"Laut aufschluchzend ließ er den geöffneten Umschlag sinken, und die Augen des alten Liedermachers füllten sich mit Tränen. Salzige Tropfen rollten die Hamsterbacken herab und tröpfelten auf das Anschreiben, wo sie mit der eigenhändigen Tintenfüllersignatur des Parteivorsitzenden zu einer qualmig-blauen Matschepampe verquollen, die das edle Büttenpapier vollends durchweichte. Nur der Brieftext selbst blieb schwarz auf weiß stehen, wie mit ehernem Griffel gemeißelt: ... haben wir uns entschlossen, Sie als Kandidaten für die kommenden Wahlen zum Amt des Bundespräsidenten zu benennen ... Er würgte an der aufquellenden Rührung wie an einem Kloß. War dies sein finaler Gig - auf der politischen Bühne? Würden auch im Deutschen Nationalstaatstheater Fans auf die Konzertsessellehnen steigen und Einwegfeuerzeuge schwenken? War er mit dem Umzug nach Schloß Bellevue nicht endlich dort angekommen, wohin er seit jeher strebte, ja, notwendigerweise gehörte?"
So könnte er anheben, mein aktueller Real-Fiction-Roman, wäre nicht alles schon längst anders entschieden. Die Kandidatenfrage ist geklärt - seit jenem denkwürdigen Dinner-for-two in Guidos Berliner Apartment, während die verschmähte Angela beleidigt auf der Sofakante saß und die Waschmaschine mit den Projekt-18-Socken auf Schleudertouren kam. Und das Volk wird jubeln, was bleibt ihm auch anderes übrig. Der Kandidat heißt Köhler, macht aus seinem Köhlerglauben an die Schröder-Agenda keinen Hehl und will mit Lust und Eifer "sklerotische Strukturen" zerschlagen. Wo er bisher tätig war, beim Internationalen Währungsfonds, hat ihn bisher offenbar keiner vermisst: loben heißt loswerden! Und neulich durfte der Kandidat die paradiesische Zukunft beschwören, wenn endlich ein Kanzler der CDU, Schröders Ellbogendeutschland samt erneuertem Steinzeitkapitalismus übernimmt, "am besten Frau Merkel" (lobst Du mich, lob' ich Dich bzw. wie Du mir, so do me) - ich dachte, ein Präsident soll von der Regierung unabhängig sein? Anscheinend ist der Schwatzselige schon im Amt, in dem ihm für die nächsten paar Jahre keiner mehr den Mund verbieten kann, womöglich hängt er, was Rau gern getan hätte und jetzt natürlich abschaffen will, noch eine Amtsperiode dran. Ist niemandem aufgefallen, dass immer nur für Verkürzung der Amtsperioden ist, wer sowieso nicht mehr drankommt? So wie immer die kostenlos fertig studiert habenden Akademiker die Prüfungshürden höher legen und Studiengebühren einführen wollen. Und Ritchie Weizensack, ausgerechnet der! tritt plötzlich für allgemeine Wahlen ein, und davon hat man vor seiner Präsidentenlaufbahn, in jenem legendären Fernsehduell mit Wolfgang Neuss ("die Kinder wählen immer einen aus der Sesamstraße"), auch nichts vernommen.
Köhlers Kontrahentin beim Präsidentenquiz heißt Schwan, und mir schwant, die Politologin ist stockkonservativer als alles, was die Regierung nach sechs Jahren überhaupt noch vorzuzeigen hat, u. a. jede Menge Bein auf hochhackigen Pömps ("Bein zeigen sollte nur, wer sich's leisten kann", urteilte Marlene Dietrich über Liza Minelli), und ihre Haartracht eignet sich für Evelyn Hamanns nächsten Loriotsketch - weniger an einen Bienenkorb erinnernd als an eine umgestülpte Frettchenhöhle. "Sie ist die Beste!", strahlen Schröder und Fischer, "sie steht für eine aufgeklärte, moderne Republik", nämlich eine, die Kohl, Schröder und Fischer möglich gemacht hat, und in der Koalitionsrunde kungelt sie auch schon mit - ich dachte, eine Präsidentin soll von der Regierung unabhängig sein? First Lord würde Peter Eigen, der einen eigenen Verein gegründet hat, um die Korruption auszuforschen, und sich mangels eigener Erfindungsgabe den Vereinsnamen bei amnesty ausborgen musste. Beider Physiognomie nimmt sich im Doppelporträt aus wie das fleischgewordene Trümmerfeld der Sechziger Jahre, aus deren Hinterlassenschaften noch manches andre Phantom durch die Regierungskulissen schleicht. Am schönsten ist noch, wenn die Schwan die undemokratische Kandidatenkür des bürgerlichen Lagers bemäkelt, wurde ihre eigene doch per ordre di mufti ausgekanzlert und von den drei bis vier Abnickern, mit denen sich Schröder höchstens noch umgibt, gutgeheißen. "Aufrechte" Sozialdemokraten, die sich nicht zu "ducken" bräuchten? Diese Parteitagsparole hat sich von selbst überholt, seit Sozialdemokraten schon klein beigeben, wenn sie bei Widerworten ertappt und von ihrer alten Tante Müntefering zusammengeschissen werden.
