"Artisten müssen reisen", dichtete Joachim Ringelnatz, "mal ins Gebirge und an die See, und manchmal tut's weh." Auch Folkies müssen bei Auswärtsspielen das bemooste Haupt auf fremde Kissen betten. Und das gilt nicht allein für's Bühnenpersonal, sondern auch für Kollegen der rezeptiven Observanz, die vom saisonalen Festspielangebot berichten. Dazu hab' ich übrigens ein Lied geschrieben (und zufällig die Gitarre nicht dabei): "Zu meinem letzten Auftritt in Ückesdorf am Rhein / lud ich auch den Feuilletonchef der Drogistenzeitung ein ..." usw. Im Saal sind Juroren, Volontäre und Kritikaster vom gemeinen Publikum gemeinhin dadurch zu unterscheiden, dass sie niemals applaudieren, bewahre, sondern allenfalls mit einem tückischen Klips den Kugelschreiber ausrasten lassen. Danach noch ausgehen, Gelegenheit zu Kurzweil, Tratsch, Alkoholmissbrauch und Interview, warum nicht? Endlich rückt aber doch die Sperrstunde heran, Stühle werden hochgestellt, Lampen gelöscht, Deckel kassiert. Jetzt wohin?
Für hartgesottene Kurzbrater und Kaltduscher sind, z. B. im Grünbereich des Waldeck-Geländes, Campingplätze eingerichtet. Nicht ganz so erholsam, wenn sich für halb neun in der Früh in unmittelbarer Nachbarschaft der Trommelworkshop verabredet, um am Instrument zu erproben, wie die Bodhran zu beharken sei ("with the bones of an Englishman"). Schutz gegen unerwünschte Schallimmissionen verheißt die "Rudolstädter Wohnmobillösung"; dicht auf dicht geparkt, wobei der Nebenmann allerdings gern das seinen drei bis vier Pitbulls Schatten spendende Vorzelt vor den Eingangsbereich spannt und bei sommerlicher Schwüle vergisst, sein Chemieklo zu entsorgen.
Vor zwanzig Jahren bekam der tournee-absolvierende Liedermacher seine Matratzenecke in irgendeiner Landkommune am Waldesrand angewiesen. Burkhard Ihme hat das mal sehr schön im Comic gezeichnet. Seine "Reino"-Figur muss im Zimmer der kleinen Schwester der Veranstalterin mit der Schlumpftapete im Paidi-Gitterbettchen nächtigen. Erst mit aufsteigender Karrierelinie kann sich das Künstlervölkchen leisten, Verträge zu schließen, in denen von der Bettenkategorie über die Spirituosenauswahl bis zur Koks-Güteklasse und zum Groupie-Teint im Vorhinein alles haarklein festgelegt ist. Wer so was nicht kennt, sollte mal versuchen, Ike Turner oder Zupfgeigenhansel ins dörfliche Jugendzentrum zu holen.
Meiden sollten Reisende älteren Jahrgangs Backpacker-Hotels und Jugendherbergen. Letztere werden nicht nur periodisch von bekifften und/oder entenpolonaise-tanzenden Schulausflüglern heimgesucht, sondern verlangen inzwischen gesalzene Preise, Frühstückbuffet und Wellness-Anwendungen inbegriffen. In Bayern kommt jenseits der Gruftie-Grenze sowieso keiner mehr beim Herbergsvater unter. Überhaupt Bayern, wo schon der unbedachte Besuch von Autobahn-Raststättenklos den Euromünzen Flügelchen verleiht! Uns ist in alten Mären wunders viel geseit: Mehr als einmal schildert das Nibelungenlied die Fahrten von König Etzel zum Burgundenhof nach Worms und umgekehrt; auch Spielmann Volker, der küene videlaere, reiste hin zu Kriemhilds Bluthochzeit. "Und ausnahmsweise wurden sie trotzdem nicht überfallen und ausgeraubt!" jubelt der anonyme Epiker jedes Mal, wenn eine Abordnung durch Bayernland kommt.
Die Fernfahrer-Absteige, liebevoll mit Ajax und Akopads parfümiert und ausgestattet mit Omas Chintz-Kissen, Schondeckchen und Plastikblümchen wäre eine preiswerte Alternative, riecht aber nach Männerpension. Der Mensch ist ein so unsauberes Tier, dass schon selbst die von ihm ausgeatmete Luft so verdorben ist, dass sie, aus einem stark besetzten Zimmer durch eine Röhre abgeleitet, zum stärksten Gift destilliert werden kann. Besser, man lässt sich auf Veranstalterkosten in eine Nobelherberge einladen wie der scheidende Bundesbankpräsident, der neulich im "Adlon" zu tief in die Minibar geschaut hat. Ja, sollte er denn alles selber bezahlen oder sich vor Weltekel unter die Spreebrücke legen? Dann wär' er freilich noch im Amt. Aber mussten nicht wir alle zur Einführung des Euro erst einmal das Ausgeben üben? Wohl dem, dem die Commerzbank dabei hilft ...
Nikolaus Gatter
www.lesefrucht.de
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