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Folkfestival Kaustinen

Musikalische Mischkalkulation

go! www.kaustinen.net

Wohl kaum ein anderes Folkfestival hat so sehr seinen Namen verdient wie das im finnischen Kaustinen. Es musiziert Folk, es tanzt Folk, es schwitzt und atmet Folk. Und das ganze Folk macht mit, ein Festival vom Folk fürs Folk. Für Tanz, jene dramaturgisch angereicherte Gjallarhorn 2004Form organisierter Simultan-Mobilität, sind die Finnen ohnehin leicht zu gewinnen. Eine Öffnung für Weltmusikalisches, wie bei den meisten europäischen Folkfestivals, wird in Kaustinen kaum praktiziert - eine mutige Entscheidung in einem Land, dessen musikalischem Potenzial natürliche Grenzen gesetzt sind: Es gibt nur fünfeinhalb Millionen Finnen. Seit 36 Jahren wird in Kaustinen vor allem nationaler Folk gefördert, und das Festival ist die jährliche Werkschau. Etliche Wettbewerbe im Land sowie die Folkabteilung der weltberühmten Sibelius-Akademie tun ein Übriges, schon jungen Menschen Folk schmackhaft zu machen - Identitätsstiftung aus der Erfahrung russischer und schwedischer Okkupation.

Von Luigi Lauer

Was an den ersten Tagen des Festivals überrascht, ist die Diskrepanz im Alter der Darstellenden und der Zuschauenden. Während sich an traditioneller Musik, an überliefertem Handwerk oder alten Tänzen sehr viele junge Menschen versuchen, ist das Publikum im Durchschnitt schon deutlich über 50. Es sind die folkloristischen Darbietungen in traditionellen Kostümen, bei denen Opa und Oma in Nostalgie schwelgen La Bottine Souriante 2004und sich ihrer ersten Küsschen im Dunkeln erinnern. Im Verlauf eines jeden Tages und im Verlauf des Festivals insgesamt findet aber eine deutliche Verjüngung statt, und die ist kalkuliert. Stufe um Stufe wird die Betriebsspannung erhöht, werden experimentelle, moderne, gewagte Folkformen auf die Bühnen geholt, die gefühlte Lautstärke nimmt zu. Ganz allmählich wird der Terrorfaktor für die Kukident-Fraktion erhöht, ein organisierter Generationenkonflikt wird gezündet. Für die Macher in Kaustinen gehört das zum Konzept. Die Traditionalisten sollen weder verschreckt noch verscheucht werden, doch sie sollen sich ebenso wenig als Nabel der Welt verstehen wie die Experimental-Folker. Das junge Publikum ist entweder durch Finnlands zahllose Musik- und Tanzvereine bereits mit den Machenschaften in Kaustinen vertraut, oder es wird von der Popmusik abgeworben. Deshalb lässt Programmdirektor Jyrki Heiskanen auch schon mal einen Teddy-Hagel zu - im letzten Jahr ließ er Finnlands Pop-Idol Jore Marjaranta auftreten, ein finnischer Backstreet-Boy, der als Pop-Komet ständig einen kreischenden Schweif hinter sich herzieht. Heiskanen ärgert es, für diese Politik von der finnischen Presse kritisiert zu werden. Und er hat Recht: Nur 50 Meter vom Festivaleingang treffen sich allabendlich um die 150 Jugendliche in einem Dreieck aus Supermarkt, Disco und Tankstelle, zum Saufen und Lärmen und Baggern und Motormuskeln zeigen. Tiefergelegte Interessenlage. Wer denen mit dem pädagogischen Zeigefinger kommt, wird schnell erfahren, wo er sich den gefälligst hinstecken kann. Man muss es, pardon, hintenrum versuchen, nicht Gebote, sondern Angebote sind vonnöten. Das erwähnte Popkonzert oder die respektlose Ulknudeltruppe Rehupiikles waren eindeutige Publikumsrenner, ob einem das passt oder nicht. Und wenn's eine kostenlose Folk-Dreingabe zum Popkonzert gibt - schaut man halt mal rein. Und ganz nebenbei spült so ein Konzert Geld in die Kassen.

Maria Kalaniemi 2003Vier Jahreszeiten

Kaustinen hat einen Turnus, der in der Bevölkerungszahl begründet ist. An acht Tagen bespielen 260 Gruppen mit rund 3.300 Mitgliedern die 6 Bühnen. Nach vier Jahren geht es mehr oder weniger von vorne los, zumindest die etwas bekannteren Formationen haben dann alle mal gedurft. Und Stars, die 2003 aufgetreten sind, wie Maria Kalaniemi, Värttinä oder die viel zu selten spielende, extrem gute Gruppe Troka kann man nicht jedes Jahr holen. Aus der Wiederholungsfalle kommt nur, wer sein Ohr ganz nah an der aktiven Szene hat und schnell reagiert.


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im Folker! 4/2004