Wer nicht von dieser heilen Welt ist, als Comicfigur oder Quoten-Greencard-Inhaber oder "gefährlicher Ausländer" (Edmund Stoiber) sein Leben fristet, den kann das Kandidatenpoker ungerührt lassen. Vice versa, müsst' ich in Haiti leben, wär mir völlig wurscht, wen die Amis und Franzosen zum nächsten Volksbeglücker salben - im Zweifelsfall wird's ihrer Import-Export-Statistik zugute kommen. Auf, plündern wir die Lebensmittellager und feiern, was das Zeug hält, bevor es wieder eine Regierung gibt! Haben es die Barden nicht in alten Liedern schon gesungen? Es ist das Jahr der Schweine, die Zeit der Deppen, das Zeitalter der Teigbatzen - und die Kälber dürfen auch bei uns nicht aussuchen, ob sie lieber den Metzger oder den Kürschner zum König wollen.
Ja, aber wieso kriegt denn ein Währungsfondsjongleur das höchste Staatsamt und nicht z.B. eine farbige, behinderte Ossie-Frau, ein resozialisierter RAF-Terrorist in Schlips und Dreiteiler, ein weltkluger Bahnhofspenner mit Auslandserfahrung in der Fremdenlegion oder gar ein klampfenschwingender Liedermacher, respektive -in? Mal ehrlich, würde per Wahlkreuz über die Präsidentschaft entschieden, gehörten Heidi Klum und Gummibären-Gottschalk auf den Thron, jedenfalls keine Kulturmenschen oder Alphabeten. So tümlich sind die Deutschen nun auch wieder nicht, weshalb ich sie auch nicht gern über die Abschaffung der Atomenergie, die Wiedereinführung des Scheiterhaufens und die Sicherheitsverwahrung für Renate Schmidt befragen würde. Begnügen wir uns mit der Lotterie als der bislang gerechtesten Regierungsform und verweisen den hehren, aber idealistischen Gedanken der Pöbelherrschaft ins Reich der Fabel, bzw. des utopischen Schlüsselromans, der nach meinem Manuskript wie folgt weitergehen könnte:
"... Aber noch war ja nichts entschieden. CDU/CSU, längst mit satten Mehrheiten in Bund, Ländern, Kreis- und Kommunalvertretungen gesegnet, hatten sich bereits an den singenden Bayernkurier, Wolf B., gewandt; Herbert G., viel zu viel Määnsch, um Humanist sein zu können, war von der FDP aufgestellt worden, während Hannes W. für die PDS seinen Pepita-Hut in den Ring warf. Selbst Udo L., nunmehr ganz ohne Haare, hatte sich durch SPD und GRÜNE ausloben lassen, nachdem der greise Marius M.-W. von der Partei bibeltreuer Christen gewonnen worden war. Aber weil seit einigen Jahren das höchste Staatsamt durch Volksabstimmung besetzt wurde, konnte sich sogar die rechtsstaatliche Offensive, ehemals Schill-Partei, eine Chance ausrechnen, und an ihn, Heinz-Rudolf K., hatte man offenbar gedacht, um angesichts seiner großen, kampferprobten Doggen die Leibwächter einzusparen ..."
Nikolaus Gatter
www.lesefrucht.de
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