht zu erwarten ...
[Aber] anders als viele seiner einstigen Kampfgenossen erlag Mossmann niemals der Versuchung zum Renegatentum, zu einer konservativen Einkehr. Biermanns "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" diente ihm nie zur Rechtfertigung einer Anbiederung an die Mächtigen, an die Verteidiger des Status quo. Mossmann hat dazugelernt, hat neue Fragestellungen und überraschende Aspekte entdeckt, aber er ist im besten Sinne des Wortes Außenseiter geblieben, ein Unangepasster, ein Provokateur. Wenn das vielleicht nicht so wahrgenommen wird, dann liegt das an einer veränderten Öffentlichkeit, die nicht einmal mehr repressive Toleranz üben muss. Mossmann gehörte einst zu jenen, die sich ideenreich und aktiv für die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit einsetzten. Die ist heute weitgehend verschwunden im Konsens einer profitorientierten Marktgesellschaft. Umso lobenswerter erscheint es, wenn man sich an einem der wenigen Orte, an denen noch nicht die amerikanisierte Einheitskultur herrscht, Mossmanns entsinnt und ihn für sein Lebenswerk, das ja noch lange nicht abgeschlossen ist und von dem wir uns noch viel erwarten, auszeichnet.

(Anm. der Redaktion: Bei Trikont, go! www.trikont.de, sind dieser Tage vier CDs mit Chansons, Balladen, Flugblattliedern Walter Mossmanns aus den Jahren 1963-1983 sowie dem "Unruhigen Requiem" erschienen.)

Wu Wei - It's jazz, but I like it!

Die Programm-Auswahl des chinesischen Musikers Wu Wei für einen Festivalauftritt schien mir etwas unglücklich. Ohne Zweifel - sein Festivalkonzert war großartige Musik und Wu Wei ist ein toller Instrumentalist. Er spielt seine Mundorgel Sheng genauso souverän wie die Stabgeige Erhu. In Rudolstadt ist Wu Wei schon Dauergast: mehrmals als Begleiter von Urna (der Vorjahres-Preisträgerin), beim Kniegeigen-Special 2002 oder beim Mundharmonika-Special 1999. Zur Zeit arbeitet er in sehr unterschiedlichen Projekten: als Solist mit großem Orchester, im Duo mit Schlagzeug bzw. chinesischer Zither, im Trio mit ethno-orientierten Jazzern. Insofern ist der Preis schon berechtigt. Sein neues Projekt wirkte beim Tanz- und Folkfest auf der Hauptbühne der Heidecksburg aber irgendwie deplatziert. Ja, was war das nun? Folk? Nö. Weltmusik? Eher nicht. Chinesisch? Vielleicht. Es war die pure Jazz-Mugge und sie war richtig gut. Mit der ostdeutschen Jazzer-Elite an der Seite gab Wu Wei ein prächtiges Konzert. Die Jazz-Dinosaurier waren los: Joe Sachse brillierte auf der Gitarre, Volker Schlott tat das Seinige am Saxophon. Beide überbrückten den kurzzeitigen Stromausfall auf der Bühne mit tollen Improvisationen. Wu Wei stand ihnen in nichts nach, wirkte gleichwertig. Wohl auch, weil es seine Musik war, die gespielt wurde. Abgesehen von den vielen jazztypischen Soli, die zeigten, dass hier gleichwertige Partner musizierten und nicht "Wu Wei mit Band".

Insofern relativiert sich der Eindruck eines Preisträgerkonzerts - auch auf einem Jazzfestival hätte dieses Konzert der Höhepunkt sein können.

Auf zur Polka-Party mit Hiss

Ähnliche Überlegungen kamen mir auch in Bezug auf den Preisträger der "Deutschen Roots", Hiss . Ausgangspunkt waren die diesjährigen Festivalkonzerte von The Hooters und Heather Nova. Beide bieten wunderbare Musik, aber ich hätte sie nie in die Kategorie "Folk- und Weltmusik" eingeordnet. Ich höre meine Heather Nova-CVDs sehr gern, auch die Hooters bringen gute Musik zum Autofahren. Aber nur weil Cello, Geige, Mandoline oder Akkordeon eingesetzt werden, ist das noch lange kein Folk. Dann wäre auch die ganze MTV-Unplugged-Serie Weltmusik. Die Festivalleitung ist zu fragen, ob das ein Zugeständnis an das Rudolstädter Publikum, ein Beitrag zum Stadtfest war? Dann können wir uns in den nächsten Jahren ja vielleicht auf Konzerte von Tori Amos, Neil Young, Bob Dylan oder den Eagles freuen. Für Hiss ist festzustellen: Sie sind eine exzellente Live-Band und waren an diesem Abend zu dieser Zeit genau das Richtige für das Publikum. Die heißen Polka-Rhythmen gingen dem durchnässten Publikum nach dem Wu-Wei-Konzert, welches durchgängig vom Wolkenguss untermalt war, richtig in die Beine. Die kauzigen Ansagen und satirischen Liedtexte von Stefan Hiss versöhnten mit dem Sauwetter. Ein begeistertes Auditorium genoss jeden Titel. Die Hauptbühne auf der Heidecksburg war umringt von ZoriyaMenschenmassen und es "polkte"!

Ich fand das gut, möchte eine kleine Anmerkung aber trotzdem machen. Die Festivalstruktur in Bezug auf den Folkpreis wirkte gut durchdacht (bis auf den Lapsus mit Zoriya, s. unten). Die Newcomer-Preisträger hatten jeweils über eine Stunde Zeit, sich mit eigenen Konzerten (Burgterrasse bzw. Neumarkt) vorzustellen, was ihnen mit Bravour gelang. Das Abendprogramm entspannte sich, weil nur zwei Preisträgerkonzerte "abzuarbeiten" waren. Die Festivalveranstalter haben jetzt natürlich das Bestreben, möglichst attraktive Wu WeiActs auf die Hauptbühne zu holen, die viel Publikum anlocken. So könnte es für kleine, extravagante, neue oder abseitige Projekte schwerer werden, globaler oder deutscher Roots-Preisträger zu werden - auch und gerade wenn sie innovativ sind. Mit Hiss als gestandener Party-Live-Band war man auf der sicheren Seite an diesem Abend. Zu fragen wäre, was nach den Preis-Kriterien das Innovative der letzten 18 Monate bei Hiss war: Die neue CD? Das Polka-Konzept ist ja schon wesentlich älter. Oder weil sie live eine sichere Bank sind?


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im Folker! 5/2004